Die Löwenskölds - Romantrilogie. Selma Lagerlöf

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Die Löwenskölds - Romantrilogie - Selma Lagerlöf


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plötzliche Gedanke, er könnte dieser Person begegnen, hatte ihn aufgehalten.

      Aber er verhöhnte den armseligen, furchtsamen, sündigen Menschen, der in seiner Brust wohnte, weil dieser geglaubt hatte, er habe die Macht, ihn an der Ausführung seines Vorsatzes zu hindern, und so setzte er seine Wanderung fort.

      Nach wenigen Sekunden hörte er Wagengerassel hinter sich. Gleich darauf fuhr ein Gefährt vorbei, das von einem prächtigen Renner gezogen wurde.

      In dem Gefährt saß einer der mächtigen stolzen Grubenbesitzer dieser Gegend, ein Mann, der so viele Bergwerke und Eisenhämmer besaß, daß er an Rang Schagerström gleichgestellt wurde. An seiner Seite saß seine Tochter, und wenn er von der andern Richtung hergefahren gekommen wäre, so hätte der junge Geistliche sich gezwungen gesehen, seinem Gelübde entsprechend dem stolzen Mann ein Zeichen zum Anhalten zu geben, damit er um die Tochter hätte werben können.

      Es war nicht leicht zu sagen, welchen Ausgang dieses Unternehmen genommen hätte. Ein Peitschenhieb übers Gesicht wäre nicht undenkbar gewesen. Der Grubenbesitzer Aron Månsson war gewöhnt, seine Töchter mit Grafen und Baronen, aber nicht mit Hilfsgeistlichen zu vermählen.

      Aufs neue wurde dem armen sündigen Menschen, der in Karl Arturs Brust wohnte, angst und bange. Er riet ihm, umzukehren, die Sache sei doch allzu gefährlich.

      Aber das neue tapfere Gotteskind, das ebenfalls in ihm wohnte, erhob seine jubelnde Stimme. Es freute sich, sein Vertrauen und seinen Gehorsam beweisen zu können.

      Zur rechten Seite der Straße erhob sich ein steiler Bergrükken, dessen Hänge mit jungen Tannen, kleinen Birken und wilden Kirschbäumen bestanden waren. Durch das dichte Gestrüpp kam jemand daher und sang. Karl Artur konnte die Sängerin nicht sehen, aber die Stimme war ihm wohlbekannt. Sie gehörte der schlampigen Tochter des Gastwirts, die jedem Burschen nachlief. Sie war Karl Artur schon ganz nahe. Jeden Augenblick konnte es ihr einfallen, in die Landstraße einzubiegen.

      Unwillkürlich trat Karl Artur leise auf, damit seine Schritte von der Sängerin nicht gehört würden. Er sah sich auch ab und zu nach einer Möglichkeit um, von dem Weg auf die Landstraße abzubiegen.

      Auf der anderen Straßenseite lag eine Wiese, auf der eine Kuhherde graste. Aber die Kühe waren nicht allein, ein Mädchen war eben dabei, sie zu melken. Auch diese Person war Karl Artur nicht unbekannt. Es war die Stallmagd des Pächters der Propstei, groß wie ein Mann und mit drei unehelichen Kindern. Karl Arturs ganzes Sein und Wesen ward von Entsetzen ergriffen, aber ein Gebet zu Gott hinaufsendend ging er doch weiter.

      Die Wirtstochter sang drin im Gehölz, die große Stallmagd war mit dem Melken fertig und schickte sich zum Heimgehen an, aber keine von beiden kam auf den Weg heraus. Karl Artur begegnete ihnen nicht, obgleich er sie sah und hörte.

      Der arme sündige alte Mensch in ihm kam nun mit einem neuen Einwand. Er sagte zu ihm, vielleicht wolle Gott ihm diese beiden leichtsinnigen Frauen zeigen, nicht so sehr, um seinen Glauben und seinen Mut zu prüfen, sondern um ihn zu warnen. Vielleicht wolle er ihm zu verstehen geben, daß er töricht und leichtsinnig handele.

      Aber Karl Artur brachte den schwachen, schwankenden Sünder in sich zum Schweigen und ging auf dem eingeschlagenen Weg weiter. Sollte er wegen so wenig nachgeben? Sollte er mehr an seine Angst als an Gottes Macht glauben?

      Nun endlich kam ihm eine weibliche Person entgegen; dieser konnte er nicht ausweichen.

      Obgleich sie noch in ziemlicher Entfernung war, erkannte er doch, wer es war, nämlich die Tochter des Häuslers Matt Elis, deren ganzes Gesicht durch ein Muttermal entstellt war. Und nicht genug, daß das arme Mädchen ein unbehagliches Aussehen hatte, nein, sie war auch vielleicht das ärmste Mädchen im ganzen Kirchspiel, dazu mit Vater und Mutter und zehn unversorgten Geschwistern behaftet.

      Karl Artur hatte sie schon wiederholt in ihrer ärmlichen Hütte aufgesucht, wo es von zerlumpten, schmutzigen Kindern wimmelte, die die Älteste vergeblich zu kleiden und zu ernähren versuchte.

