Als Maria in Dublin die Liebe fand. Emma Donoghue

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Als Maria in Dublin die Liebe fand - Emma Donoghue


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ihr das zusammengerollte Hochglanzmagazin unter ihrem Arm wieder ein. Sie zog es hervor und überflog die Titelseite. »Bereitet Ihr Chef Ihnen Kummer?« – das war in Ordnung, und selbst die glühendste Feministin konnte nichts gegen »Mit Brustkrebs leben« einwenden. Zweifel kamen ihr allerdings bei »Warum nette Männer nicht sexy sind«, und als ihr Blick auf »Zu Weihnachten – runter mit dem Speck« fiel, rollte sie die Zeitschrift wieder zusammen und ließ sie unten auf der Treppe liegen. Sie konnte sie ja auf dem Rückweg wieder einsammeln. Vielleicht mochte sie die beiden gar nicht.

      Von einer Stufe zur nächsten stand Maria im Dunkeln. Das verdammte Licht hatte einen Zeitschalter. Mit ausgestrecktem Arm griff sie nach dem Geländer, eine kalte Schlange aus Holz, die ihre Hand nach oben zog. Noch war nichts von gekochten Linsen zu riechen, dachte sie, als sie um eine Biege geführt wurde und dann eine weitere Treppe hinauf. Wie viele Feministinnen braucht man, um eine Glühbirne in die Fassung einzuschrauben? Eine, die die Birne einschraubt, eine, die die Linsensuppe rührt, und eine, die sich über das Wort »einschrauben« aufregt. Ihr frecher kleiner Bruder hatte das einmal gesagt, als sie sich eines Abends über einen sexistischen Beitrag im Fernsehen beschwert hatte. Sie hatte ihm dafür später eines mit dem Geschirrtuch übergezogen.

      Ein grauer Lichtstreifen zerteilte die obersten Treppenstufen. Die nackte, unlackierte Tür stand eine Handbreit offen. Maria beobachtete, wie sie sich im Luftzug leicht bewegte. Sie knöpfte ihre Jacke zu und wieder auf. Der Geruch von Knoblauch war verlockend. Ihr erstes Pochen war kaum zu hören. Sie fasste sich ein Herz und bummerte gegen das Holz.

      »Hi, Moment – das Essen brennt an!«, schrie es von drinnen. Eine lange Pause. »Ich meine, du kannst natürlich reinkommen.«

      Maria stand im Dämmerlicht eines Flurs und ertastete eine halbe Erdnuss tief in der Tasche ihrer Jeans, als eine Frau sich mit dem Ellbogen den Weg durch einen Perlenvorhang bahnte. Sie stopfte ein paar Haarsträhnen unter eine schwarze Kappe und lächelte warm und herzlich. »Ich bin Ruth – die andere.« Sie hielt die Perlen beiseite und ließ Maria eintreten. Sie wies auf ein Sofa, über das eine Decke mit Schottenmuster geworfen war, und murmelte: »Setz dich. Ich muss eben ein Wörtchen mit unserem Wok reden. O Göttin, was für ein Chaos.«

      Maria räusperte sich. »Halb so schlimm«, erklärte sie und suchte sich auf dem Sofa einen Platz zwischen einem Wörterbuch und einem Körbchen voller Brombeeren.

      »Weißt du, ich wollte eigentlich früh nach Hause kommen, Ordnung schaffen und die vollendete Gastgeberin spielen, aber erst stand ich in der Schlange am Kopierer in der Bibliothek, und dann ist meine Uhr stehengeblieben – jedenfalls bin ich gerade erst heimgekommen.« Ruth wandte sich wieder dem Wok zu und rüttelte ihn so heftig hin und her, dass der Einsatz schepperte. »Und diese verdammten Zwiebeln bleiben an der nichthaftenden Oberfläche haften.«

      Maria sah ihr zu, wie sie sich geschickt zwischen Herd und Tisch hin- und herbewegte und Steingutteller und Weingläser herbeischaffte. Aus dem Spülbecken holte sie ein Bündel nasser Zweige, stellte sie in eine leere Milchflasche und platzierte sie großartig mitten auf den Tisch. Maria wartete darauf, dass ein Tropfen Wasser von einer der rostfarbenen Blattspitzen auf die Holzfläche fallen würde.

      Ruth ließ sich auf das Sofa sinken. Sie richtete den Blick auf ihre übergroße schwarze Armbanduhr und schaute dann wieder hoch. Ihre Augen waren wachsam und schokoladenbraun. »Typisch, ich reiße mir ein Bein aus, um alles zu zehn nach fertigzubekommen, und die Gnädige ist noch nicht da.«

      »Übrigens, was ich fragen wollte, schreibt man es mit Y?«

      »Schreibt man was mit Y?«

      »Den Namen. Wie in Yale-Schloss.«

      »Nein, nein mit J. Jael aus dem Buch der Richter. In der Bibel, weißt du? Entschuldige, ich sollte das nicht voraussetzen. Jedenfalls, diese Jael tötete den feindlichen Feldherrn, indem sie ihm mit dem Schmiedehammer einen Zeltpflock durch die Schläfe trieb, wenn ich mich recht entsinne.«

      »Oh.« Nach einer kurzen Pause fragte Maria weiter: »Studiert sie auch?«

      Ruths Ausatmen verwandelte sich in ein Gähnen, bevor sie antwortete. »Langfristig gesehen ja, obwohl sie jetzt gerade wahrscheinlich in der Stadt herumstreicht, lilafarbene Socken kauft und Cappuccino trinkt.« Sie lehnte sich in die Kissen zurück und rollte den Kopf hin und her.

