Sophienlust Staffel 15 – Familienroman. Susanne Svanberg

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Sophienlust Staffel 15 – Familienroman - Susanne Svanberg


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staunte. Auf sie machte Evi nicht den Eindruck, ein schwieriges Kind zu sein. »Wirklich?«, murmelte sie deshalb vage.

      »Sie will nicht einsehen, dass mir einfach kein anderer Ausweg blieb, als mich von meinem Mann scheiden zu lassen«, sagte Evis Mutter. »Nun quält sie mich, indem sie dauernd von ihm redet. Jeder zweite Satz beginnt mit: Als wir noch bei Vati im Wald wohnten …«

      »Wahrscheinlich hat sie Sehnsucht«, mutmaßte Betti.

      Die junge Frau zuckte mit den Schultern. »Sie wird diese Sehnsucht unterdrücken müssen«, meinte sie kühl.

      »Könnte das Kind nicht seinen Vater ab und zu besuchen?«, wagte Betti vorzuschlagen.

      Evis Mutter schüttelte den Kopf. »Nein, das ist vollkommen ausgeschlossen«, erwiderte sie kurz.

      Betti fühlte sich unbehaglich. Evis Familienangelegenheiten gingen sie wirklich nichts an. Sie überlegte krampfhaft, wie sie das Gespräch in eine andere Richtung lenken könnte.

      Evi kam ihr dabei zu Hilfe. »Was ist das für eine Familie, bei der du wohnst?«, fragte sie.

      Erfreut, über etwas Angenehmes reden zu können, erzählte Betti: »Es ist ein junges Ehepaar mit seinem Kind, dem kleinen Peter. Er ist blond und …«

      »Ist Peter so alt wie ich?«, wollte Evi wissen.

      »Nein, Peterle ist jünger. Er ist erst ein Jahr alt, also beinahe noch ein Baby.«

      »Ach! Und er hat eine Mutti und einen Vati«, stellte Evi ein wenig neidisch fest.

      Evis Mutter räusperte sich vernehmlich, sagte jedoch nichts.

      »Hat Peter eine liebe Mutti und einen lieben Vati?«, fragte die Kleine weiter.

      »O ja«, erwiderte Betti. »Peters Vater ist Tierarzt. Außerdem hat er zusammen mit seiner Frau ein Tierheim eingerichtet. Es heißt Waldi & Co. Der Chef des Tierheims ist nämlich ein Langhaardackel, der auf den Namen Waldi hört.«

      Betti erzählte nun nicht nur von Waldi, sondern auch von den übrigen Insassen des Tierheims.

      Evi hörte ihr mit immer größer werdenden Augen zu. »Ich möchte auch einmal das Pferdchen Billy und den Esel Fridolin und die Bären und die Hunde und alles andere sehen«, meinte sie schließlich sehnsüchtig.

      »Wenn wir wieder zu Hause sind, werde ich mit dir einen Zoo besuchen«, schaltete sich ihre Mutter ein.

      »Fein! Aber wirst du auch Zeit dafür haben?«, fragte Evi misstrauisch.

      »Wir werden sehen«, erwiderte die Mutter.

      Evi sah betrübt drein, sodass Betti sich bemüßigt fühlte, sie abzulenken. »Besuchst du einen Kindergarten?«, erkundigte sie sich.

      »Ja. Aber es gefällt mir dort nicht«, erklärte Evi. »Die Tante ist so streng, und die anderen Kinder sind älter als ich. Bitte, erzähl mir noch etwas von Waldi und Hexe und Pucki und Purzel.«

      Betti erfüllte dem Kind gern diesen Wunsch. Ihre Schilderung war so farbig, dass Evi wie gebannt lauschte.

      »So, jetzt muss ich mich aber fertig machen zum Aussteigen«, sagte Betti nach geraumer Zeit. »Beinahe hätte ich übersehen, dass die nächste Station Maibach ist.«

      »Du steigst schon aus? Schade. Steigen wir auch aus, Mami, oder fahren wir noch weiter?«

      »Wir müssen noch weit fahren«, erklärte Evis Mutter.

      »Schade«, wiederholte Evi. »Ich hätte dir noch stundenlang zuhören können«, wandte sie sich wieder an Betti. »Wie heißt du eigentlich?«

      »Betti.«

      »Auf Wiedersehen, Betti. Vielleicht …, vielleicht treffen wir uns wieder einmal. Meinst du nicht?«

      »Ich weiß nicht …« Betti hielt diese Möglichkeit für wenig wahrscheinlich, doch das wollte sie dem Kind nicht sagen. Sie verabschiedete sich nun auch von der Mutter und griff nach ihrem kleinen Koffer. Dann verließ sie das Abteil und trat auf den Gang hinaus.

