Die verbannte Prinzessin. Heinrich Thies

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Die verbannte Prinzessin - Heinrich Thies


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dem Amselfeld nahe der serbischen Stadt Pristina von Säbelhieben durchbohrt worden war.

      Der Tod der beiden Söhne stürzte die hannoversche Herzogin in tiefe Trauer und entfachte aufs Neue ihre Empörung über die Unnachgiebigkeit ihres Mannes in der Erbschaftsfrage. Und sie machte in Gesprächen mit ihrer Schwiegertochter kein Hehl aus ihrer Verbitterung. Sophie Dorothea sah sich auch von dieser Seite unter Druck, und ihre Zuneigung zu ihrem Schwiegervater geriet ins Wanken. Sie war hin- und hergerissen, wusste nicht mehr, an wen sie sich noch halten sollte im Leineschloss. Ihr Mann trat ihr seit der Zeit in Venedig nur noch mit Verachtung gegenüber und verbarg seinen Hass auch nach außen hin nicht. Er vernachlässigte seine Frau immer mehr. Wenn er nicht im Krieg, beim Hirschtreiben oder der Rebhuhnjagd war, ging er jetzt wieder zu den leichten Damen ins »Monplaisir«. Nur Mehmet, der türkische Page, den er einst aus dem Krieg mitgebracht hatte, leistete Sophie Dorothea noch Gesellschaft. Ehrerbietig fächelte der kleine Mann ihr an stickigen Sommertagen frische Luft zu.

      Auch die Geburt des zweiten Kindes am 26. März 1687 trug nicht dazu bei, die Ehe zu kitten. Herzogin Sophie übernahm die Oberhoheit über die Versorgung des kleinen Mädchens, das auf den Namen seiner Mutter Sophie Dorothea getauft wurde. Sie bestellte Ammen, Gouvernanten und Erzieher und erörterte mit ihrer Oberhofmeisterin Anna Katharina von Harling alle Fragen einer standesgemäßen Kinderbetreuung – von der Wiegendecke mit Spitzen aus Brabant bis zu »artigem Spielzeug« aus Holland und Venedig. Sophie Dorothea musste froh sein, wenn sie ihren Kindern einen Gutenachtkuss geben durfte. Nicht einmal ihre eigenen Kinder erfüllten so ihr Leben mit Wärme und Zärtlichkeit.

      An manchen Tagen war sie so verzweifelt, dass sie ihre Schwiegermutter bat, zu ihren Eltern nach Celle zurückkehren zu dürfen. Aber das war aus Sicht der Fürstin natürlich völlig undenkbar. Die Etikette musste gewahrt bleiben, das Ansehen des Hauses Hannover war höher zu bewerten als die Kapriolen des Herzens. Eine Ehe war schließlich kein Hort der Liebe und Treue – das wusste die Fürstin aus eigener Erfahrung.

      Doch das Maß an Kränkungen war noch nicht voll. Eine neue Mätresse an der Seite ihres Mannes fügte Sophie Dorothea weitere Demütigungen zu. Wieder nahm die Affäre ihren Ausgang in »Monplaisir«, wieder hatte die Platen ihre Finger im Spiel. Nachdem ihre Schwester Maria den Erbprinzen nicht mehr sehen durfte, hatte sie Georg Ludwig mit einer anderen Dame von Stand bekannt gemacht: Ehrengard Melusine von der Schulenburg. Durch Vermittlung der Platen wurde die Tochter eines altmärkischen Adelsgeschlechts Hofdame bei Fürstin Sophie und kreuzte demzufolge ständig die Wege Georg Ludwigs. Und der Funke sprang über. Der Prinz verliebte sich in Melusine, die sieben Jahre jünger war als er.

      Der Kontrast zu Sophie Dorothea hätte größer nicht sein können. War seine Gemahlin klein und rundlich, braunäugig und brünett, so war seine Geliebte blond und blauäugig, groß und dünn; deutlich größer als Georg Ludwig selbst, so dass seine Mutter, verärgert über die Komplikationen dieser Affäre, Melusine als malkin (Hopfenstange) bezeichnete – oder schlicht als Vogelscheuche. Auch vom Wesen her war Melusine das Gegenteil von Sophie Dorothea: nachgiebig und geduldig. Und diese Eigenschaften kamen Georg Ludwig sehr entgegen. So machte er sich bald gar nicht mehr die Mühe, seine Liebesaffäre geheim zu halten. Obwohl er kein guter Tänzer war, ließ er sich jetzt plötzlich bei Maskenbällen von der »Hopfenstange« zur Gavotte verleiten, während er seine Frau keines Blickes würdigte.

      Sophie Dorothea litt unter der Zurücksetzung.

