Impact-Techniken für die Psychotherapie. Danie Beaulieu

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Impact-Techniken für die Psychotherapie - Danie Beaulieu


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versteht. Wir werden Komplizen und sind uns daher sehr nahe.

      Kennen Sie das Autokennzeichen Ihres Nachbarn? Kennen Sie das Logo und die Bankleitzahl Ihrer Bank? Wissen Sie, ob die Kassiererin im Supermarkt einen Ring trägt? Wie ist die erste Seite der Speisekarte in dem Restaurant gestaltet, das Sie häufig aufsuchen? Fällt es Ihnen schwer, auf diese Fragen zu antworten? Es kann sein, dass Sie eine Sache hundert, vielleicht sogar tausend Mal gesehen haben. Ihre Augen haben es gesehen, aber Ihr Gedächtnis hat es nicht gespeichert, weil es nicht von Interesse ist. Das Gedächtnis funktioniert gemäß dem Interesse.

      Anders als man es glauben könnte, sind unsere Klienten nicht immer daran »interessiert«, über sich, ihre Schwierigkeiten und anzustrebende Lösungen zu sprechen. Ein Teil unserer Arbeit besteht darin, unsere Klienten zu involvieren, und dies setzt voraus, dass der Prozess für sie »interessant« ist. Interessant bedeutet, dass etwas Unerwartetes, eine Überraschung geschieht beispielsweise, durch das Aufzeigen von Perspektiven, die gewisse Wünsche auslösen und einfach Spaß machen, so dass der Klient Lust bekommt mitzumachen. Sobald Sie eine Übung vorschlagen, wird das Interesse geweckt. Im Grunde lösen Sie zwei spontane Reaktionen aus: Die erste besteht darin, dass das Gehirn dazu tendiert, ein Geschehen zu vervollständigen. Es ist ein Automatismus. Wenn Sie also Elemente in die Diskussion einbringen, die mit diesem Kontext nichts zu tun haben, versucht der Klient herauszufinden, warum das so ist, seine Haltung ändert sich, und es entsteht Neugierde. Zweitens: Sie benutzen Zugänge, die noch nicht infiziert sind, wodurch der Widerstand umgangen wird. In anderen Worten, wenn Sie bei einem Klienten ein Problem direkt verbal angehen, der nichts davon hören will, dann lösen Sie einen starken Widerstand aus. Wenn Sie dagegen den Klienten auffordern, z. B. mit Karten zu spielen oder ein Blatt Papier anzuschauen, das Sie durchreißen, dann überraschen Sie ihn und veranlassen ihn, Ihnen zu folgen, statt sich zu entfernen. Wenn es Ihnen gelungen ist, seine Aufmerksamkeit zu gewinnen, wird er sich Ihre Aussage sehr viel leichter und intensiver einprägen.

      Wenn beispielsweise ein Jugendlicher zu Ihnen geschickt wird, weil seine Eltern oder Lehrer Drogen bei ihm entdeckt haben, er also nicht aus eigenem Antrieb kommt, dann wird er mürrisch und abweisend auf das Gespräch reagieren und desinteressiert sein. Wenn Sie ihm dagegen ein Geldstück anbieten, sagen wir 1 Euro, dann lösen Sie starke neurologische Vernetzungen aus. Denn jeder ist an Geld interessiert, und gleichzeitig ist es eine Überraschung, die alle Sinne anspricht. Wenn er nun das Geldstück nehmen will, sagen Sie zu ihm: »Nein, nimm nur die Zahl und nicht die Münze.« Noch eine Überraschung! Interessant! Natürlich geht das nicht, er kann nicht nur die Zahl nehmen. Dann können Sie ihm die Botschaft vermitteln: »Sieh mal, so ist das auch mit den Drogen, man kann nicht nur den Genuss haben, sondern man nimmt auch alles, was dazugehört: Geldprobleme, Elternsorgen, Schulschwierigkeiten etc. Immer wenn du jetzt ein Geldstück siehst, wirst du dich daran erinnern.« Auch wenn der Jugendliche nicht bereit ist, mit Ihnen zu sprechen, so ist es Ihnen doch gelungen, einen Anker zu setzen, der ihn, spätestens wenn er wieder kommt und wenn er ein Geldstück sieht, daran erinnert. Glauben Sie nicht auch, dass Ihr Klient an diese Erfahrung denken wird, nachdem er Ihr Büro verlassen hat? Selbst wenn er intellektuell Ihre Intervention ins Lächerliche zieht, haben seine Augen und sein Körper diese Botschaft aufgenommen, auf bewusster und auf unbewusster Ebene.

