Sammelband 7 Schicksalsromane: Von ihren Tränen wusste niemand und andere Romane. A. F. Morland

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Sammelband 7 Schicksalsromane: Von ihren Tränen wusste niemand und andere Romane - A. F. Morland


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Sie sich, Frau Kramreiter, nun bin ja ich hier“, hatte Sven Kayser erwidert und die Arzttasche abgestellt.

      „Diese Schmerzen, diese verfluchten Schmerzen, Herr Doktor“, hatte Albert Kramreiter gehechelt und dabei die Hände gegen seinen Unterleib gepresst. „Nicht auszuhalten sind sie. Woher kommen diese furchtbaren Schmerzen? Bitte, helfen Sie mir, Herr Doktor.“

      „Wo befindet sich das Zentrum des Schmerzes, Herr Kramreiter?“

      „Ich ... weiß ... nicht ... Es tut alles weh, so weh ... Der ganze Unterleib ... Ein Bohren und Ziehen ... Ganz schrecklich, Herr Doktor ... Bis runter in die Hoden ... Was ist das bloß? Muss ich sterben, Herr Doktor?“

      „O mein Gott!“, hatte Herta Kramreiter verzweifelt aufgeschluchzt. „Sag doch nicht so etwas Furchtbares, Albert! Der Herr Doktor wird dir ganz bestimmt helfen! Nicht wahr, Herr Doktor,

      das werden Sie!“

      Sven hatte den Patienten untersucht.

      „Ich kann nicht stehen, nicht liegen, nicht knien“, hatte Albert Kramreiter geröchelt. „Diese grässlichen Schmerzen lassen in keiner Lage nach.“

      „Scheint sich um einen Nierenstein zu handeln“, hatte Sven gesagt. „Oder um Sand im Harnleiter.“

      „Muss mein Mann operiert werden?“, hatte Herta Kramreiter ängstlich gefragt.

      „Wenn es Nierensand ist, lässt er sich ausschwemmen.“

      „Und wenn es ein Stein ist?“

      „Muss auch nicht gleich operiert werden“, hatte Sven erwidert. „Es gibt eine ganze Menge von Methoden, einen Nierenstein zu entfernen, ohne zu operieren.“

      Er hatte dem Patienten eine intravenöse Spritze gegeben, und mit dem nächsten Herzschlag waren die Schmerzen wie weggeblasen gewesen.

      Über das eben noch schmerzverzerrte Gesicht des Mannes hatte sich ein verblüffter Ausdruck gebreitet. „Liebe Güte, wie haben Sie das gemacht, Herr Doktor? Mir tut auf einmal nichts mehr weh. Sie sind ein Zauberer.“

      Herta Kramreiter hatte unendlich erleichtert die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. „Ich ... ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll, Herr Doktor. Der Himmel möge es Ihnen vergelten, und bitte verzeihen Sie, dass ich Sie angerufen und Ihnen den Abend verdorben habe, aber ...“

      „Schon gut, Frau Kramreiter“, hatte Sven Kayser erwidert. „Sie haben mir den Abend nicht verdorben.“ Er hatte dem Patienten empfohlen, viel zu trinken. „Wenn Sie Glück haben, geht der Stein oder der Sand – was immer es ist – von alleine weg. Auf jeden Fall aber lassen Sie sich am Montag in der Seeberg-Klinik ansehen. Sobald man Sie geröntgt hat, wird man wissen, was los ist, und, falls erforderlich, die entsprechende Therapie einleiten.“

      „Danke, Herr Doktor“, hatte Herta Kramreiter selig gesagt. „Tausend Dank.“

      „Wo kann ich mir die Hände waschen?“, hatte Sven gefragt.

      „Ich zeig’s Ihnen.“ Frau Kramreiter hatte ihm ein sauberes Handtuch gebracht. Wenig später hatte er sich verabschiedet.

      Und nun trat Sven Kayser aus dem Haus, in dem die Kramreiters wohnten, und ging zu seinem Wagen. Er hatte Durst und überlegte, ob er irgendwo ein Bier trinken gehen solle.

      Da sprach ihn plötzlich jemand an: „So spät noch unterwegs, Herr Doktor? Ein Hausbesuch? Sie haben wohl nie frei, wie?“

      Sven drehte sich um. „Ah, guten Abend, Herr Schmidt.“

      Walter Schmidt, der Patient mit dem ausgeheilten Magengeschwür, kam näher. „’n Abend, Herr Doktor.’’

