Atlan-Paket 16: Im Auftrag der Kosmokraten (Teil 2). Hans Kneifel
Читать онлайн книгу.6.
Bericht Goman-Largo
Diese Vigpanderin!
Ich hatte schon immer gewusst, dass sie keine ängstliche Natur war, aber dass sie ganz bewusst bereit war, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um mich vor einem größeren Risiko zu bewahren, das hatte ich nicht als sicher betrachtet.
Doch genau das hatte sie getan.
Sie war einfach vorausgeflogen, obwohl das fremde Schiff völlig unbekanntes Gebiet für uns alle war und voller heimtückischer Gefahren stecken mochte.
Selbstverständlich hatte ich versucht, sie zu überholen. Aber ihr Gravojet-Aggregat war verblüffend gut. Sie konnte ihren Vorsprung halten – und als das breite Panzerschott voraus am Ende eines Korridorstücks auftauchte und sich überraschend öffnete, hielt sie nicht etwa an, wie das die Vorsicht geboten hätte, sondern beschleunigte extra noch einmal und flog hindurch.
Ich versuchte, alles aus meinem Gravojet-Aggregat herauszuholen, um so schnell wie möglich zu ihr aufzuschließen.
Statt dessen musste ich im nächsten Moment eine Vollbremsung vollführen, denn da fuhren die Schotthälften rasend schnell zusammen.
Ich schaffte es gerade noch und prallte nur minder schwer gegen das geschlossene Schott. Nachdem ich mein Flugaggregat desaktiviert hatte, sackte ich benommen zusammen. Ich schüttelte den Kopf, um die Benommenheit loszuwerden, dann zog ich meinen Quintadimwerfer.
Allerdings hielt ich mich noch zurück.
Es war nicht meine Art, Probleme mit Waffengewalt lösen zu wollen. So etwas taten nur Narren. Wer länger leben wollte, der ließ lieber die Vernunft sprechen. Dennoch spielte ich diesmal ernsthaft mit dem Gedanken, das Schott zu zerschießen.
Ich war äußerst besorgt um Neithadl-Off – und das nicht ohne triftigen Grund.
Das Panzerschott, das sich so anstandslos vor ihr geöffnet hatte, hätte offen bleiben müssen, denn ich befand mich dicht genug hinter ihr, um von seinen Sensoren registriert zu werden. Doch auf mich hatte es völlig anders reagiert als auf sie. Es hatte sich geschlossen.
Das sah – bei allen Zeitgrüften – ganz danach aus, als sollte meine Prinzessin von jeder Hilfe abgeschnitten werden. Wenn sie sich in Lebensgefahr befand, dann allerdings durfte ich auch vor der Anwendung von Waffengewalt nicht zurückscheuen.
Ich wich ein paar Schritt zurück, hob die Waffe und zielte auf die Mitte des Panzerschotts.
Im nächsten Moment ließ ich den Quintadimwerfer wieder sinken.
Denn das Schott, auf das ich gezielt hatte, war nicht das Schott, durch das Neithadl-Off geflogen war.
Es war nur halb so breit – und seine Oberfläche schimmerte nicht metallisch grau, sondern rostrot!
Einige Sekunden lang dachte ich angestrengt darüber nach, ob ich einer Sinnestäuschung zum Opfer gefallen war oder ob ich mich geirrt hatte und das Schott vorhin genauso wie jetzt gewesen war.
Dann fiel mir siedendheiß ein, dass die beiden Saltics mich inzwischen eingeholt haben müssten, wenn alles mit rechten Dingen zuginge.
Ich wirbelte herum.
Hinter mir gähnte Leere in einem langgestreckten Korridor, den ich so langgestreckt gar nicht in Erinnerung hatte.
Grimmig schob ich die Waffe ins Gürtelhalfter zurück.
Dieses Problem ließ sich wirklich nicht mit Waffengewalt lösen.
Als Spezialist der Zeit kannte ich die Zeichen zu gut, um sie übersehen zu können. Ich befand mich auf einem Schiff, das mit so genannten Zeitschleusen ausgestattet war. Auf der Zeitschule von Rhuf hatten wir in einem solchen Schiff trainiert. Aber es war nicht Eigentum der Zeitschule gewesen, sondern ein Beuteschiff.
