Das Ende. Mats Strandberg
Читать онлайн книгу.wenn sie abends auf mich aufpassen musste. Ich starre wie blind auf den Bildschirm, bis ich keine Bilder mehr erkenne, sondern nur noch wechselnde Farben und Formen sehe. Die Geräusche sind am schlimmsten, denn gegen die kann man sich nicht so leicht wehren, ohne dass es jemand merkt.
Doch dann beginnt der eigentliche Film und als der Hauptdarsteller auf einer Bohrinsel inmitten aller möglichen explosiven Stoffe auf den Verlobten seiner Tochter schießt, müssen wir laut lachen.
»Was’n Wichser«, meint Johannes.
»Echt wahr, was geht den Alten denn ihr Sexleben an?«, stimmt Amanda zu. »Fuck, sie ist doch erwachsen.«
Jetzt bekomme ich wieder etwas besser Luft. Man darf die Handlung einfach nicht ernst nehmen. Ich sinke tiefer in meinen Sessel.
Wie sich zeigt, werden mehrere Ölbohrarbeiter in Rekordzeit zu Astronauten ausgebildet, um ins All zu fliegen. Dort sollen sie schließlich ein tiefes Loch in den Asteroiden bohren, um ihn zu sprengen. Für diese Aktion bleibt ihnen allerdings nur ein einziger Versuch.
»Wäre es nicht viel leichter, wenn man richtige Astronauten beauftragt, um das Loch zu bohren?«, frage ich.
Die anderen lachen. Kann es sein, dass sie genauso erleichtert klingen wie ich? Ich glaube schon.
Ich kapiere einfach nicht, dass man diesem Film zu Beginn des Sommers eine Art Vorbildfunktion beigemessen hat. Damals meinten sie noch, wir sollten auch Atomwaffen hochschicken. Doch Foxworth ist zu groß dafür und außerdem war er schon zu nah an der Erde. Nicht mal wenn wir alle mit Atomwaffen bestückten Raketen weltweit aufgeboten hätten, hätte es funktioniert.
»Hat er der Tussi etwa gerade ’nen Cracker in den Slip geschoben?«, fragt Amanda.
»Glaub schon«, antwortet Johannes, lacht und zieht sie auf dem Sofa näher zu sich heran.
Ich verspüre einen Anflug von Neid. Johannes hat wenigstens noch eine Freundin. Er gehört noch immer wie selbstverständlich dazu. Wir beide haben die anderen nämlich erst über Tilda und Amanda kennengelernt. Und jedes Mal, wenn ich ihnen in nüchternem Zustand begegne, frage ich mich unwillkürlich, ob sie mich wirklich noch dabeihaben wollen, jetzt da mit Tilda Schluss ist. Ich treffe mich nicht mal mehr allein mit Johannes, obwohl er mein bester Freund ist. Manchmal habe ich den Eindruck, dass er mir bewusst aus dem Weg geht.
Vielleicht bin ich ja so anstrengend, dass keiner mehr Lust auf mich hat.
»Haben die etwa alle schon wieder vergessen, dass New York total zerstört wurde?«, merkt Ali an, und ich bin dankbar für die Ablenkung.
»Wirklich ziemlich sinnig, sich am Tag, bevor sie die Welt retten sollen, in ’nem Stripklub volllaufen zu lassen«, spottet Elin. »Eins-a-Prio. Danke, ihr Superhelden.«
»Warum nehmen sie eigentlich Schusswaffen mit ins All?«, fragt Johannes.
Ab jetzt kommentieren wir alles und müssen schließlich laut lachen, als der widerliche Alte noch eine sentimentale Abschiedsrede für seine Tochter hält, bevor er sich opfert. Doch als der Asteroid unschädlich gemacht ist und die Bevölkerung weltweit jubelt, verstummen wir.
Dieses Happy End wird uns leider nicht zuteilwerden.
»Zum Glück heiratet sie, dann hat sie jemanden, der sich um sie kümmern kann«, frotzelt Amanda, als im Abspann eine Collage mit Hochzeitsfotos gezeigt wird.
»Wirklich nice, dass alle nicht Weißen solche Vollpfosten waren«, meint Elin und schaut mich an.
Doch ich sage nichts. Ich habe wirklich keine Lust, mich für ihre Toleranz zu bedanken oder über den rassistischen Mist eines Films zu ärgern, der älter ist als ich. Ich empfinde die Realität als weitaus schlimmer.
»Hat heute schon jemand von euch mit Tilda gesprochen?«, fragt Elin.
Ich linse zu den anderen rüber.
