Mord auf Antrag - Roland Benito-Krimi 2. Inger Gammelgaard Madsen

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Mord auf Antrag - Roland Benito-Krimi 2 - Inger Gammelgaard Madsen


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heimschicken, weil sie gar nicht mehr moribund waren. Eine Schätzung des Hospiz Forums Dänemark besagt, dass an manchen Stellen jeder Fünfte wieder nach Hause geschickt wird, um Platz für schwerer erkrankte Patienten zu schaffen. Das regt zum Nachdenken an, oder? Davon abgesehen ist es verboten, einem anderen das Leben zu nehmen. Das gilt für alle, auch für Krankenschwestern und Ärzte.«

      Ihre Stimme klang nicht ganz überzeugend. Sie erinnerte sich an einen Zwischenfall vor ein paar Jahren, als eine Patientin eine Krankenschwester genau darum gebeten hatte, ihr nämlich so viel Morphium zu geben, dass sie nicht mehr aufwachen würde. Die Krankenschwester hatte lange mit der Patientin gesprochen und herausgefunden, dass sie eigentlich gar nicht sterben wollte, aber Mitleid mit ihrem Mann hatte, der sie treu jeden einzelnen Tag besuchte. Danach war die Krankenschwester im Schwesternzimmer zusammengebrochen und hatte von diesem Vorfall und anderen Ereignissen erzählt, die sie im Krankenhaus auf der Intensivstation erlebt hatte, wo sie gearbeitet hatte, bevor sie ins Hospiz Skovdal gekommen war. Damals wusste sie nicht genau, was früher im Anschluss daran geschehen war, und glaubte, das sei ein normales Verfahren. Während einer Nachtschicht wurde sie Zeuge davon, wie ein Arzt einem Patienten so viel Morphium gab, dass er danach starb. Sie standen da und sahen zu. Später fand sie heraus, dass die erhöhte Dosis im Morphiumtropf nie notiert worden war, und als sie den Arzt nach dem Grund fragte, antwortete er, das sei für die Angehörigen am besten. Sie hatte nicht gewagt, ihrem Chef zu widersprechen, aus Angst, gefeuert zu werden. Aktive Sterbehilfe kommt in Krankenhäusern tatsächlich vor – öfter als man ahnt. Es geschieht aus verschiedenen Gründen, aus Mitleid, Barmherzigkeit oder aus reinem und purem Zynismus, hatte sie gesagt.

      »Falls es trotzdem keine Hoffnung auf Heilung gibt, ist das dann nicht besser für alle? Wenn das Morphium einfach hochgedreht wird, merkt der Patient doch nichts«, fuhr Emma fort, obwohl sie einen Debattenbereich betrat, über den sie sich nie einig werden würden.

      »Im Hospiz Skovdal benutzen wir keinen Morphiumtropf. Es gibt viel zu viele Meinungsverschiedenheiten, wie er gesetzt werden soll und ob oder wann die Dosis gesteigert werden soll. Es ist immer eine Frage der Einschätzung. Ein Patient mit starken Schmerzen bekommt das Morphium stattdessen subkutan – also unter die Haut – mit einer Morphinpumpe verabreicht, die den Patienten mehr bei Bewusstsein lässt, sodass er in der letzten Zeit, die sie zusammen haben, noch etwas von seinen Angehörigen hat und umgekehrt. Niemand hat das Recht, Gott zu spielen.« Mit ihrem Tonfall setzte sie einen Schlusspunkt unter ihre Debatte. Im selben Moment war das Motorengeräusch eines weißen, mit Werbung überladenen Taxis zu hören, das einen Haufen betrunkener Menschen abholte, die wohl außerhalb der Stadt weiter Party machen wollten.

      »Na, wir müssen auch zurück und weiterkommen. Elina hat alles aufgehoben, sodass es viel aufzuräumen gibt. Ich habe bezahlt«, meinte Emma und hakte sich bei ihr unter, als sie losgingen und bei der Immervad um die Ecke bogen. Den Mann, der ihnen folgte, bemerkten sie nicht.

      10

      Roland seufzte erleichtert, als er sich auf den Bürostuhl plumpsen ließ, sodass die Gasdruckfeder unter ihm mit einem klagenden Laut nachgab. Obwohl er die Zigaretten vermisste, musste er zugeben, dass die Luft im Büro frischer war, nachdem er aufgehört hatte. Er hätte sonst auch gut in seinem Einmannbüro rauchen können, aber er entschied sich dafür, solidarisch zu sein und auch sein kleines Büro rauchfrei zu halten. Hatte er auch schon oft Pläne gehabt, mit dem Rauchen aufzuhören, jetzt gab es einen guten Grund. Raucher waren nicht länger eine gern gesehene Rasse. Im Übrigen fand er, die Vorschrift, dass man in einem kleinen Einmannbüro und in kleinen Bars und Restaurants rauchen durfte, war ein Fehler. Sollte es sein, sollte man es ordentlich machen wie in Schweden – totales Rauchverbot. Entrüstet hatte er zu Irene gesagt, dass es schlimmer war, den Rauch in kleinen Lokalen einzuatmen als in Großräumen. Irene hatte nie geraucht und sah das Problem nicht. Sie sagte, er solle an all die Passivraucher denken und dass er als das Auge des Gesetzes ein Vorbild sein müsse. Das war er dann geworden, so schwer es auch war, das Rauchen durch zähes Kaugummi zu ersetzen.

