Als Maria in Dublin die Liebe fand. Emma Donoghue

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Als Maria in Dublin die Liebe fand - Emma Donoghue


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flog auf.

      »Was für Spielchen treibt ihr denn da im Dunkeln?«, fragte Jael, als sie ihr über den Flur entgegenkamen, um ihr die aufplatzenden Tüten abzunehmen. »Hey«, fuhr sie fort, »irgendeine gute Fee hat mir die neueste Ausgabe von Her auf die Treppe gelegt, und darin sind zwanzig Superseiten mit Dessous. Ich habe allerdings so einen Verdacht«, fuhr sie fort und wedelte mit einer Weinflasche vor Ruths Nase herum.

      »Sie gehört mir.« Marias Gesicht brannte. »Sie muss mir runtergefallen sein, ohne dass ich es gemerkt habe.«

      »Oh, wie schade.«

      »Nein, nein, behalt sie ruhig. Ich habe sie schon gelesen. Im Bus«, beharrte sie. »Apropos, ich muss jetzt gehen, sonst verständigt meine Tante die Polizei.«

      Nachdem sie sich verabschiedet hatte, knipsten sie das Licht im Treppenhaus für sie an. Sie würden anrufen. Maria würde auf sich aufpassen. Als sie auf dem untersten Treppenabsatz angekommen war, hörte sie, wie eine von beiden anfing, einen Schmachtfetzen aus den Fünfzigern zu summen, einen von denen, die einem hinterher nicht mehr aus dem Kopf gingen.

      Maria tat so, als würde sie den Burschen mit dem Motorradhelm, der vor der Telefonzelle herumlungerte, sich die Hände rieb und im Licht der Straßenlaterne auf die Armbanduhr blickte, gar nicht sehen.

      »Ja, sie geben mir bis Ende der Woche Bescheid. Ich hoffe es, Mam. Ich glaube, es war ein Plus für mich, dass ich nicht rauche. – Die Miete ist gar nicht so heftig. Wenn ich zu dem Stipendium noch einen Job bekomme, dann klappt das prima. – Zentralheizung und einen Kamin. – Ich habe nicht in den Kühlschrank geschaut. Hätte ich das tun sollen? – Ach, Mam, es ist sehr zivilisiert … Nein, keine verwahrloste Bruchbude. Jetzt reg dich nicht weiter auf. – Okay, ich meine nicht aufregen, sondern Sorgen machen. Mach dir keine Sorgen. – Ja, ich esse ordentlich. Thelma macht alles mit Sahnesoße. – Mam, sie hat mich ausdrücklich gebeten, sie so zu nennen, dann fühlt sie sich jünger. – Ja, sie polstert noch immer Möbel auf. – In Ordnung. Gute Nacht. Und vielen Dank für das R-Gespräch. Grüße Dad und die Jungs. Behüt dich Gott.«

      Sie stieß die Glastür der Telefonzelle weit auf und kam mit einem hastigen »Tut mir leid, dass Sie warten mussten« herausgeflitzt. Als sie die Hälfte der Straße zurückgelegt hatte, die Hände wärmesuchend in ihrem Dufflecoat vergraben, fiel ihr ein, dass ihr Füllfederhalter noch auf dem Telefonbuch lag, und sie spurtete zurück.

      Der Helmtyp war jetzt mitten in einer lebhaften Unterhaltung über den Hörer gebeugt. Maria klopfte schüchtern gegen die Glasscheibe und kassierte einen wütenden Blick.

      »Entschuldigung«, formte sie lautlos mit den Lippen. »Füller.« Sie machte eine Schreibbewegung mit der Hand, dann wies sie auf die Ablage. Dunkle Augen starrten sie durch das Glas hindurch an.

      »Schon gut«, bedeutete sie ihm lautlos weiter und wedelte mit den Händen. Sie drehte sich um und ging mit rotem Kopf auf die Straße zurück.

      Die Tür der Telefonzelle flog krachend auf. »Was? Was ist los?«

      »Nichts, nichts«, rief sie, ihre Stimme klang zittrig.

      »He, Lady, komm zurück, ich bin fertig mit Telefonieren.« Er senkte die Stimme, als sie wieder näherkam. »Ich war wohl ziemlich unhöflich. Ich hatte es eilig.«

      »Es ist nur wegen meinem Füller«, sagte Maria und räusperte sich. »Ich glaube, ich habe ihn auf der Ablage liegengelassen.«

      Er hielt ihn ihr hin. Sie nahm ihn aus seiner Hand. Von nahem betrachtet, war der Typ mager und kaum älter als sie selbst.

      »Tut mir leid, dass ich die Tür nicht aufgemacht habe, aber du hättest ja auch ein Messer dabeihaben können oder so.«

      Sie starrte ihn an.