»Sie wollte heute Abend eigentlich gemeinsam mit ihrem Vater und Onkel essen«, antwortet Amanda. »Es mal ruhig angehen lassen.«
»Das wär ja das erste Mal«, feixt Hampus und leckt sich mit der Zunge das Fett von den Fingern.
Amanda beginnt ihre Haare zu einem Zopf zu flechten und als sie dabei über die Schulter nach hinten schaut, schielt sie leicht.
»Ich kapier nicht, was plötzlich in sie gefahren ist.«
»Woher kriegt sie das Zeug überhaupt?«, will Ali wissen.
»Keine Ahnung.«
»Ich frag mich, wie sie ihren Dealer wohl bezahlt«, meint Hampus mit einem Grinsen, das ich ihm am liebsten mit einem Fußtritt aus der Visage gekickt hätte.
Im Raum wird es abrupt still. Ali starrt ausdauernd aufs Display seines Handys und Hampus widmet sich erneut mit Hingabe seiner Chips-Mampferei. Nur Johannes schaut mich kopfschüttelnd an.
Zum ersten Mal kommt mir der Gedanke, dass sie womöglich ganz anders über Tilda reden, wenn ich nicht dabei bin.
»Die Frage ist nur, wie ruhig es bei Klas und seinem Bruder wird«, meint Elin.
Sie wirft Amanda einen vielsagenden Blick zu und dann folgt eine Stille zwischen den beiden, die ich nicht deuten kann. Johannes bemerkt es ebenfalls.
»Hä?«, fragt er nach und ich bin froh, dass er mir zuvorkommt.
»Tilda wollte nicht, dass wir was sagen«, erklärt Amanda.
Sie wechselt erneut einen Blick mit Elin. Offensichtlich wollen beide etwas loswerden.
»Nun spuckt es schon aus!«, fordert Hampus sie auf.
Elin seufzt. Dann setzt sie sich in den Schneidersitz und befingert unsicher das goldene vierblättrige Kleeblatt an ihrem Ohrläppchen.
»Klas ist der Wahrhaftigen Kirche beigetreten«, sagt sie schließlich.
»Und deshalb hat Caroline ihn rausgeschmissen«, fügt Amanda rasch hinzu, als würde sie befürchten, nichts Eigenes beisteuern zu können.
»Aber … wie ist er denn da gelandet?« Es ist das Einzige, was ich herausbringe. Ich versuche mir Klas als Mitglied der Schwedischen Wahrhaftigen Kirche vorzustellen, doch es gelingt mir nicht. Das Religiöseste, was ich bislang an ihm erlebt habe, war seine Besessenheit von Game of Thrones.
»Sein Bruder hat ihn mitgenommen«, erklärt Elin.
Ich bekomme es noch immer nicht zusammen. Tildas Onkel ist im Sommer mit seiner Familie aus Örebro hergezogen, aber ich bin ihnen nur ein paarmal begegnet, als ich noch mit Tilda zusammen war. Klas’ Bruder scheint zwar ein Idiot zu sein, aber keiner, der ausgerechnet der Wahrhaftigen Kirche beitreten würde.
Aber wer weiß schon, wie der Typ wirklich tickt?
Diese Abspaltung von der Schwedischen Kirche hatte sich nach der Verbreitung der Nachricht über den Kometen so rasch formiert, dass Stina vermutete, es müsse schon lange einen Nährboden dafür gegeben haben. Es fing damit an, dass ein bekannter Pastor aus Skåne wieder das Christentum des Alten Testaments predigte, in dem Gott allen Menschen barbarische Prüfungen auferlegt und sie bestraft. Ein Gott, der nicht viel übrighat für das liberale »Political-Correctness-Geschwafel« der Schwedischen Kirche. Dieser Pastor wurde gefeuert und von seinen Anhängern zum lokalen Märtyrer und Helden stilisiert, die sich daraufhin zunächst zu einer kleinen Gemeinschaft in den sozialen Medien formierten und schließlich zu einem Netzwerk aus Gemeinden im ganzen Land ausweiteten.
Vor einiger Zeit hatten ein paar Anhänger der Wahrhaftigen Kirche einmal den Fehler begangen, bei uns zu Hause zu klingeln. Doch sie werden bestimmt nicht wiederkommen. Denn sie hatten nicht damit gerechnet, von einer lesbischen Pastorin der Schwedischen Kirche zum Kaffee hereingebeten zu werden, die in Diskussionen niemals klein beigibt.
Ist Klas im Sommer etwa auch missionarisch aktiv gewesen?
Plötzlich wird mir bewusst, wie weit Tilda und ich uns schon voneinander