      Betti machte zunächst ein paar Schritte in Richtung des vorderen Ausgangs, doch dann überlegte sie es sich anders. Sie befand sich im vordersten Waggon des Zuges. Deshalb würde es beim Einfahren in die Station für sie günstiger sein, den hinteren Ausstieg zu benützen. Sie würde ohnehin noch ein Stück zurückgehen müssen, um zum Ausgang des Bahnhofes zu gelangen. Deshalb ging sie jetzt gleich nach hinten, um dort auszusteigen.

      »Auf Wiedersehen! Auf Wiedersehen, Betti!«

      Betti drehte sich um. Evi war es irgendwie gelungen, die Tür des Abteils zu öffnen. Sie stand auf dem Gang und winkte der neugewonnenen Freundin nach. Sie sah ein wenig traurig aus, und schien drauf und dran, Betti zu folgen.

      »Auf Wiedersehen, Evi. Nein, du darfst mir nicht nachlaufen. Ich steige gleich aus. Geh zurück zu deiner Mutti ins Abteil!«

      Betti konnte nicht mehr erkennen, ob Evi dieser Aufforderung nachkam. Im gleichen Augenblick, als sie sie aussprach, ertönte ein ohrenbetäubendes Krachen. Betti wurde zu Boden geschleudert und wusste nicht mehr, wo sie sich befand. Ein paar Sekunden später rappelte sie sich jedoch wieder auf. Einen Moment lang fühlte sie überhaupt nichts, doch dann machte sich ein tobender Schmerz in ihrem rechten Schienbein bemerkbar. Sie blickte an sich herab und sah, dass ihre Strumpfhose zerfetzt war und an ihrem Bein Blut herabfloss. Sie biss die Zähne zusammen und murmelte: »Nur nicht ohnmächtig werden. Was mag nur geschehen sein?«

      Vorsichtig trat Betti mit dem rechten Fuß auf. Obwohl er höllisch schmerzte, war ihr sofort klar, dass er nicht gebrochen sein konnte, denn sie konnte ihn belasten.

      Betti fuhr sich über die Stirn. Um sie herum herrschte ein wüstes Durcheinander. Die Scheiben der Fenster und Abteiltüren waren zerbrochen, die Rahmen verbogen, das Holz zersplittert.

      »Ein Zugunglück. Der Zug muss mit einem anderen zusammengestoßen sein«, sagte Betti ein paarmal leise vor sich hin. Sie vermochte nicht zu fassen, dass ihr so etwas zugestoßen war.

      Die gellenden Schreie, die unaufhörlich aus einem der zerstörten Abteile drangen, brachten Betti in die Wirklichkeit zurück. Da drinnen gab es Verletzte, die sich allem Anschein nach nicht selbst befreien konnten. Sie musste versuchen, ihnen zu helfen.

      Betti bemühte sich erfolglos, eine aus den Angeln gehobene Tür, die verklemmt war, beiseitezuschaffen. Ihre Kraft reichte dazu einfach nicht aus. Und dann hörte sie plötzlich etwas, was sie augenblicklich von den Schreien ablenkte. »Mami, Mami«, schluchzte ein verzweifeltes Stimmchen.

      Evi! Das konnte nur Evi sein, die Kleine, mit der sie sich eben unterhalten hatte.

      Betti brauchte nicht lange zu suchen. Das Kind saß unweit von ihr auf dem Boden und blickte mit weit aufgerissenen Augen starr vor sich hin.

      Betti eilte auf Evi zu und stolperte dabei über ihren Koffer, der ihr vorhin aus der Hand gefallen war. Sie griff nach dem Kind und hob es hoch.

      »Evi! Mein kleiner Liebling!« Ängstlich betrachtete sie die Kleine. Nein, Evi schien unverletzt zu sein. Es war beinahe ein Wunder.

      »Tut dir etwas weh?«, fragte Betti trotzdem besorgt.

      Das Kind sah sie an, aber seine Blicke schienen durch sie hindurchzugehen.

      »Erkennst du mich nicht mehr? Ich bin es, Betti.«

      »Betti«, wiederholte Evi tonlos, doch dann kehrte die Erinnerung langsam zurück. »Ja, du bist Betti. Du hast mir von Waldi erzählt, und dann wolltest du aussteigen. Warum …, warum bist du jetzt hier? Was war das, der Krach …, und …«

      Betti drückte Evi an sich und strich ihr über das dunkle Köpfchen. »Dir ist nichts geschehen«, flüsterte sie dabei.

      Evi hob den Kopf. »Da schreit jemand. Hörst du es?« Sie schauderte zusammen. »Mami? Ist das Mami? Wo ist meine Mami? Mami! Mami!« Die Stimme des Kindes steigerte sich, es brüllte nun beinahe.

      »Vielleicht ist deine Mami


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