Das Günter-Prinzip. Stefan Frädrich

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Das Günter-Prinzip - Stefan Frädrich


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kann der Kerl es wagen, mir sagen zu wollen, dass das Leben schön und die Welt gut ist?!« Dabei ist mir (und etlichen tollen Kollegen) Seriosität sehr wichtig. Wer die Mittel positiver Psychologie anwendet, macht nichts anderes als das, was jeder Mensch ohnehin jeden Tag tut: Er schafft sich seine eigene Wirklichkeit.

      Nun könnte man sagen, eigene Wirklichkeiten zu schaffen, sei demnach eine Art Grundrecht. Jeder dürfe somit alles Mögliche behaupten – und jeder andere könne sich sein eigenes Bild davon machen. So weit, so gut. Problematisch aber wird es, wenn wissentlich Behauptungen getätigt werden, die sich nicht nachweisen lassen oder die sogar vulgo »falsch« sind. Meist fließt dabei ein individueller Verfälschungsfaktor in die subjektive Beurteilung mit ein: eben die eigene Wahrnehmung! Und die führt einen manchmal an der Nase herum.

      Die magische

      TOILETTE

      Beispiel: Sie sitzen in der Kneipe und gucken im TV ein Fußballspiel. Und weil Sie viel Bier getrunken haben, gehen Sie mal schnell zum Pinkeln. Nun stellen Sie sich vor, Ihre Mannschaft schießt währenddessen ein Tor. Was könnte nun gemäß den Gesetzen der konstruierten Wirklichkeit geschehen? Sie könnten glauben, das Tor und Ihr Pinkeln stünden in einem kausalen Zusammenhang! Wehe, wenn Sie nun auf der Toilette bleiben und Ihre Mannschaft wieder ein Tor schießt: Dann könnte es sein, dass Sie fortan sämtliche Spiele vom stillen Örtchen aus beobachten – immerhin unterstützen Sie damit Ihr Team …

      Unlogisch? Klar! Weil einigermaßen vernünftig vermutet werden kann, dass eben kein kausaler Zusammenhang zwischen Pipimachen und Toreschießen besteht. Trotzdem wäre denkbar, dass ein entsprechend Verpeilter daran glauben könnte. Und er würde bald alles Mögliche an Begründungen ins Feld führen, warum er mit seiner Sichtweise recht hätte – selbst wenn die Tore nach wie vor nicht am Fließband (oder sogar für die Gegenmannschaften!) fallen: Vielleicht hat er falsch gestanden? Hatte das falsche T-Shirt an? Etwas Falsches gegessen? Dennoch: Unterm Strich »fühlt« er, das Richtige zu tun. Immerhin wird er durch ständig neu fallende Tore in seiner Wahrnehmung bestärkt.

      Hilfe, ein

      Wahn!

      Es entsteht also eine Art Wahnsystem: Seine Überzeugung wird zur subjektiv empfundenen Gewissheit, die sich selbst füttert, obwohl sie keinen objektiven Kriterien standhält. Den Gegenbeweis anzutreten und wieder ein paar Spiele außerhalb der Toilette zu verbringen, um die Kausalität kritisch zu überprüfen, kommt nicht infrage. Dumm gelaufen …

      Was will ich mit diesem Beispiel sagen? Ich möchte erklären, wie Esoterik funktioniert. Denn ähnlich wie unser pinkelnder Fußballfan steckt auch unsere alltägliche Umwelt voller wirrer Pseudokausalitäten, die – mit ein bisschen Ideologie aufgepeppt – unter erstaunlich gewohnten Handelsnamen die Runde machen: Homöopathie, Akupunktur, Bachblüten, Bioresonanz, Traditionelle Chinesische Medizin, Heilsteine, Holopathie, Meridianklopftherapie und so weiter und so fort. Alle haben dabei eines gemeinsam: Keiner weiß wirklich, wie es gehen soll – obwohl viele wirre Theorien kursieren. Es bestehen eben keine Kausalitäten. Trotzdem machen es viele.

      LOGISCHE ERKLÄRUNGEN

      Ein bisschen ist es wohl wie bei der schlichten Erkältung: Wann gehen wir damit zum Arzt? Wenn es uns richtig dreckig geht. Und wann geht es uns dreckig? Wenn die Krankheit maximal ausgeprägt ist. Was aber passiert nach der maximalen Ausprägung? Die Erkrankung wird wieder besser. Und zwar völlig unabhängig vom Arztbesuch. Das bedeutet, dass der Arzt uns nun so ziemlich jedes Mittelchen geben kann – alles »bewirkt«, dass es uns bald besser geht. Wir glauben, dass die Besserung etwas mit dem Mittelchen vom Arzt zu tun hat! Kein Wunder also, dass Homöopathie und Co. so erfolgreich sind … (Übrigens: Wussten Sie eigentlich, dass die angeblichen Wirkstoffe in homöopathischen Medikamenten so stark verdünnt sind, dass sich der Stoff faktisch nicht mehr darin nachweisen lässt? Das ist in etwa so, als würden Sie einen Tropfen Pipi mit zehn Olympiaschwimmbecken Wasser verdünnen. Und weil gemäß der HomöopathieIdeologie im Wasser dennoch eine Art Gedächtnis enthalten sein soll, »bewirkt« der Tropfen Pipi angeblich trotzdem irgendetwas. Junge, Junge! Wenn schon abwesende Moleküle so einen Effekt haben, möchte ich gar nicht daran denken, was anwesende alles anstellen …)

