Psychotherapie - wozu und wie?. Mary Michael

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Psychotherapie - wozu und wie? - Mary Michael


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diejenigen, die sich für eine Psychotherapie entscheiden, zum Einen darin stärken, sich nicht rundweg als psychisch krank zu sehen und zum Anderen ihre Position gegenüber Therapeuten stärken, die ihnen gegenüber die von mir beschriebene ‘Wisserei’ im Umgang mit psychischen Problemen betreiben, statt ihnen auf Augenhöhe zu begegnen.

      Michael Mary in 2021

      Wozu gibt es die Psychotherapie überhaupt, oder anders gefragt: Wozu kam sie in die Welt und worin besteht ihr Auftrag? Es gibt sie ja erst seit etwa 130 Jahren, und sie hat sich ursprünglich unabhängig von der Medizin entwickelt. Das geschah nicht zufällig. Denn beide Methoden unterscheiden sich so erheblich voneinander, dass sie nicht miteinander vereinbar sind.

      Der ureigene Auftrag der Psychotherapie besteht nicht in der Behandlung von Psychen, so wie ein Arzt den Körper seines Patienten behandelt, sondern in der Begleitung von Menschen durch schwierige Lebensphasen.

      Dieser These nach wäre die Basis der Psychotherapie weder Medizin noch Ingenieurskunst noch Wissenschaft noch Technik, sondern ganz im Gegenteil menschliche Zuwendung. Diese Zuwendung hätte zum Ziel, eine individuelle Neuorientierung im Leben zu ermöglichen oder in einer individuell schwierigen Lage einen Sinn zu finden.

       Lassen Sie mich den Unterschied zwischen therapeutischer Begleitung und ärztlicher Behandlung anhand eines kleinen Beispiels erläutern.

      Eine junge Frau namens Helga, 26 Jahre alt, ist bedenklich abgemagert, keiner weiß warum. Sie läuft von Arzt zu Arzt und lässt über ein Jahr hinweg den Darm, die Schilddrüse, den Hormonhaushalt, den Magen, das Blut und alles Mögliche untersuchen, ohne dass etwas Greifbares gefunden wird. Dadurch gelangen ihre Ärzte zu der Überzeugung, die Ursache ihrer Erkrankung müsse psychisch sein. Helga, die inzwischen gerade noch 40 Kilo wiegt, wird mit der Diagnose ‚Magersucht’ an eine psychotherapeutische Klinik überwiesen. Sie nimmt dort an etlichen Therapiesitzungen teil, erscheint den Psychologen indes psychisch recht normal zu sein, kein Vergleich zu den übrigen dort befindlichen Magersüchtigen. Daher werden weitere ärztliche Untersuchungen veranlasst, unter anderem eine Computertomografie. Diese zeigt eine Entzündung im Gehirn. Nun wird Helga aus der Klinik entlassen und wieder einer medizinischen Betreuung zugeführt. Sie gesundet.

      Das Beispiel macht sehr deutlich, wann eine Psychotherapie zum Einsatz kommt. Die Laborergebnisse zeigen keinen Befund und die körperliche Untersuchung ergibt kein schlüssiges Symptombild. Die Ärzte können dem lebensbedrohlichen Zustand der Patientin keine Ursache zuordnet und sind daher mit ihrem Latein am Ende. Wenn das Leid offenbar nicht körperlich verursacht ist, muss es wohl ‚psychisch’ bedingt sein, so vermuten sie, und daher sollen sich Psychotherapeuten mit der Frau befassen.

      Halten wir also fest: Psychotherapeuten kommen zum Einsatz, wenn nichts medizinisch Greifbares gefunden wird und die Mittel der Ärzte versagen. Das Beispiel zeigt auch, wann Psychotherapie nicht angebracht ist. Nämlich dann, wenn eine medizinische Ursache für einen Leidenszustand feststeht.

      Nun wird der Unterschied zwischen Medizin auf der einen und einem Psychotherapie auf der anderen Seite nachvollziehbar. Handelt es sich um einen Zustand, dem eine klare Ursache zugeordnet werden kann und für den eine eindeutige Diagnose zur Verfügung steht, dann kommen Ärzte (und Psychiater) als Behandler zum Einsatz. Handelt es sich um einen unklaren Zustand, für den man auf die Vermutung psychischer Gründe angewiesen ist, dann kommen Psychotherapeuten als Begleiter zum Einsatz.

      Der Unterschied zwischen Medizin und Psychotherapie ist demnach der Unterschied zwischen einer Behandlung und einer Begleitung.