      Milton Erickson hat das Interesse beim Klienten gründlich genutzt (Erickson u. Rossi 1998). Sie kennen vielleicht seine Geschichte von dem kleinen Mädchen, das wegen seiner Sommersprossen »Zimtgesicht« genannt wurde, worunter es sehr litt. Das Mädchen hatte überhaupt keine Lust, Doktor Erickson aufzusuchen. Als sie in sein Büro trat, und noch bevor sie ein einziges Wort sagen konnte, rief er: »Du bist eine Diebin! Du hast geklaut!« Er wusste, wie groß der Widerstand war, und lenkte ab, schuf, statt gleich auf das Thema Sommersprossen zu kommen, eine unvermutete »Erfahrung«. Das Interesse des Mädchens war geweckt, es musste sich gegen die Anschuldigung verteidigen, war emotional aufgewühlt und richtig wütend. »Ich bin keine Diebin! Ich habe noch nie etwas geklaut!« sagte es empört. »Doch, du bist eine Diebin, du klaust. Ich weiß auch, was du gestohlen hast.« rief er ihr zu. »Das können Sie nicht beweisen, das ist unmöglich, ich habe nichts geklaut«, wiederholte es noch aufgebrachter. »Ich weiß sogar, wo du warst, als du geklaut hast.« Das Mädchen war voller Wut und verteidigte sich vehement. Dann sagte Erickson: »Ich werde dir sagen, was und wo du gestohlen hast. Du warst in der Küche und hast den Tisch gedeckt, als du die Gebäckdose deiner Mutter entdeckt hast, du weißt schon, die Dose mit den Zimtstangen, du hast das Zimt auf dein Gesicht verteilt, und daher ist dein Gesicht voller Zimtflecke.« Die Wut, die das Mädchen wegen seiner Sommersprossen empfand, veränderte sich durch die große Empörung über die Anschuldigung. Von nun an akzeptierte es sein Zimtgesicht und begann sogar, Zimtgebäck zu mögen.

      Milton Erickson verwendete diese mnemotechnischen Gesetze spontan: Seine Interventionen lösten Interesse und intensive Gefühle aus, sprachen das Visuelle und den Körper auf konkrete Weise an und machten vorhandene Informationen nutzbar.

      Was glauben Sie, wie oft wird in der Werbung Humor eingesetzt und werden Lust und Spaß ausgelöst? Die Antwort kenne ich nicht, da die Werbung permanent wechselt und es darüber keine Statistiken gibt, aber es geschieht oft: Brauereien koppeln die Präsentation ihres Produkts an Feiern und Feste, die Hersteller von Jeans verbinden sie mit Sexualität, die im Übrigen bei den meisten Produkten angesprochen wird. McDonald behauptet, Familien glücklicher zu machen, Waschmittelhersteller lassen Ihre Kleidung weißer erscheinen, kurzum: Alle versuchen, ihr Produkt mit Lust und Freude zu verbinden. Sie haben verstanden, wie wichtig diese Faktoren für die Menschen sind.

      Nehmen wir einmal an, dass es in Ihrem Umfeld Personen gibt, bei denen Sie sich wohl fühlen und mit denen Sie lachen können, und andere, bei denen immer wieder geklagt und gejammert wird. Wen werden Sie zu Ihrem Geburtstag einladen? An wen denken Sie, wenn Sie ein Wochenende mit einem Freund auf dem Lande verbringen wollen?

      Stimmt es denn etwa, dass Sie einen bestimmten Bleistift, eine Sorte Papier, Zucker oder ein Waschmittel wirklich vorziehen? Bringen Ihnen diese Produkte wirklich Spaß oder Freude, und kaufen Sie sie deshalb?

      Daraus können wir Therapeuten, aber auch wir Eltern oder wir Partner bzw. Partnerinnen eine wichtige Lektion ableiten: Wir sollten uns viel öfter fragen, was Lust und Spaß bereitet, und diesen Weg einschlagen. Nehmen wir einmal an, Sie arbeiten mit einem Jugendlichen und es geht darum, Höflichkeit und Respekt gegenüber anderen zu zeigen. Höflichkeit und Respekt sind zwei Begriffe, die bei Jugendlichen nicht gut ankommen. Besser ist es, diese Begriffe zu vermeiden, denn es besteht die Gefahr, dass Sie damit das Gegenteil bewirken. Wie kann man das Thema angehen, ohne eine ablehnende Reaktion auszulösen? Vorschlag: Nehmen Sie eine Tüte gefüllt mit kleinen Geschenkartikeln und sagen Sie dem Klienten, dass Sie etwas ganz Besonderes für ihn gefunden haben. Wer wäre nicht von der Vorstellung angetan, ein Überraschungsgeschenk zu erhalten? Lassen Sie ihn wählen zwischen der Tüte mit den Geschenken und einem offensichtlich benutzten Taschentuch und zögern Sie vor allem nicht, es vor seinen Augen mit Getöse zu benutzen. Mit den entsprechenden Geräuschen bieten Sie es ihm an bzw. fordern ihn auf zu wählen, was er vorzieht: die Tüte mit dem Geschenk oder das benutzte Taschentuch. Meistens löst es ein Lachen aus. Super! Wir haben unser Ziel erreicht, es macht Spaß. Als Antwort kommt natürlich »die Geschenktüte«. Aber warum? Im Taschentuch könnte ein Goldklumpen verborgen sein, und die Geschenktüte könnte leer oder noch schlimmer voller gebrauchter Taschentücher sein. Aber trotzdem wählt jeder die Geschenktüte wegen der Verpackung. Fragen Sie dann den Jugendlichen, wie er seine Aussagen »verpackt«. Ähneln seine Aussagen eher einem benutzten Taschentuch oder einem hübsch eingepackten Geschenk? Lösen seine Worte den Wunsch aus, sie »entgegenzunehmen«, oder eher das Gegenteil »es nicht gerne zu berühren«? Der Jugendliche kann auf diese Weise besser verstehen, warum es sinnvoll ist, seine Aussagen deutlicher zu formulieren, wenn er verstanden und geachtet werden möchte.

      Natürlich handelt es sich hier um keine Wundermethode, und es muss auch über Höflichkeit gesprochen werden, aber anstatt es rein verbal zu tun, zeigen Sie dem Jugendlichen die Geschenktüte mit einem augenzwinkernden Lächeln!


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