Mord auf Antrag - Roland Benito-Krimi 2. Inger Gammelgaard Madsen

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Mord auf Antrag - Roland Benito-Krimi 2 - Inger Gammelgaard Madsen


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die deutlich zeigten, dass die Aufklärung schneller erfolgte, wenn die Presse miteinbezogen wurde und Hinweise aus der Bevölkerung bekommen konnte. Und genauso war es ja auch; die Journalisten glaubten, sie seien kleine Detektive, die all das erledigen müssten, was die Polizei nicht selbst herausfinden konnte. Das war genau der Grund, warum Roland es nicht mochte, sie zu sehr zu involvieren. Er dachte wieder an Anne Larsen, die als Detektivin im Gitte-Mord ihre eigenen Wege gegangen war. Dabei war natürlich etwas Gutes herausgekommen – manche Journalisten hatten ein besseres Gespür dafür als andere.

      Er saß in der Stille und bereitete sich mental auf die Konferenz mit seinen Mitarbeitern vor. Sie sollten mit Hypothesen arbeiten, und er sollte selbst einige parat haben, bevor die Versammlung begann. Schließlich war er der Ermittlungsleiter. Er schrieb ›Moorleiche‹ und löschte es wieder mit der am meisten gebrauchten Taste, bei der das ›le‹ von ›delete‹ schon fast abgerieben war, und schrieb stattdessen ›Leiche im Moor‹. Jetzt, wo damit ein richtiger Mensch verbunden war, wirkte es unethisch, von einer Moorleiche zu sprechen. Kannten sich Opfer und Täter oder nicht? Vielleicht konnten sie von Letzterem für die Zeit vor fünfundzwanzig Jahren absehen. In den Jahren danach hatten sich die Fälle, in denen sich Opfer und Täter nicht kannten, gehäuft. Die Globalisierung. Naja, sie war ja zu etwas gut, aber offene Grenzen, bessere und billigere Reisemöglichkeiten und Zugang zur Kommunikation via Internet gaben auch der Kriminalität einen größeren Spielraum. Ein Mörder konnte aus einem fremden Land anreisen – zum Beispiel Afrika – einen Mord in Dänemark begehen und praktisch ungesehen in sein Heimatland zurückkehren, bevor die Polizei Antworten auf eventuelle DNA-Analysen bekam. 1983, in einer kleinen Gesellschaft, war es wahrscheinlicher, dass sich der Mörder und das Opfer kannten. Die Ermordete konnte eine der statistischen ›Dunkelziffern‹ geworden sein – verborgene und nicht aufgeklärte Morde und damit frei laufende Täter. Wenn sich nicht die beiden Jungen in Mundelstrup ins Moor gewagt hätten ... Mit einer Aufklärungsrate für Mord von fünfundneunzig Prozent war Dänemark sonst gut dabei. Er traute sich überhaupt nicht, an Italiens Aufklärungsrate zu denken, allein in Neapel ... Sofort schlug er sich den Gedanken aus dem Kopf und gab es auf, mehr schreiben zu wollen. Er hatte überhaupt keine Zweifel, dass es wirklich gelingen könnte, das perfekte Verbrechen zu begehen. Ohne eine Leiche, eine Mordwaffe und ein Motiv gab es keinen Fall. Was kaschierten die Selbstmordstatistiken? Die Drogentoten? Die Verschwundenen, wie die Frau im Moor. Die Vergessenen, für deren Verschwinden oder Tod schnell eine natürliche Erklärung gefunden worden war und der Fall eingestellt oder abgeschlossen wurde. Früher half der Suchdienst in diesen Fällen, wenn die lokale Polizei aufgegeben hatte. Es wurde nicht ermittelt, man wartete nur darauf, dass der Verschwundene – oder eine Leiche – auftauchte. Der Fall aus Silkeborg war ein gutes Beispiel. Er hatte auch keine Zweifel daran, dass wohl auch unschuldig Verurteilte in den dänischen Gefängnissen saßen. Einige davon hatten sich selbst aus irgendeinem Grund gestellt, obwohl sie unschuldig waren. Gefälschte Beweise, Justizirrtümer, Fehler von Seiten der Ermittler und der Techniker, unentdeckte Beweise, die den Verurteilten entlasten könnten.

      Er streckte den Rücken und die Beine, stand auf und schaltete den Drucker ein. Der brummte und jammerte ein paar Mal und begann dann, Papier auszuspucken. Er sammelte sie auf einem Haufen. Nun wollte er hören, was die anderen zu dem Fall zu sagen hatten. Nur in einem Punkt war er sich sicher – es kam viel Arbeit auf sie zu.

      Drei Mal schnelles Klopfen an der Tür, die aufgerissen wurde, bevor er antworten konnte, ließ ihn Kim Ansager wütend ansehen, dessen bebrilltes Gesicht sich entschuldigend in der Tür zeigte.

      »Verzeihung, dass ich unterbreche, aber diese Journalistin ist hier draußen und will mit dir reden. Die, du weißt ...«

      Er wusste genau, wen Kim meinte. Außerdem konnte er ihre dünne Gestalt hinter ihm ungeduldig trippeln sehen.

