Als Maria in Dublin die Liebe fand. Emma Donoghue

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Als Maria in Dublin die Liebe fand - Emma Donoghue


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durch ihren Pony und reckte ihr spitzes Kinn energisch vor.

      »Huhuu, Maria!«

      Sie ignorierte den Ruf, denn hier kannte niemand ihren Namen.

      Der Ruf wurde schriller. Sie spähte unter dem Geländer durch und sah, dass die gesträhnte Blonde aus dem Tutorium ihr aus einem Wirrwarr von Trenchcoats heraus zuwinkte. Um zu ihr zu gelangen, musste sie sich zwischen einer abstrakten Bronzefigur und dem Pappdolmen der Archäologiegruppe hindurchzwängen.

      »Du heißt doch Maria, nicht wahr?« Sie trug eine Anstecknadel aus Emaille, auf der Material Girl stand.

      »Ja, aber es spricht sich nicht ›Mar-eia«, sondern ›Mar-ia‹, mit einem spitzen ›i‹«, erklärte sie.

      Die Stimme ergoss sich weiter. »Spitz? Wie schrecklich. Ich schmeiße Mathe übrigens gleich wieder. Das Leben ist zu kurz. Ich habe gehört, wie der Trigonometrie-Typ deinen Namen aufgerufen hat, und gedacht, also die sieht so aus, als wüsste sie, wovon der da quasselt, was mehr ist, als man von mir behaupten kann.«

      »Mir gefällt Mathe irgendwie«, sagte Maria zögernd.

      »Pervers.« Ihr Blick schweifte ab zu einem Flecken auf ihrer blassrosa Hose, und sie kratzte mit einem Fingernagel daran herum. »Ich persönlich wechsele zu Philosophie. Ich habe gehört, dass man dort die Prüfung in jedem Fall besteht.« Sie schaute auf. »Oh, ich heiße Yvonne, hatte ich das schon gesagt? Tut mir leid, ich hätte mich vorstellen sollen.«

      Maria verzog das Gesicht zu ihrem ersten Grinsen an diesem Tag. Weil sie nicht wollte, dass es auch nur eine Sekunde zu lang anhielt, sah sie weg und sagte, dass sie auf der Suche nach einem Telefon sei.

      »Drüben in der Ecke, hinter dem Raum der Studentengemeinde. Ist es wegen der WG?«

      »Ja – vielleicht.« Zu defensiv. »Ich habe mich noch nicht endgültig entschieden.«

      »Ich persönlich«, vertraute Yvonne ihr an, »hätte kein Vertrauen zu irgendetwas, das auf einem Aushang in diesem versifften Studentenwerk angepriesen wird. Eine Kusine von mir hat eine sehr schlechte Erfahrung mit einem gebrauchten Mikrowellenherd gemacht.«

      Maria schürzte die Lippen. »Was hat er ihr denn angetan?«

      »Das weiß ich auch nicht so genau«, gab Yvonne zu. »Also, hör zu, wenn die Frauenbewegten dir nicht liegen … Ich habe einen Onkel, der wirklich sehr schöne Wohnungen vermietet, richtige Apartments, gleich hinter Dublin 4 …«

      »Nun, ich suche eher etwas Preiswertes«, sagte Maria. »Ich muss sehen, dass ich mit meinem Geld auskomme.«

      Yvonne nickte, ihre Ohrringe hüpften auf und ab. »O Gott, ich weiß, wovon du redest, wo geht das nur immer hin? Ich bin bei meiner Mum schon bis über beide Ohren wegen des Ballkleids verschuldet. Wie sollen wir das bloß bis Weihnachten durchhalten, Maria, kannst du mir das mal sagen?«

      »Ja.«

      »Ähm, hallo, Entschuldigung, ist das 036942?«

      »Soviel ich weiß.«

      »Oh. Also, es ist wegen eurem Aushang.«

      »Unserem was?«

      »Wart ihr das nicht?«

      »Nicht dass ich wüsste.«

      »Eure Anzeige. Eurem Aushang am Schwarzen Brett im Studentenwerk.«

      »Ich hab keine Ahnung, wovon du redest.«

      »Aber – tut mir leid, ich habe ihn dort erst heute Morgen gesehen.«

      »Was stand denn da?«

      »Also, es fängt mit einer ›zwei‹ an, dann so eine Art Symbol oder so was …«

      »Bleib dran. Ruth? Ruth, stell den verdammten Fön ab! Sag mal, offerierst du unsere Dienste seit Neuestem im Studentenwerk? Was? Nein, ich bin nicht begriffsstutzig. Oh, die Wohnung, okay, warum hast du mir denn nichts gesagt? – Du da, bist du noch dran? Ich erfahre hier nie etwas.«