      »Okay, du siehst nicht gerade aus wie jemand, der einen überfällt«, gab er zu, nahm den Helm ab und strich sich mit einer grobknochigen Hand durch den Haarschopf. »Aber in Brooklyn riskiert man nichts.«

      »Kommst du wirklich aus New York?« Sie hörte ihre eigene Stimme, die auf einer verlassenen Straße mit einem Unbekannten sprach. »Entschuldige, dass ich dich gestört habe. Gute Nacht.« Sie marschierte davon und erlaubte ihm auf diese Weise nicht mehr als ein Kopfnicken.

      Als sie geborgen auf dem Oberdeck des Busses saß, der sich nach Dun Laoghaire zurückschlängelte, entkrampfte sie die Schultern und lud das Gewicht des langen Tages ab. Zwanzig Minuten zum Träumen, jetzt, wo die hellerleuchteten Ränder der Stadt flackernd in die schwarzen Straßen der Vororte mündeten. Die knorrigen Äste überhängender Rosskastanienbäume schlugen gegen die Fensterscheiben und rissen sie immer wieder in die Gegenwart zurück. Auf dem Glas konnte sie die ersten Regenspritzer schimmern sehen.

      Das Haus ihrer Tante war das letzte in einer Sackgasse mit dicken Heckensträuchern. Maria verschaffte sich geräuschlos Einlass und war schon halb die Treppe hoch, als ihr die Ohne-Schuhe-Vorschrift einfiel. Verdammt und zugenäht, wer hatte sich bloß magnolienfarbigen Teppichbelag ausgedacht? Sie zerrte gerade den zweiten Mokassin vom Fuß, als die Küchentür aufging.

      »Willkommen daheim. Trinkst du eine Tasse Kakao mit mir?«

      »Klar«, sagte Maria und stopfte die Schuhe in die Manteltaschen. Sie tappte die Treppe wieder hinunter und betrat die blitzblanke Küche. »Könnte ich auch ein Glas Wasser haben?«

      Thelma zog ihren beigefarbenen Satinschlafrock am Hals zusammen und lächelte angesichts des ängstlich beflissenen Tons. »Ich glaube, das lässt sich machen.«

      »Tut mir leid, dass ich so spät komme.«

      »Oh, daran habe ich mich bei Alexandra gewöhnt. Sie war immer weg bis fünf in der Früh. Das Studentenleben hat die Vagabundin in ihr zum Vorschein gebracht.«

      »Wo ist sie jetzt gerade noch mal?«, fragte Maria höflich und schnitt um ein Haar eine Grimasse, als sie von dem Leitungswasser trank.

      »Bukarest. Zumindest kam ihre letzte Postkarte von dort. Amüsier dich, solange du noch jung bist, sage ich immer, sonst tut es dir später leid.«

      Maria drehte das Glas in der Hand und beobachtete, wie das Wasser weiße Lichtovale einfing.

      Thelma nahm einen kleinen Schluck Kakao, ohne dass sich eine Spur davon auf ihren Lippen zeigte. »Ich habe immer zu ihr gesagt, ›Liebling, triff deine eigenen Entscheidungen – ich werde sie respektieren‹. Ganz besonders während der schlimmen Phase, nachdem ihr Vater von uns gegangen war, dachte ich, sie sollte das wissen.«

      Maria nickte und griff nach ihrem Kakao. Plötzlich spürte sie jeden Muskel einzeln.

      »Wie ist es denn so bei euch zu Hause – gerätst du oft aneinander mit Caitríona? Streit wegen Jungs?«

      Maria presste die Lippen aufeinander. »Mam und ich kommen eigentlich gut miteinander aus.«

      »Du nennst sie doch nicht immer noch Mam, oder? Das hört sich an wie in den Vierzigern.« Thelma löffelte den letzten Rest Kakao aus dem Becher.

      »Ihr ist es lieber so.«

      »Ich verstehe.« Eine nachdenkliche Pause. »Caitríona war nie der Familienrebell.«

      »Wie geht’s mit dem Hocker voran?«, fragte Maria, ehe sie unhöflich werden konnte. Sie neigte den Kopf, um den Kakaodampf einzuatmen.

      »Sehr gut. Die Schelllackpolitur ist fertig, und morgen fange ich mit dem Sitz an. Er ist für das Wohnzimmer meines Zahnarztes, er nimmt ihn als Zahlung für die abgebrochene Krone von meinem Backenzahn.« Thelmas Gesicht wirkte geradezu mädchenhaft vor Zufriedenheit. »Möchtest du ihn gerne sehen?«

      Den Backenzahn oder den Hocker?, überlegte Maria und spürte, wie das schlechte Gewissen sie in die eine und ihre Müdigkeit sie in die andere Richtung zog. »Morgen früh gerne.«

      »Gute Nacht dann. In deinem Bett liegt eine Wärmflasche.«

      Maria beobachtete das Knäuel Gliedmaßen, das sich zur Einfassung des Sees vorkämpfte. Um sie herum fläzten sich Studentinnen und Studenten


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