      Unterdessen lenkten irritierende Nachrichten den Blick auf England. Mit ganz besonderem Interesse verfolgte Herzogin Sophie, was sich dort tat. Denn es waren ja ihre Verwandten, die als Hauptakteure in den englischen Machtkämpfen in Erscheinung traten. Der katholische König Jakob II. war ihr Cousin. Doch die Politik dieses Stuart-Königs fand ihren Beifall nicht. Denn Jakob II. war dabei, das Inselreich einer katholischen Restauration zu unterziehen und sich selbst zum Sonnenkönig zu machen – ganz nach dem Vorbild Ludwigs XIV., bei dem er auch sonst Rückhalt suchte. Diese Bestrebungen stießen auch beim englischen Parlament auf Widerstand. In seltener Eintracht baten daher sieben führende Politiker Englands, darunter auch königstreue Tories, den Statthalter der Niederlande, Wilhelm III. von Oranien, das Land von dem katholischen Potentaten zu befreien. Besonders pikant dabei war, dass der Oranier der Schwiegersohn Jakobs II. war. Doch dessen Gemahlin Maria Stuart wandte sich gegen den eigenen Vater und unterstützte ihren Mann. Ein Verhalten, das die hannoversche Herzogin als Mutter zutiefst missbilligte. Dennoch schmolzen ihre Sympathien für Jakob II. zusammen, zumal der sich immer mehr zum Sittenrichter über seine protestantische Cousine in Hannover erhob. In einem Brief an ihre Tochter Sophie Charlotte, Kurfürstin von Brandenburg, beklagte sich die Herzogin darüber:

       »Der König von England (Jakob II.) hat bei Tisch gesagt, mein Bruder und ich hätten keine Religion, und ein anderes Mal sagte er: ›Meine Nichte hat Geist, aber nicht allzu viel Religion.‹ Man kann diesem wackeren Fürsten nur wünschen, dass er nicht so eine lose Zunge hätte. Denn nun wird sie ihn wahrscheinlich um seinen Thron bringen …«

      Der Brief datiert vom 7. Oktober 1688. An diesem Tag war Wilhelm III. bereits unterwegs nach England. Am 5. November landete er mit siebzig Kriegsschiffen und einer Armee von 15 000 Mann an der britischen Küste. »Für die protestantische Religion, für ein freies Parlament«, war auf seiner Fahne zu lesen. Jakob II. floh nach Frankreich.

      Nach dem Sturz des Katholiken entschied das englische Parlaments, dass nur noch protestantische Abkömmlinge des Hauses Stuart das Recht auf den englischen Thron haben sollten. Die Nachricht belebte einen Traum, über den Sophie bisher kaum zu sprechen gewagt hatte: den Traum von der englischen Krone. Zwar bestand noch kein Grund, sich konkrete Hoffnungen zu machen, doch so abwegig war der Gedanke an die Thronfolge im fernen England nun nicht mehr. Und diese Aussicht tröstete Sophie über manche Enttäuschung in Hannover hinweg und beflügelte sie, den Glanz des fürstlichen Hauses noch ein wenig heller erstrahlen zu lassen. Gleichzeitig mit der Erweiterung des Gartens in Herrenhausen baute sie auch das Leineschloss aus. Am 30. Januar 1689 eröffnete das Fürstenpaar auf dem Schlossgelände ein Opernhaus, das 1300 Besuchern Platz bot. »Der Ort, wo die Oper aufgeführt wird, könnte das ›goldene Haus‹ heißen«, schwärmte Maria Aurora von Königsmarck nach einem Hannover-Besuch. »Die Logen, in denen der Hof sitzt, sind mit goldglänzenden Skulpturen geschmückt und mit reichen Wandbekleidungen aus mit feuerrotem Sammet gestreiftem Goldstoff bedeckt. Das Theater ist von sehr edler Bauart, die Bühne weit, die Perspektive wunderschön.«

      Sophie Dorothea, die bald auf den Bruder der begeisterten Opernbesucherin treffen sollte, fand auf diese Weise etwas mehr Zerstreuung in Hannover. Wie alle Gäste der Operneröffnung zeigte sich die Prinzessin begeistert von dem historischen Musikwerk »Enrico Leone«, das Hofkapellmeister Agostino Steffani zur Eröffnung komponiert hatte. Sophie Dorothea gefiel indessen weniger die Geschichte um Heinrich den Löwen als die ausgefeilte Bühnentechnik, die bei der Aufführung zum Einsatz kam.

      Auch die Herrenhäuser Gärten wurden um eine Attraktion reicher. Fürstin Sophie ließ ein aus Hecken bestehendes Gartentheater errichten. Dazu wurden Tausende von jungen Hainbuchen und Lindenbäumen in den benachbarten Ämtern ausgegraben und von den Bauern nach Herrenhausen verfrachtet. Sophie Dorothea wusste es sehr zu schätzen, dass die Spaziergänge mit ihrer Schwiegermutter nun gelegentlich unterbrochen wurden durch den Besuch einer italienischen Komödie unter freiem Himmel. Hier in diesem Heckentheater fühlte sie sich zurückversetzt an den Hof ihrer Kindheit. Wenn sie dann mit ihrer Schwiegermutter in heiterer Stimmung zurückschlenderte, erschienen ihr auch die übrigen Attraktionen des Gartens in schönerem Licht: die Buchsbaumarabesken mit den verschiedenfarbigen Kiesflächen, die große Fontäne und die wasserspeienden Meergötter.

      Aber leider waren solche Glücksmomente schnell verflogen, wenn sie auf ihr Zimmer zurückkehrte. Dann beschlich sie wieder dieses lähmende Gefühl der Wertlosigkeit – missachtet und gedemütigt von einem Mann, der sich ungeniert in aller Öffentlichkeit mit einer anderen Frau amüsierte.

      Doch das sollte sich bald ändern. Denn nun trat ein Mann in ihr Leben, der ihr half, die Seitensprünge des Angetrauten mit Gleichmut zu betrachten.

      18. Februar 1690. Der Schnee, der in der Nacht gefallen


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