      Das Einzige, was sich bei esoterischen Methoden aber nachweisen lässt, ist der Placebo-Effekt. Den aber gibt es durchaus: Wer glaubt, bewirkt etwas – und zwar die Ausschüttung endogener Opioide und Dopamin im Kopf. Die machen, dass es uns besser geht: Wir fühlen uns gut, haben weniger Schmerzen oder Zweifel. Wir sind sozusagen gedopt. Und dadurch haben wir manchmal den Eindruck, ein Mittelchen helfe, obwohl es dafür gar keine Kausalität gibt! Das aber bedeutet etwas völlig Schräges: Wir können etwas nachweislich Wirres und objektiv Falsches tun und dadurch dennoch einen positiven und vielleicht sogar richtigen Effekt bewirken!

      Das Geheimnis

      liegt im Glauben an die

      Wirksamkeit

      So hat man zum Beispiel nachgewiesen, dass Akupunktur bei chronischen Rückenschmerzen weit hilfreicher ist als »echte« Schmerztabletten. Ja, mehr noch: Sogar Placebo-Akkupunktur ist den echten Schmerzmitteln überlegen! Wohlgemerkt: Akupunkturnadeln, die völlig willkürlich in die Haut gepiekst wurden, »halfen« im Versuch besser gegen Schmerzen als Mittel, die nachweislich die Schmerzintensität verringern. Warum? Weil es der Glaube an die Hilfe ist, der hilft. Die Hilfe entsteht somit im eigenen Kopf, ist also selbstgemacht. Besonders dann, wenn die »Geschichte« drum herum stimmt: die historische Story der Akupunkturmethode, die Nadeln, die Atmosphäre, die Zuwendung des »Therapeuten« zum Patienten – all das sind gewissermaßen Simulatoren für Glaubwürdigkeit. Wir werden zu Protagonisten einer konstruierten Wirklichkeit. Schon wieder. Und vor allem: Es hilft tatsächlich!

      Mit Geschichten drum herum »verkaufen« wir uns gewissermaßen selbst, woran wir glauben wollen. Die eigentliche Wertigkeit entsteht durch die Inszenierung. Essen Sie mal in einer schmuddeligen Autobahnraststätte ein Wiener Schnitzel. Auf den schlichten Tischen sind Krümel, der Fernfahrer am Nachbartisch reißt dreckige Witze und es riecht nach Bratfett. Und dann essen Sie das genau gleiche Wiener Schnitzel in einem liebevoll eingerichteten österreichischen Restaurant, das Ihnen in einem Gourmetführer empfohlen wurde. Die Tischdecke ist strahlend weiß, die Wände sind kunstvoll holzvertäfelt, ein Blumensträußchen und Kerzen stehen vor Ihnen. Ein sympathischer Kellner lässt Sie aus einer hochwertig anmutenden Speisekarte aussuchen und beherrscht perfekte Umgangsformen. Was glauben Sie: Wo wird Ihnen das Schnitzel mit Sicherheit besser schmecken – selbst wenn es in beiden Situationen absolut identisch ist? Die harten Fakten sind genau gleich, nur die suggestive Wirkung der Inszenierung drum herum unterscheidet sich – und bestimmt demnach unsere Interpretation.

      Erwünschte

      POSITIVE EFFEKTE

      Betrachten wir es mal positiv: Unterm Strich bedeutet das, dass wir eben doch die Welt im eigenen Kopf kreieren – obwohl unser Kopf nicht unbedingt eine Auswirkung auf die Umwelt haben muss. Wer Fußballspiele auf der Toilette verfolgt, beeinflusst das Torschießen nicht. Aber: Er hat den Eindruck, als beeinflusse er es. Und insofern kann es ihm auf der Toilette durchaus sehr gut gehen. So kann zum Beispiel auch Akupunktur wissenschaftlich betrachtet Unsinn sein – wenn Patienten daran glauben, steigen dennoch die Chancen auf positive Effekte. So hätte ich auch gar nichts dagegen, wenn die 20 Millionen Raucher in Deutschland alle eine Anti-Nikotin-Akupunktur machten. Denn: Wenn nur zehn Prozent daran glauben, könnten auf einen Schlag 200.000 frisch gebackene Nichtraucher entstehen! Wir täten etwas Richtiges, obwohl wir es wissenschaftlich betrachtet falsch machten.

      Womit wir wieder bei der Kausalität wären. Denn: Nicht die Akupunktur macht das Nichtrauchen. Sondern der Glaube daran, nun dank der Akupunktur nicht mehr rauchen zu müssen – und insofern nicht mehr zur nächsten Zigarette zu greifen, wodurch sich die nächste Nikotinzufuhr erübrigt, die nächste Synapsenirritation, die nächsten leichten Entzugssymptome und bald auch – dank neu gelernter Erfahrungen – die nächsten Stresszigaretten, Pausenzigaretten, Verdauungszigaretten und so weiter. Die Kettenreaktion des


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