Das Ende. Mats Strandberg

Читать онлайн книгу.

Das Ende - Mats Strandberg


Скачать книгу
zehn Personen an Bord gehen können, nur um auf unserem unwirtlichen Nachbarplaneten letztlich langsam zu verenden. Außerdem hatten sich zu wenige Freiwillige gemeldet.

      Die Kometenleugner werden höchstwahrscheinlich bis zum Schluss alles tun, um uns andere für zu leichtgläubig zu halten. Sie hingegen wissen die Wahrheit. Es handelt sich um einen PR-Coup, damit die Amerikaner uns in letzter Sekunde »retten können«. Oder auch um Fake News aus Russland, mit denen die Welt abgelenkt werden soll, während die Russen eine Invasion vorbereiten. Oder um ein kommunistisches Komplott, mit dem das kapitalistische System zu Fall gebracht werden soll. Die Leute glauben doch letztlich nur, was sie glauben wollen. Es ist schließlich nicht das erste Mal. Du hättest sehen sollen, wie leicht es uns fiel, die Augen vorm Klimawandel zu verschließen, um nur ein Beispiel zu nennen. Die Welt war nämlich längst dem Untergang geweiht.

      Zunächst bestand der Name des Kometen aus einer Kombination aus Zahlen und Buchstaben, was jedoch viel zu unpersönlich für etwas erschien, das unser Ende besiegeln sollte. Jetzt nennen sie ihn Foxworth, nach der Mitarbeiterin der NASA, die ihn entdeckt hat. Ich frage mich, wie es sich wohl anfühlt, wenn der eigene Name damit in Verbindung gebracht wird. Jedenfalls wäre die Frau bestimmt in die Geschichte eingegangen, zumindest wenn später noch jemand da gewesen wäre, der Geschichte hätte schreiben können.

      Aber das übernehme ich ja jetzt. Jedenfalls theoretisch betrachtet. TellUs ist ein Versuch, die Geschichte der Erde und des Lebens darauf an andere Existenzformen weiterzugeben. Ich frage mich zwar, wie viele TellUs-User wirklich daran glauben, dass irgendwer das hier liest, aber so habe ich zumindest eine Beschäftigung. Eine sinnvolle. Schließlich müssen wir den Glauben daran aufrechterhalten, dass irgendwer da draußen von unserer Existenz erfährt.

      Das, was ich hier schreibe, wird an mehrere Satelliten gesendet, die all unsere Posts speichern und sie dann ins All weiterleiten. Wenn wir nicht mehr da sind, senden die Satelliten trotzdem in Endlosschleife weiter. Zumindest bis sie irgendwann kaputtgehen, vom Weltraumschrott getroffen werden oder so. Also besteht zumindest die Möglichkeit, dass dich meine Nachrichten erreichen. Das heißt, falls es dich gibt und du die richtige Ausrüstung besitzt. Und falls du tatsächlich verstehen solltest, was ich hier schreibe, oder überhaupt Interesse daran hast.

      Dieselben Satelliten werden auch wissenschaftliche Fakten über unseren Planeten und die Koordinaten der Orte senden, an denen wir versucht haben, unsere berühmtesten Kunstwerke, Bücher und Musikstücke zu verwahren sowie DNA-Sequenzen von Tieren und Menschen, Samenbanken, die zuvor auf Spitzbergen gelagert waren (in einem einst für die Apokalypse errichteten Bunker, der diesen Weltuntergang aber auch nicht überstehen wird). Alles wird gut geschützt verpackt und dann in Bergwerksgruben versenkt, die sich weit entfernt vom Einschlagsort befinden. Zwar weiß niemand, ob es tatsächlich funktioniert, aber es erscheint uns zumindest als die bestmögliche Option.

      Eines Tages kannst du den Menschen ja vielleicht in einem Alien-Labor wiedererschaffen. Oder dort zumindest ein paar Geranien pflanzen. Dieser Plan dient lediglich dazu, unseren Tod etwas weniger sinnlos erscheinen zu lassen.

      Neulich habe ich ein Interview mit mehreren Personen gesehen, die beschlossen hatten, in die Erzgrube von Kiruna umzusiedeln. Sie liegt mehr als einen Kilometer unter der Erde. Doch dort unten werden sie ebenfalls verdampfen und noch dazu unter einer kilometerdicken Schicht aus geschmolzenen Steinen begraben werden. Ein schlimmeres Ende kann ich mir kaum vorstellen.

      Weißt du vielleicht, wann du sterben wirst?

      Alle Menschen wissen, dass sie eines Tages sterben müssen. Aber keiner hat je gewusst, wann genau das sein wird. Jetzt wissen wir es zum ersten Mal, fast auf die Sekunde genau.

