Das Ende. Mats Strandberg

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Das Ende - Mats Strandberg


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Moment musste ich unversehens daran denken, dass ihr Herz, und meines, schon bald abrupt aufhören werden zu schlagen. Genauso wie die Herzen von fast acht Milliarden weiteren Menschen.

      Jetzt hämmert es so laut, dass es wehtut. Es ist, als würde es versuchen, alle künftig ausbleibenden Herzschläge vorwegzunehmen.

      SIMON

      Ich kann kaum erkennen, was auf den Großbildleinwänden zu sehen ist, aber ich gröle einfach im Chor der anderen mit. Ich brülle so laut wie nie zuvor und lasse all das Dunkle in mir heraus.

      Auf dem Marktplatz haben sich bestimmt einige Tausend Menschen versammelt. Unsere Stimmen verschmelzen miteinander und unsere Körper formen sich zu einem einzigen. Irgendwie kommt es mir so vor, als würde ich mich selbst auflösen, und es gefällt mir. Ich fühle mich stark. Unbesiegbar.

      Doch plötzlich ist alles vorbei. Der FK Östersund hat sein Heimspiel gewonnen und die Bilder auf den Leinwänden verschwinden. Die Menge löst sich allmählich auf. Alle streben gleichzeitig in unterschiedliche Richtungen und wir werden alle wieder zu Individuen. Ich lande in meinem eigenen Körper. Erst jetzt wird mir bewusst, dass aus dem dunklen Himmel ein kalter Nieselregen fällt. Die Tropfen sind so winzig, dass sie im Licht der Scheinwerfer wie ein wabernder Nebel wirken. Auf der anderen Seite des Platzes hängt noch der Rauch von bengalischen Feuern in der Luft, deren Gestank bis hierher dringt. Ich versuche mich dicht bei Ali und Hampus zu halten, aber andauernd schieben sich andere Leute zwischen uns. Dann schreit jemand jäh auf – aus Wut oder vor Schmerzen? – und in der Menge macht sich Panik breit. Mir läuft ein eiskalter Schauer über den Rücken und ich erstarre innerlich. Ich fühle mich gefangen.

      Auf einmal werde ich angerempelt und von meiner rechten Augenbraue rinnt plötzlich Blut herab. Obwohl mir jemand gerade eine Kopfnuss verpasst hat, spüre ich es kaum. Ali ruft nach mir, doch ich kann ihn nirgends erblicken. Ich wische das Blut weg, so gut es geht, und sehe dann, wie mitten auf dem Platz neben dem Brunnen eine Schlägerei beginnt. Die Hooligans prügeln mit hochroten Gesichtern und hasserfüllten Blicken aufeinander ein. Alle um mich herum versuchen panisch, den Schlägertypen auszuweichen, und stoßen jeden zur Seite, der im Weg steht. Ein paar Sekunden später hat die Wellenbewegung auch mich erfasst. Ich stolpere rückwärts, ramme dabei aus Versehen jemandem meinen Ellenbogen in den Brustkorb, kann mich aber auf den Beinen halten. Wenn ich jetzt zu Boden gehe, habe ich keine Chance mehr hochzukommen.

      Ich entdecke ein H&M-Logo unweit an einer Häuserfassade und peile es als Ziel an, schaffe es jedoch nicht, geradewegs dort hinzugelangen, von allen Seiten schieben die Leute. Auf meinem Weg muss ich an diversen Pärchen vorbei, die sich krampfhaft an den Händen halten, muss glühenden Zigarettenstummeln ausweichen und mich ducken, um nicht von einem Regenschirm aufgespießt zu werden, den irgendein Idiot mitten in diesem Chaos aufgespannt hat. Jetzt tobt die Menge vor Aufregung und auch mich hat die Panik erfasst. Ich habe keine Ahnung, wie lange ich mich noch beherrschen kann, um nicht wie ein wild gewordener Stier loszupreschen und rücksichtslos alle zu Boden zu reißen, egal ob ich dabei selbst zu Boden gehe.

      »Simon!«

      Tildas Stimme. Jetzt kann ich sie ein paar Meter entfernt von mir sehen. Sie schaut sich verwirrt um. Sie ist schon wieder high.

      »Tilda!«, rufe ich und versuche zu ihr zu gelangen. »Nimm meine Hand!«

      Sie streckt ihren Arm nach mir aus und wir berühren einander kurz, bevor sie von jemandem angerempelt wird. Aber sie fällt nicht. Sie streckt sich erneut nach mir aus und ich verschränke meine Finger mit ihren und halte ihre Hand fest.