Und seine Zeitschleusen hatten anders funktioniert als die auf diesem Schiff. Sie waren kontrolliert geschaltet worden, und deshalb hätte es bei ihnen nicht vorkommen können, dass jemand auf eine andere Zeitebene geraten wäre, bevor er eine Zeitschleuse passiert hatte.
Genau das aber war mit mir geschehen.
Das bewies zweierlei: Zum einen, dass dieses Schiff wirklich ein Wrack war und wegen Untauglichkeit eigentlich längst verschrottet gehört hätte – und zum anderen, dass die, die es zur Zeit benutzten, keine oder wenig Ahnung vom Umgang mit Temporalgerät hatten.
Es schien ihnen nichts auszumachen, dass sie mit ihren unfachmännischen Manipulationen ein Zeitparadoxon heraufbeschwören konnten, das nicht nur die Existenz der davon direkt Betroffenen in Frage stellte, sondern als Folge einer temporalen Kettenreaktion die Existenz Tausender noch Unbeteiligter.
Wer das riskierte, der musste allerdings schwerwiegende Gründe dafür haben – und wenn ich ein Zeitparadoxon mit unkalkulierbaren direkten und indirekten Folgen verhindern wollte, dann musste ich diese Gründe herausfinden und sie eliminieren, um die Unbekannten von dem Zwang zu befreien, weiter mit gefährlichem Temporalgerät zu spielen.
Das hieß im Klartext: Ich musste denjenigen, die Neithadl-Offs, meine und die Existenz der beiden Saltics auf unserer Zeitebene bedrohten, helfen, damit sie auf diese Bedrohung verzichten konnten.
Ich kauerte mich auf den Boden und dachte nach ...
*
Wie lange ich so gehockt hatte, hätte ich hinterher nicht sagen können, da ich vorher nicht auf den Chronographen gesehen hatte.
Aber plötzlich leuchtete es gleich einer Supernova in meinem Bewusstsein auf.
Ich wusste, was die Unbekannten bezweckten.
Es war im Grunde genommen etwas ganz Einfaches, das nur dadurch verschleiert worden war, weil die Unbekannten sich dafür einer so komplizierten Methode bedient hatten – einer Methode, die sie nur stümperhaft beherrschten.
Sie wollten verhindern, dass Neithadl-Off, die beiden Saltics und ich auf die STERNENSEGLER zurückkehrten.
Folglich hatten sie es auf die STERNENSEGLER abgesehen.
Oder auf Anima, die zur Zeit allein auf unserem Schiff war.
Ich wurde noch nachdenklicher, denn meine Überlegungen führten mich zu den seltsamen Ereignissen zurück, die sich an Bord der STERNENSEGLER zugetragen hatten, seit wir vor dem Muruth-System angekommen waren.
Geisterhafte Erscheinungen hatten an Bord herumgespukt, hatten POSIMOL beeinflusst und die Vigpanderin, mich und die beiden Saltics terrorisiert.
Nein, die beiden Saltics eigentlich weniger – und Anima schon gar nicht.
Ganz im Gegenteil. Im Nachhinein erschien es mir, als wäre Anima weitgehend von den Einflüssen verschont geblieben, die doch nur einen Sinn ergaben: die Betroffenen von der weiteren Annäherung an Cirgro abzuhalten. Anima schien sogar eher ermuntert worden zu sein, ins Muruth-System einzufliegen und auf Cirgro zu landen.
Alle anderen Intelligenzen wurden nach Möglichkeit abgeschreckt; das bewiesen auch die vielen Raumschiffswracks, die das Muruth-System umgaben wie eine Kometenwolke.
War das Muruth-System, war Cirgro etwa eine Falle, in der sich nur Anima fangen sollte?
Mir wurde plötzlich klar, dass sich die Hominidin in größter Gefahr befand.
Wir durften sie nicht allein einem ungewissen Schicksal überlassen.
Ich stand auf und konzentrierte mich so fest wie noch nie auf meine Module.
Wenn mir auf diesem Temporalschleusenschiff etwas helfen konnte, dann waren es jene biologisch gewachsenen und mir genotronisch aufgepfropften winzigen Funktionseinheiten, die mich zum Modulmann gemacht hatten.
Ich spürte, wie die fünfdimensionale, quasi-seelische Rückkopplung mit ihnen sich intensivierte. Es war, als rollten die Wogen eines kochend heißen Meeres wieder und wieder über mich hinweg und ließen dabei paradoxerweise meine inneren Organe zu Eis erstarren.