      »Ich hatte nur gedacht, vielleicht könnte ich vorbeikommen und mir das Zimmer mal ansehen, falls es euch recht ist. Es sei denn, ihr habt schon jemanden.«

      »Was weiß ich – womöglich hat sie das ganze Gebäude schon an die Zeugen Jehovas untervermietet.«

      »Vielleicht sollte ich später noch mal anrufen.«

      »Nein, ist schon in Ordnung. Warum kommst du nicht auf einen Happen vorbei?«

      »Heute noch?«

      »Wir sterben doch morgen.«

      »Ihr macht was?«

      »Nutze den Tag, denn morgen sterben wir. Entschuldige, ich spiel mich nur auf. Komm so gegen acht.«

      »Wirklich? Das wäre super. Bis dann.«

      »Warte doch, wie heißt du überhaupt? Ich frage nur, damit wir nicht irgendeine Fremde, die hier reinschneit, zum Abendessen einladen.«

      »Entschuldigung. Ich heiße Maria.«

      »Also, ich bin Jael. Übrigens, stand unsere Adresse in der Anzeige?«

      »Ich glaube nicht, nein.«

      »Dann gebe ich sie dir vielleicht besser, es sei denn, du verlässt dich lieber auf deine Phantasie.«

      »Sag mal, machst du dich irgendwie über mich lustig?«

      »Darauf kannst du deinen Hintern verwetten. Okay, also jetzt mal im Ernst, Leute – es ist Beldam Square 69, oberstes Stockwerk. Du nimmst den Bus Nummer sieben ab Universität und sagst dem Schaffner, er soll dich hinter der Kirche ›Zu den kleinen Schwestern der Armen‹ rauslassen. Okay?«

      »Ich denke schon.«

      »Und sei hungrig.«

      Sie liebte die Doppeldeckerbusse, jeden einzelnen dieser letzten schwerfälligen Ungeheuer. Einmal zu Weihnachten hatte ihre Mam mit ihnen einen Ausflug nach Dublin gemacht. Maria war noch klein gewesen, sieben oder so, aber sie hatte die Hand ihrer Mutter auf der halben Wendeltreppe des Busses losgelassen und war zu der vordersten Reihe gerannt. Sie hatte so getan, als hätte sie ein riesiges Lenkrad zwischen den Fäustlingen, und hatte jede Kurve genommen, wobei sie verächtliche Blicke auf die Radfahrenden warf, die im Busschatten verschwanden, als hätte die Erde sie verschluckt. Als sie durch die O’Connell Street bretterte, dunkelte der Nachmittag bereits, und als der Bus in der Henry Street hielt, musste man sie mit Gewalt losreißen. Resigniert war sie den Blockabsätzen ihrer Mutter in die Menge gefolgt. Als sie über die Schulter hinweg zurückgeblickt hatte, sah sie, wie in der ganzen Straße die Weihnachtslichter angingen, weiße Birnchen an einem Baum nach dem anderen, die gemeinsam den Himmel marineblau färbten. Maria hatte ihre Mutter fragen wollen, wieso Licht die Dinge dunkler machte, aber dann waren sie schon in der Moore Street gewesen, und ihre Stimme war untergegangen in den gellenden Rufen: Ge-schenk-pa-pierl Fünf Bogen zwanzig Pence!

      Dies hier war nicht dieselbe Strecke, sondern eine sehr viel ruhigere Fahrt, aber vielleicht hatten die zehn Jahre seither lediglich ihre Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigt. Der Bus tuckerte um georgianische Plätze herum, vorbei an abwesend wirkenden Bürofenstern. Es war kurz nach halb acht und keine Seele mehr zu sehen; nur hier und da ein Zeitungsladen an einer Straßenecke, aus dem noch Licht strömte. Maria stieg an der richtigen Haltestelle aus, aber weil sie Angst hatte, zu früh zu sein, wanderte sie zu dem letzten Laden zurück und trödelte zwanzig Minuten lang bei den Zeitungen herum. Die junge Frau hinter dem Verkaufstresen hatte einen hohl klingenden Husten – bei jedem Anfall krümmte sie sich auf ihrem hohen Hocker zusammen. Nach einer Weile begann Maria sich unbehaglich zu fühlen und kaufte eine Ausgabe von Her und eine Tüte Chips.

      Sie leckte sich das Salz von den Fingern, als sie an der dritten Ecke des Beldam Square vorbeiging. Die Nummer 69 grenzte direkt an eine kleine Straße, die Ziffern waren in das Oberlicht eingraviert. Maria klopfte zweimal an die Seitentür mit dem abblätternden Lack, bis sie merkte, dass diese nur eingeklinkt war. Drinnen tastete sie nach dem Lichtschalter.


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