      »Du blutest ja«, stellt sie fest und betrachtet mich fasziniert mit ihrem glasigen Blick. »Tut’s weh?«

      Ich lege einen Arm um sie und sehe, dass auch meine Jacke Blutspritzer abbekommen hat. Wir bleiben eng beisammen und kämpfen uns weiter durch die Menge. Doch Tildas Schnürsenkel haben sich gelöst und andauernd tritt irgendwer drauf. Schließlich erreichen wir den Rand des Platzes.

      Tilda geht vor einem Schaufenster in die Hocke und bindet sich unbeholfen die Schuhe, während ich aufpasse, dass niemand über sie stolpert. Ihre Schnürsenkel sind jetzt schwarz vor Dreck und ihre Finger verschmiert. Der Boden ist mit Zigarettenkippen übersät.

      Durch eine Schaufensterscheibe starren nackte Schaufensterpuppen hinaus auf den Marktplatz, wo das Chaos stetig zunimmt. Das heftige Pochen in meiner Augenbraue macht mir bewusst, wie rasch mein Herz schlägt. Vorsichtig berühre ich die Wunde mit den Fingerspitzen, während sich das Blut mit Regenwasser vermischt.

      Tilda erhebt sich schwankend und stützt sich am Schaufenster ab.

      »Ich habe Amanda und Elin getroffen«, sagt sie. »Aber ich weiß nicht, wo sie jetzt sind.«

      »Und ich war eigentlich mit Ali und Hampus hier. Johannes hab ich schon am Anfang aus den Augen verloren.«

      Meine Stimme ist rau und heiser vom Gegröle. In diesem Augenblick biegt ein Polizeibus mit Blaulicht auf den Marktplatz ein. Einige Hooligans schlagen von außen mit den Fäusten gegen die Scheiben und beschimpfen wütend die Polizisten darin. Ich zücke mein Handy und sehe mit Erleichterung, dass Johannes mir eine Nachricht geschickt hat.

      Bin früher weg. Hatte keine Lust auf Amandas Besäufnisse. Wir reden morgen.

      Er ist also okay. Ich schaue wieder zu Tilda auf. Sie hat den Kopf schräg gelegt und beobachtet gerade den Trupp Polizisten, die aus dem Bus steigen und die Schlägerei zu unterbinden versuchen.

      »Heute Abend wird hundertpro irgendwas Schlimmes passieren«, sagt sie in leicht singendem Tonfall.

      Mir wird mulmig. Ich betrachte die Bullen. In Anbetracht der Anzahl von Fans, die jegliche Hemmungen verloren haben, sind es viel zu wenige.

      Tilda hat recht.

      Plötzlich fühle ich mich wieder absolut nüchtern.

      »Wir müssen von hier weg«, sage ich.

      Als ich erneut ihre Hand nehme, protestiert sie nicht, sondern grinst nur. Dabei lässt sie ihren Kopf merkwürdig hängen.

      »Tilda, was hast du heute Abend genommen?«

      Sie kichert und es klingt unheimlich. Wie das Echo eines Aliens. Sie steht zwar hier neben mir, aber irgendwie auch wieder nicht.

      »Was ist denn daran so verdammt lustig?«, frage ich.

      Abrupt verstummt sie.

      »Ach, weiß auch nicht.«

      Ich gebe auf und umschließe ihre Hand etwas fester.

      »Halt mich, damit wir uns nicht verlieren.«

      Sie protestiert zumindest nicht. Wir schieben uns dicht an den Fassaden der Geschäfte entlang, bis wir endlich die Storgata erreichen. Von dort folgen wir einfach dem Menschenstrom. Unter unseren Schuhen knirschen Glassplitter von zerbrochenen Flaschen, und wir stolpern über kaputte Regenschirme und am Boden liegende Plastiktüten.

      In einiger Entfernung schreit ein Kind und ich drehe mich um. Ich kann es zwar nirgends entdecken, sehe aber, dass auf dem Marktplatz eine weitere Schlägerei ausgebrochen ist. Ich gehe schneller und schleife Tilda fast hinter mir her. Kurz darauf kommen wir am Blumenladen vorbei, in dem Judette früher gearbeitet hat. Und dann an dem Café, in dem Tilda und ich unser erstes Date hatten. Doch das gehört alles einer anderen Zeit und einer anderen Welt an, in der alles Unheil unendlich weit weg war.

      Damals war Tilda noch ein anderer Mensch. Und ich auch.

       Diejenige, mit der du zusammen warst … gibt es nicht mehr. Vielleicht gab es sie überhaupt nie.

      »Wie geht es dir eigentlich?«, frage ich.

      Tilda grinst matt und gerät hinter mir ins Stolpern.

      »Hundert Prozent.«

      »Hundert Prozent was?«

      Sie legt den Kopf in den Nacken und schaut


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