      »Macht sie das oft?«

      »Alle paar Wochen. Manchmal sind es Schnürsenkel statt der Socken. Es sind ihre Hormone, weißt du?«

      Sie fingen an zu kichern, als die Eingangstür aufflog und Schritte durch den Flur polterten.

      Ruth öffnete den Mund in ihrem schmalen Gesicht. »Jaelo«, sang sie. »Komm her und unterhalte unseren Gast.«

      Pause – dann schob sich ein blasses, sommersprossiges Gesicht durch den Perlenvorhang. Sehr groß, sehr rotes Haar. Ein beunruhigendes Lachen, als sie ihre Plastiktüten auf das Sofa schmiss, wobei sie die Brombeeren nur knapp verfehlte. »Hallo du, neue Person, ich hatte dich vollkommen vergessen. Maria, nicht wahr?«

      »Ja, aber mit einem spitzen ›i‹ – Mar-i-a«, erklärte sie. »Eigentlich ist es nicht so wichtig, weil die meisten es ohnehin falsch aussprechen.« O Gott, sie hörte sich wirklich an wie siebzehn.

      »Hast du dir das absichtlich so ausgesucht, damit es sich auf Paria reimt?«, fragte Jael, und ihr Stuhl scharrte über die nackten Fußbodendielen.

      »Ähm, nein, eher nicht.« Los, kneif jetzt nicht. »Was bedeutet das eigentlich?«

      Mit dem Schnürriemen ihres Stiefels beschäftigt, hielt Jael inne, den Fuß in der Luft. »Weißt du, genau kann ich dir das auch nicht sagen. Jemand, der irgendwie abweicht. Es ist eines dieser Wörter, mit denen man ständig um sich schmeißt, bis jemand fragt, was es heißt, und dann merkt man, dass man die ganze Zeit über Scheiße geredet hat.«

      Maria räusperte sich.

      »Ausgestoßener«, murmelte Ruth, als sie den Wok zum Tisch brachte, das Gesicht wegen des Dampfes abgewandt. »Der Paria befindet sich auf der untersten Stufe des indischen Kastensystems.«

      »Und die Allwissende auf der zweituntersten.« Jael schob die Hand in einen Topfhandschuh, der wie ein Krokodil aussah, und machte einen Satz auf Ruth zu, die ihr jedoch geschickt auswich.

      Die nächstbeste Sitzgelegenheit war von einem Fuß in einem roten Strumpf besetzt. »Tut mir leid, Maria, aber meine Größe zehn braucht einen eigenen Thron. Setz dich da hin, ans Kopfende des Tisches«, kommandierte Jael. »Aber lehn dich besser nicht zu weit zurück, sonst bricht der Stuhl auseinander.«

      Sie setzte sich zurecht und probierte einen der Pilze.

      »Kümmere dich einfach nicht um diese Frau«, sagte Ruth, rollte die Ärmel ihres Jeanshemdes herunter und reichte den Korb mit dem Knoblauchbrot herum. »Sie hat ihn im letzten Sommer selber kaputtgemacht, als wir ein paar Leute zum Essen hier hatten und es mitten in ihrem improvisierten Gitarrenvortrag mit ihr durchging.«

      »Alle meine Gitarrenvorträge sind improvisiert«, sagte Jael in bekümmertem Ton. Sie zerrte den Korkenzieher aus der Flasche und beugte sich zu Maria vor.

      Automatisch bedeckte diese das Glas mit der Hand. »Nicht für mich, danke.«

      Jael ließ den Wein durch Marias Finger sickern.

      Sie riss die Hand weg. Rote Tropfen spritzten auf den Tisch, einer davon verlief sich in einer Ritze auf der Holzfläche. »Ich habe gesagt, ich –«

      »Ich habe gehört, was du gesagt hast.« Das bauchige Glas war zu zwei Dritteln gefüllt. »Aber du kannst Ruths Kochkünste nicht beleidigen, indem du Wasser dazu trinkst, und schon gar nicht das verseuchte Leitungswasser von Dublin.«

      Maria leckte sich die Finger der Reihe nach ab, während sich das Gespräch anderen Dingen zuwandte. Der Wein schmeckte so vollmundig wie der in den überteuerten Flaschen, die ihr Dad hinten im Laden für gelegentlich auftauchende Dubliner aufbewahrte, die auf dem Weg in ihr Ferienhaus waren. Sie machten häufig im Ortszentrum Rast, um sich die Füße zu vertreten und den Kofferraum mit Ingwerkuchen


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