       Um diesen Unterschied noch weiter zu verdeutlichen, hier ein weiteres kurzes Beispiel.

      Ein 38jähriger Mann kommt in geistig verwirrtem Zustand in ein Krankenhaus und redet wirres Zeug. Wohin mit ihm? Auf die Intensivstation oder in die Psychiatrie? Entweder erfährt der Arzt, dass sein Patient gerade Drogen genommen hat, dann weist er ihn nicht in die Psychiatrie ein, sondern behandelt ihn medizinisch. Oder der Arzt erfährt, dass der Betroffene gerade Zeuge einer Gewalttat war, dann wird er ihn für traumatisiert halten und ihn einer psychotherapeutischen Betreuung zuführen.

      Beide Beispiele weisen auf den wesentliche Unterschied zwischen Medizinern (und Psychiatern) auf der einen und Psychotherapeuten auf der anderen Seite hin. Dieser Unterschied besteht in den Dingen, mit denen sich die jeweiligen Spezialisten befassen. Die einen wenden sich den greifbaren Dingen zu, die anderen befassen sich mit den nicht greifbaren Dingen. Die einen befassen sich mit dem Körper, die anderen mit der Psyche.

      Umgang mit vagen Vorgängen

      Der Körper ist im Vergleich zur Psyche konkret und greifbar, die Psyche ist im Vergleich zum Körper vage und unbestimmt. Der Körper ist bei jedem Menschen relativ gleich aufgebaut. Deshalb kann und sollte beispielsweise Diabetes strukturiert behandelt werden. Der Arzt, der Diabetes behandelt, geht am besten nach einem festgelegten Plan vor. Zuerst stellt er fest, ob es sich um eine Typ A- oder Typ B-Diabetes handelt. Er misst den Blutzucker. Er empfiehlt gegebenenfalls einen Ernährungsplan. Er spritzt Insulin. Er führt anschließend Kontrolltests durch. Dem Mediziner ist es dabei gleichgültig, unter welchen Umständen sein Patient aufgewachsen ist, ob es ihm an Selbstbewusstsein mangelt, welchen Beruf er ausübt und ob er eine Liebesbeziehung hat oder nicht. Er braucht den Menschen nicht zu kennen, nicht einmal seinen Namen, er reicht ihm, sich mit dessen Körperteilen zu befassen.

      Wer sich allerdings mit der Psyche befasst, der kann nicht auf vorgegebene Schemata und Ordnungsprinzipien zugreifen. Die Psyche der Individuen ist unterschiedlich strukturiert. Die Erfahrungen, die Erwartungen und die Weltsicht des Einzelnen sind im wahrsten Sinn des Wortes einzigartig. Deshalb kann eine Psyche nicht nach Plan A oder Plan B behandelt werden, vielmehr muss der Psychotherapeut auf die individuellen Besonderheiten seines Klienten eingehen. Dabei kommt es auf schwer greifbare Faktoren an, auf unübersichtliche Lagen, auf die konkreten Lebensumstände, auf das Beziehungsgeflecht, auf die Einstellungen des Betroffenen. Wie waren seine Eltern? Hat er Geschwister? Gibt es unverarbeitete Schicksalsereignisse? Wodurch wurde seine Krise ausgelöst? Über welche psychischen Ressourcen verfügt er? Welcher Sinn mag in der Störung liegen? Was wird er als Lösung seines Problems empfinden?

      Psychotherapie tut etwas, das weder Medizin noch Psychiatrie tun können. Sie befasst sich mit den nicht verallgemeinerbaren Dingen: mit der Individualität eines Menschen, mit seinen psychischen Besonderheiten, mit jenen Merkmalen und Merkwürdigkeiten, die aus ihm erst ein Individuum machen.

      Besser kann man es meines Erachtens kaum ausdrücken. Die Psyche ist kein fassbares Ding. Niemand hat je eine Psyche gesehen. Selbst wenn man das Gehirn eines Menschen in Scheiben schneidet oder in Moleküle zerlegt, wird man darin keine Psyche finden. Unter dem Mikroskop tauchen nur Zellen, Stoffwechselvorgänge und Synapsen auf, weder Gedanken noch Gefühle. Die Psyche verarbeitet keine chemischen Stoffe, so wie das Gehirn, die Nieren oder die Leber es tun. Sie pumpt kein Blut durch die Adern wie das Herz es tut und löst keinen Sauerstoff aus der Luft, um ihn dem Blut zuzuführen, wie die Lunge das macht.

      Die Psyche hat nur


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