      Das Fenster war offen gewesen, während er bei der Pressekonferenz war, und nun konnte er das Meerwasser vom Hafen riechen. Sein Geruchssinn hatte sich verbessert. Er füllte einen Plastikbecher zur Hälfte mit Kaffee und trank einen Schluck. Auch der Geschmackssinn hatte sich verbessert, was man von dem miserablen Kaffee nicht behaupten konnte, den die Kantine des Präsidiums immer noch lieferte. Irene hatte angeboten, eine Thermoskanne Kaffee mit ihrer eigenen italienischen Bohnenmischung zu machen, die er dann mit auf die Arbeit nehmen konnte, aber er sah das ein bisschen als Hohn gegenüber der Kantine. Es gab so viel anderes abgesehen von schlechtem Kaffee, mit dem sie sich abfinden mussten. Die Gemeindezusammenlegung mit Viborg als Hauptstadt und politischem Machtzentrum in der neuen Region Mitteljütland mit einem weit größeren Polizeikreis zum Beispiel – und die Polizeireform, die von einer großen Mehrheit im Parlament beschlossen wurde, um mehr Polizei auf den Straßen zu haben und eine siebzig Jahre alte Organisation zu modernisieren.

      Warum auch nicht, sie war modernisiert worden mit neuen Telefonen und technischen Systemen, die nicht funktionierten. Und nun bekamen sie – die Polizei – sowohl von den Bürgern als auch den Politikern und der Presse dafür auf die Mütze, dass die Dinge noch nicht so funktionierten, wie sie sollten. Umstellungen und Reformen brauchten Zeit und passierten nicht von einem Tag auf den anderen. Zweifelsohne gab es auch diejenigen, die bewusst das Ihre dazu taten, die hochfliegenden Pläne der Politiker, die Reform ohne große finanzielle Unterstützung durchzuführen, zu vereiteln. Besser war es jedenfalls nicht geworden. Nie waren sie mit Fällen so im Rückstand gewesen und für die ganz banalen Dinge wie Diebstahl war weder Zeit noch Belegschaft vorhanden. Roland beneidete die älteren Mitarbeiter, die dankend annahmen, als ihnen eine Vorruhestands-Regelung angeboten wurde, falls sie die zu erwartenden Änderungen mit Stellenwechsel oder neuem Arbeitsplatz nicht wünschten. Mit seinen fünfundfünfzig Jahren gehörte er nicht zu den Auserwählten. Mehr Leute als erwartet nahmen diese Chance war, und leicht war es nicht, die offenen Stellen neu zu besetzen. Die neue Polizeibehörde wurde in drei sogenannte Säulen eingeteilt, bestehend aus ›Bereitschaft‹, worunter Verkehrspolizei, Überfallkommando, Bereitschaftsdienst und Wachdienst zählten, ›Lokalpolizei‹, die sich mit Kriminalität gegen Bürger wie Einbrüchen, Raubüberfällen, Diebstahl, Aufnahme von Anzeigen und Präventivmaßnahmen befasste. Die dritte große Säule, zu der er selbst gehörte, war ›Ermittlungen‹ und umfasste neben den großen Wirtschaftsdelikten, organisierter Kriminalität, Drogen- und Bandenkriminalität auch die Ermittlungen in Fällen von Mord, Sittlichkeitsverbrechen und IT-Kriminalität. Alles Fälle, die früher von der Kriminalpolizei bearbeitet worden waren. Der Begriff ›Kriminal-‹ wurde gestrichen.

      In den neuen Führungspositionen war er nicht länger existent. Er als gewöhnlicher Beamter hatte wählen können, seinen Titel als Kriminalkommissar zu behalten, und das hatte er getan, da Polizeibeamter oder Polizeikommissar, wie Zukünftige in seiner Position nun heißen würden, in seinen Ohren nicht besonders Achtung gebietend klang. Das war natürlich Quatsch. Der Titel bedeutete ja nichts. Beamte, die darin überhaupt nicht ausgebildet waren, durften auf die Straße, um die Forderung nach mehr sichtbarer Polizei zu erfüllen. Nach und nach hatten viele der tüchtigen Jüngeren aufgrund der schlechten Bezahlung aufgehört. In anderen Berufen konnten sie mehr verdienen, ohne die Gefahr für Leib und Leben, die der Polizeijob in einer Zeit mit sich brachte, in der niemand mehr eine Dienstmarke respektierte. Kim Ansager beklagte sich darüber, dass seine Frau, die als Grafikerin in einer Werbeagentur arbeitete, mehr als er verdiente. Dabei zeichnete sie einfach Logos für verschiedene Unternehmen und Etiketten für Shampoos.

      Tja, aber die Presse hatte heute auch andere Sorgen gehabt als die Polizeireform und den ›mangelnden Einsatz der Polizei‹. Eine fünfundzwanzig Jahre alte Leiche in einem Moor war trotz allem spannender und verkaufte sich besser. Er hatte Anne Larsen vom Tageblatt mitten in dem Haufen gesehen, aber sie war ungewöhnlich schweigsam gewesen. Sie hatten nur ein einziges Mal Augenkontakt gehabt, wobei er die Andeutung eines freundlichen Lächelns in ihrem Gesicht gesehen hatte, das sonst wegen der Narbe in der einen Augenbraue immer ernst aussah.

      Der Vizepolizeidirektor war sehr großzügig mit Informationen gewesen. Das war etwas Neues, das er sich ausgedacht hatte, da er der Meinung war, es würde dem Fall nützen, wenn sie die Presse –


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