      Karl Artur fühlte, wie ihm der Angstschweiß auf der Stirn ausbrach; aber dann faltete er die Hände und ging ruhig weiter.

      »Es geschieht ihretwegen, damit sie Hilfe bekommt«, murmelte er, während er ihr näher kam.

      Ach, ein wahres Märtyrertum tauchte vor Karl Arturs Seele auf! Aber er wollte in dieser Beziehung vor nichts zurückweichen. Vor diesem bettelarmen Mädchen fühlte er keinen so großen Widerwillen wie vorhin vor der Wirtstochter und der Stallmagd. Von dieser hatte er nichts als Gutes gehört.

      Doch siehe, als sie nur noch zwei Schritte voneinander entfernt waren, bog sie vom Weg ab. Irgend jemand hatte sie vom Wald her angerufen, und sie verschwand rasch in dem Gebüsch.

      Als die Häusler-Elis nun aus dem Spiel war, hatte Karl Artur doch die Empfindung, als sei ihm ein sehr schwerer Stein vom Herzen gefallen.

      Jetzt fühlte er neue Zuversicht, und er ging hoch erhobenen Hauptes weiter, ebenso stolz, wie wenn es ihm geglückt wäre, die Stärke seines Glaubens zu beweisen, indem er wie Petrus auf dem Wasser ging.

      »Gott ist mit mir«, sagte er. »Christus begleitet mich auf meinem Weg und hält seinen Schild über mir.«

      Diese Gewißheit trug ihn empor, und sie erfüllte ihn mit Seligkeit.

      »Jetzt kommt bald die Rechte«, dachte er. »Christus hat mich geprüft, und er hat gesehen, daß es mir ernst ist. Nein, ich weiche nicht zurück. Meine Erwählte ist im Anzug.«

      Eine Minute später hatte er die kurze Wegstrecke zurückgelegt, die die Propstei von dem Kirchdorf trennt, und er wollte eben in die Dorfstraße einbiegen, als sich die Tür eines kleinen Hauses öffnete und ein junges Mädchen heraustrat. Sie ging durch das Vorgärtchen, das sich auch hier, wie vor allen anderen Häusern der kleinen Ortschaft, ausbreitete, und von da gerade zu Karl Artur auf den Weg hinaus.

      Und so plötzlich war sie da aufgetaucht, daß nur noch zwei Schritte zwischen ihnen lagen, als Karl Artur ihrer ansichtig wurde.

      Er hielt jäh an, und sein erster Gedanke war: »Das ist sie, das ist sie! Hab’ ich es nicht gesagt? Gerade jetzt mußte sie mir in den Weg kommen, ich wußte es wohl.«

      Darauf faltete er die Hände, um Gott für seine große, wunderbare Gnade zu danken.

      Das Mädchen, das ihm entgegenkam, war nicht in diesem Kirchspiel zu Hause, sondern stammte aus einem der nördlichen Dörfer in Dalarne; sie zog umher und trieb einen Hausierhandel. Sie trug die Tracht ihres Heimatbezirkes, ihr Anzug war rot, grün, weiß und schwarz, und in Korskyrka, wo die alte Dorftracht längst abgeschafft worden war, leuchtete sie wie eine wilde Rose im Hag. Und im übrigen war sie selbst noch viel schöner als ihre Kleidung. Ihr Haar lockte sich um eine prachtvolle Stirn, die auch sehr hoch erschien, und die Gesichtszüge waren edel geformt. Aber vor allem waren es die tiefen traurigen Augen und die dichten schwarzen Brauen, die für das Antlitz entscheidend waren. Sobald man diese Augen sah, war man vollständig überzeugt, daß sie jeglichem Gesicht Schönheit verleihen würden. Dazu war ihre Gestalt groß, stattlich, nicht gerade schlank, aber gut gebaut. Ja, sie war gesund und frisch, darüber hätte niemand auch nur einen Augenblick im Zweifel sein können. Auf dem Rücken trug sie einen großen schwarzen ledernen Ranzen mit Handelswaren gefüllt, aber trotzdem schritt sie ganz aufrecht einher und bewegte sich mit einer Leichtigkeit, als wisse sie gar nichts von irgendeiner Last.

      Was Karl Artur betrifft, so fühlte er sich beinahe geblendet.

      »Das ist der Sommer, der mir entgegenkommt«, sagte er zu sich selbst. Ja, der reiche, warme, blühende Sommer war’s, der in diesem ganzen Jahr schon geherrscht hatte. Wenn er ihn hätte malen können, so hätte das Bild genauso ausgesehen wie dieses Mädchen.

      Aber wenn es der Sommer war, der ihm da entgegenkam, so war es wahrlich kein Sommer, vor dem er sich zu fürchten brauchte. Im Gegenteil! Gottes Absicht war, daß er ihn an sein Herz nehmen und sich über dessen Schönheit freuen solle. Er brauchte keine Besorgnis zu hegen. Diese, seine Braut, so farbenprächtig und schön sie auch war, sie kam aus fernen Gebirgsgegenden, aus Armut und Niedrigkeit. Sie wußte nichts von den Verlockungen des Reichtums


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