      Vielleicht fragst du dich deshalb, warum ich nicht panischer wirke. Ja, ich habe Angst. Mehr, als ich mir anmerken lasse. Aber ich habe wohl dennoch weniger Angst als viele andere. Und das Schlimmste an allem ist, dass ich sogar ein wenig erleichtert bin, was ich aber niemandem außer dir verraten kann. Na ja, vielleicht nicht gerade erleichtert. Das ist wohl das falsche Wort. Aber so falsch nun auch wieder nicht.

      SIMON

      Es ist heiß, viel zu heiß, und es stinkt nach Chlor und Zigarettenrauch, nach Alkohol und Schweiß. Lautes Gekreische und Lachen hallt von den gefliesten Wänden, den Fensterscheiben und der hohen Decke wider und übertönt die Musik aus den Lautsprechern. Mir fällt auf, dass sie eine von Tildas Playlists spielen. Es war ihre Idee, die Party hier zu feiern. Sie hat noch immer die Hallenschlüssel.

      Eigentlich hätte heute die Schule wieder begonnen. Deshalb die Party. Wir tun so, als wäre dies ein Grund zum Feiern. Wäre alles wie immer, würde ich jetzt in die Elfte gehen.

      Ich werfe einen Blick auf die große Uhr über der Schmalseite des Beckens und bemerke, dass ich über eine Stunde besoffen auf der Toilette gehockt und einen Großteil der uns noch verbleibenden Zeit sinnlos habe verstreichen lassen. Der Sekundenzeiger rast unerbittlich übers Zifferblatt.

      Noch vier Wochen und fünf Tage.

      Unsere Tage sind gezählt. Heute ist auch das letzte Fünkchen Hoffnung verpufft. Bye-bye, grausame Welt.

      Ich nehme einen Schluck selbst gebrannten Fusel. Das Zeug schmeckt ekelhaft, egal womit man es mischt, aber es ist fast der einzige Alkohol, den man jetzt noch bekommen kann.

      Ich suche die Oberfläche des türkisfarbenen Wassers mit all den auf und ab hüpfenden Köpfen nach Tilda ab. Das hier ist ihre Welt. Ihr Lieblingsort, an dem all ihre Freunde versammelt sind. Ich dagegen weiß nicht mehr recht, zu wem ich noch gehöre. Ich weiß nur, dass ich nicht länger hierbleiben will, aber ich kann auch nicht einfach nach Hause gehen.

      Überall um mich herum rutschen die Leute auf dem nassen Boden aus. Hampus springt gerade mit einem Salto ins Wasser, wobei sein Nacken haarscharf am Beckenrand vorbeischrammt. Als ich selbst vorhin getaucht bin, kam ich kaum wieder an die Wasseroberfläche. Das Becken ist voller Jugendlicher. Ein Gewimmel aus Armen und Beinen. Bestimmt wird irgendwann ein Unfall passieren. Es liegt geradezu in der Luft.

      Ich leere die Plastikflasche, als mir jemand freundschaftlich auf den Rücken klopft. Ali. Er lacht und sagt etwas, das ich nicht verstehe.

      »Was?«

      »Ich hab gefragt, wo du warst.«

      »Hast du Tilda gesehen?«

      Ich höre selbst, dass ich lalle. Haschutillagsehn?

      »Ach, scheiß doch einfach auf sie«, ruft Ali und flitzt zum Beckenrand, wo er im Sprung die Beine zum Bauch heranzieht, um eine Arschbombe zu machen.

      Ich torkele weiter und komme an der Tribüne vorbei, auf der ich bei ihren Wettkämpfen schon oft gesessen habe. Auf den Rängen hängen massenweise Leute in Grüppchen herum, einige von ihnen sind schon weggedämmert, allein oder eng umschlungen, andere haben gerade Sex. Eines der Mädels in der untersten Reihe hat sich ein Badetuch übergeworfen und reitet gerade einen Typen. Als ich an ihnen vorbeitorkele, stoße ich aus Versehen gegen sein Knie.

      Auf Höhe der Schmalseite des Beckens kommt mir Johannes entgegen. Seine lockigen Haare sind tropfnass und er hat die Schultern hochgezogen, als würde er frieren. Er grüßt im Vorbeigehen jemanden, lässt mich dabei aber nicht aus den Augen. Mein bester Freund. Ich merke, dass er sich Sorgen um mich macht. Seine Freundin Amanda sitzt gemeinsam mit ein paar anderen Typen vor der niedrigen gefliesten Trennwand. Elin sagt gerade etwas und alle lachen auf, doch Amanda schaut zu mir rüber, während sie ihre Haare zusammenrafft und auswringt.

      Johannes legt mir seine kalten Hände auf die Schultern. Seine Fingerkuppen sind schon ganz verschrumpelt.

      »Alles in Ordnung?«

      »Hast du Tilda gesehen?«

      Diesmal gelingt es mir, nicht zu lallen. Johannes ringt sich ein Lächeln ab.

      »Ich glaub, sie ist schon gegangen.«

      »Johannes«, entgegne ich. »Ich hab dich echt lieb, aber du bist ’n verdammt schlechter Lügner.«

      Er


Скачать книгу