      „Wie geht es Ihnen?“, erkundigte sich Sven Kayser. „Was macht Ihr Magen?“

      Schmidt grinste. „Der erfreut sich wieder bester Gesundheit.“

      „Freut mich zu hören“, sagte Sven. ,,Wohin sind Sie unterwegs?“

      Walter Schmidt zog die Mundwinkel nach unten und hob die Schultern. „Ich hab’ eigentlich kein bestimmtes Ziel. Ich zieh’ einfach so um die Häuser. Zu Hause sterben die Leute, sagt man.“ Eine Idee blitzte in den Augen des mittelgroßen, mageren Grafikers auf. „Was halten Sie davon, wenn ich Sie zu irgend etwas einlade, Herr Doktor? Oder haben Sie noch etwas Wichtiges vor?“

      „Ich hab’ nichts mehr vor. Ich wäre nach Hause gefahren.“

      Schmidt winkte ab. „Das können Sie später immer noch.“ Er kannte eine Kneipe, die sich gleich um die Ecke befand. Dort löschte Sven Kayser mit Bier seinen Durst.

      „Hat sich in Ihrem Leben irgend etwas geändert?“, erkundigte sich Sven.

      Walter Schmidt schüttelte verlegen lächelnd den Kopf. „Noch nicht“, sagte er. „Aber ich arbeite dran“, fügte er rasch hinzu, als wollte er dem Grünwalder Arzt eine Freude machen.

      „Die Umstände, die dazu geführt haben, dass Sie dieses Magengeschwür bekamen, existieren also noch immer.“ Sven wiegte den Kopf. „Sie sind sehr unvernünftig, Herr Schmidt.“

      „Ich werde mir schon noch den nötigen Ruck geben, Herr Doktor. Warten Sie’s ab. Ich schaff’ das bloß nicht von heute auf morgen. Die Latte liegt hoch, da komme ich nicht aus dem Stand drüber, verstehen Sie? Da muss ich schon einen kleinen Anlauf nehmen.“

      Sven hatte nicht den Eindruck, dass Walter Schmidt den festen Willen hatte, sein Leben besser in den Griff zu bekommen. Dieser Mann würde sich wohl ewig treiben lassen, weil das bequemer für ihn war. Und er würde weiterhin unzufrieden sein und all jene beneiden, die mehr erreicht hatten als er. Dass die, es aber mit ernsthaftem Fleiß, zäher Disziplin und eiserner Energie geschafft hatten, ließ er dabei selbstverständlich außer acht, um sich selbst keine wie immer gearteten Vorwürfe machen zu müssen. Er baute wohl auf die Vagusnerv-Operation, die der erneuten Bildung eines Magengeschwürs sowieso vorbeugte.

      17

      Am nächsten Morgen sah Dr. Yvonne Wismath nicht mehr schwarz. Über Trier spannte sich ein stahlblauer Himmel, und die Sonne schien angenehm warm. Yvonne ließ sich das späte Frühstück im Hotel gut schmecken. Sie saßen am Fenster, unter ihnen zog die Mosel vorbei, Schiffe fuhren schwer beladen stromaufwärts.

      „Donnerwetter, du verdrückst aber eine ganze Menge“, staunte Walter Schmidt.

      Yvonne blinzelte schelmisch. „Wir haben uns letzte Nacht so oft geliebt, ich habe dabei eine Menge Kalorien verbraucht. Die muss ich meinem Körper nun wieder zuführen.“

      Walter grinste. „Um fit zu sein fürs nächste Mal?“

      „Vielleicht“, gab sie verschmitzt zurück. „Verrätst du mir heute, wohin du mit mir fährst?“

      „Ganz sicher nicht. Du wirst es sehen, wenn wir da sind.“

      Sie verließen Trier und fuhren gemächlich nach Norden, und es stellte sich bald heraus, dass Walters Ziel in der Eifel lag. Sie kamen an einigen dunklen Maaren vorbei und erreichten schließlich einen Ort namens Gerolstein. Nach dem Mittagessen besichtigten sie den bekannten Adler- und Wolfspark Kasselburg, sahen Wildschweinrotten, Mufflons, Schafe, Zwergziegen und


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