      »Ich hoffe, es ist wichtig«, brummte er, legte schnell die Ausdrucke in die Schublade und fuhr den PC runter.

      Anne Larsen setzte sich unaufgefordert auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. Sie hatte weiter abgenommen und das Gesicht unter dem kohlschwarzen Haar wirkte besonders blass.

      »Ich hoffe, es ist wichtig«, wiederholte er.

      »Ist es. Danke übrigens für die gute Pressekonferenz. Es ist selten, dass ihr so informativ seid.« Sie lächelte.

      Er murmelte irgendetwas Unhörbares. Ginge es ausschließlich nach ihm, hätte die Presse nicht so viele Informationen bekommen. »Was wollen Sie dann noch? Es kann unmöglich etwas geben, das Sie noch nicht wissen«, sagte er sarkastisch.

      »Nein. Das gibt es auch nicht. Aber es gibt da etwas, das Sie noch nicht wissen.«

      Der Machtkampf war eröffnet.

      »Darf ich?«, fragte sie und nahm die Thermoskanne vom Schreibtisch und einen Becher aus dem Stapel, der auf dem Sideboard am Fenster stand.

      »Natürlich.« Jetzt war es ohnehin zu spät, Nein zu sagen. »Ich habe in zehn Minuten ein Meeting, also ist nicht viel Zeit. Was weiß ich nicht?« Es war noch eine halbe Stunde Zeit bis zu dem Meeting, aber das musste sie nicht wissen. »Wo haben Sie heute eigentlich ihre Fotografin gelassen?«, fragte er schnell, um die Lüge zu kaschieren, obwohl sie diese natürlich trotzdem nicht durchschauen konnte.

      »Kamilla? Die ist im Krankenhaus bei ihrer kranken Mutter«, antwortete Anne Larsen mit einem Tonfall, als ob die Fotografin in einem Café säße und Kaffee tränke.

      Roland schwieg und beobachtete sie irritiert, während sie es sich mit dem Kaffee, von dem sie trank, ohne ein Zeichen des Unbehagens zu zeigen, wieder auf dem Stuhl bequem machte.

      »Ich wurde gestern Vormittag in der Redaktion angerufen. Der Anrufer wollte eigentlich mit dem Verantwortlichen reden, aber Thygesen ist krank. Der Mann hatte eine Stimme, als ob er sich die Nase zuhielte, und sagte, er wisse etwas über die Leiche im Moor«, fuhr sie fort.

      Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück und sah sie mit einem nachsichtigen Lächeln an. »Sie wissen doch, dass so ein Fall alle Verrückten anzieht. Das war bestimmt nur einer, der in die Zeitung wollte.«

      Anne schüttelte den Kopf und trank wieder von ihrem Kaffee. »Das dachte ich auch erst, und ich habe dem zunächst auch keine Bedeutung zugemessen vor der Pressekonferenz. Er sagte nämlich, er habe eine Vermutung, wer die Leiche sei, und wenn sich seine Vermutung bewahrheiten sollte, würden noch mehr Morde geschehen. Es klang fast, als ob er ein ganzes Massaker erwarten würde!«

      »Das ist ja wohl auch genug für euch, um einen tollen, großen Artikel über ihn zu bringen, stimmt’s?« Roland lächelte immer noch und nahm sich einen Kaugummi, als sich der Drang nach einer Zigarette plötzlich meldete.

      »Ja, wenn es das wäre, was er wollte. Aber er wollte anonym bleiben.« »Noch schlimmer!«

      »Ja, er wäre zu nichts zu gebrauchen, wenn nicht ...«

      Anne Larsen tat es wieder. Das, was ihn immer quälte, wenn sie auf etwas Interessantes zu sprechen kam. Sie machte eine Kunstpause und wollte seine Augen betteln sehen, dass sie weiter redete.

      »Was denn?«, sagte er nach der Pause, in der sie provozierend in den schwarzen Kaffee im Plastikbecher sah, während sie wie eine Fanfare vor dem großen Finale mit den Nägeln dagegen trommelte. Seine Stimme zitterte ein bisschen vor Spannung und das ärgerte ihn noch mehr, weil er wusste, dass sie das genoss.

      »Sie meinen, dass er wirklich wusste, wer die Ermordete war?« Er gewann die Oberhand und sah die Enttäuschung in ihrem Gesicht.

      »Genau. Woher hätte er wissen können, dass es sie war, lange vor der Pressekonferenz – ja, lange vor dem Ergebnis der Rechtsmedizin?«

      Er bezwang sich selbst darin, ein bisschen zu energisch auf dem Kaugummi zu kauen.

      »Sie haben keinen Namen bekommen? Haben Sie Geräusche im Hintergrund gehört, die einen Hinweis geben könnten, von wo er anrief?« »Nichts, nein. Doch, es klang so, als ob im Hintergrund gedämpfter Verkehrslärm wäre, aber das ist heutzutage ja überall so. Und ich glaube, er ist leider zu klug, um von einem Handy aus anzurufen, das man aufspüren kann, wenn er daran dachte, seine eigene Stimme


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