Sophienlust Staffel 15 – Familienroman. Susanne Svanberg

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Sophienlust Staffel 15 – Familienroman - Susanne Svanberg


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in ihr Zimmer, um sich ein wenig zurechtzumachen und ihre Strickjacke zu holen.

      Als sie wieder herunterkam, griff Helmut besitzergreifend nach ihrem Arm und führte sie aus dem Haus. Draußen schlug er einen Weg ein, der am Waldrand entlang nach Wildmoos führte. Dabei meinte er: »So, hier sind wir endlich allein. Jetzt können wir ungestört miteinander reden. Das habe ich schon seit Tagen vor.«

      Betti stimmte dem nur mit halbem Herzen zu. Ihr lag nicht sehr viel an einem Gespräch. Sie hätte damit lieber so lange gewartet, bis sie Näheres über Evi wusste. Vielleicht stellte sich heraus, dass Evis Vater sein Kind gar nicht wollte? Dann …

      Helmut riss Betti aus ihren Grübeleien. »Du bist so geistesabwesend«, stellte er fest. »Woran denkst du? An mich gewiss nicht.«

      Betti errötete, was von Helmut falsch ausgelegt wurde. »Oder hast du dich doch mit mir beschäftigt?«, fragte er. »Dann sag mir, ob dir noch etwas an mir liegt.«

      »Aber, Helmut, das ist eine sonderbare Frage. Natürlich liegt mir an dir. Sonst hätte ich kaum eingewilligt, deine Frau zu werden.«

      Helmut blieb stehen …, versuchte Betti zu küssen.

      »Nicht, Helmut«, protestierte sie. »Jeden Augenblick kann jemand vorüberkommen.«

      »Na und? Jeder weiß, dass wir verlobt sind.«

      Das stimmte. Betti wunderte sich über sich selbst. Was war nur los mit ihr?

      Helmut war durch Bettis ablehnendes Verhalten verstimmt. Schweigend schritten die beiden nun eine Weile nebeneinander her, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Betti hätte das Schweigen gern gebrochen. Sie war ein Mensch, der Unstimmigkeiten nur schwer ertrug. In den letzten Jahren war ihr Leben heiter und gleichmäßig verlaufen, wie es ihrem Wesen entsprach. Immer hatte sie frohgemut ihre Pflichten erledigt und war dafür von der Familie von Lehn mit Herzlichkeit und Anteilnahme belohnt worden.

      Als Helmut Koster sie dann gebeten hatte, seine Frau zu werden, hatte sie geglaubt, ihren zukünftigen Lebensweg klar vor sich zu sehen. Ähnlich wie Andrea hatte sie eine Heirat mit dem Tierpfleger als überaus passend empfunden. Sie war gar nicht auf die Idee gekommen, diesen Antrag abzulehnen. Sie war glücklich gewesen, einen ehrlichen und gut aussehenden Mann zu bekommen, der sie aufrichtig liebte.

      Erst durch Helmuts Schwärmerei vom Zirkus waren Zweifel in Betti aufgestiegen. Sie hatte sie zunächst nicht zur Kenntnis nehmen wollen, sondern sie einfach verdrängt. Aber nachdem das Schicksal ihr Evi zugeführt hatte, war ihr zu Bewusstsein gekommen, dass das Leben an Helmuts Seite für sie vielleicht doch nicht den Inbegriff des Glücks darstellte.

      Betti biss sich auf die Lippen. Sie hatte oft genug von der großen Liebe gehört oder gelesen. Das sind Hirngespinste, dachte sie nun. Helmut hingegen verkörperte die Wirklichkeit. Wenn er nur – wenn er nur ein wenig auf meine Wünsche eingehen würde. Da ist Evi, die ich einfach nicht im Stich lassen kann.

      Helmut schien die Gedanken, die Betti bewegten, zu erraten, denn er sagte: »Ich bin überzeugt, dass im Moment für dich nur Evi wichtig ist.«

      »Nein, das stimmt nicht«, entgegnete sie.

      »Natürlich steht Evi an erster Stelle …« Betroffen hielt sie inne.

      »Ich habe es doch geahnt«, murmelte Helmut, ganz und gar nicht erfreut darüber, dass sich seine Ahnung bewahrheitet hatte. »Evi steht also an erster Stelle«, wiederholte er voll Bitterkeit.

      »Ach, Helmut, leg doch meine Worte nicht auf die Waagschale«, rief Betti ärgerlich aus.

      Helmut gab ihr keine Antwort. Mit zusammengezogenen Brauen dachte er nach. Schließlich hob er den Kopf und fragte: »Wenn du wählen müsstest – zwischen Evi und mir –, wie würde deine Entscheidung lauten?«

      »Was soll das? Das ist doch Unsinn. Warum soll ich wählen müssen?«

      »Ganz einfach deshalb, weil ich nach unserer Heirat mit dir allein sein möchte.«

      »Das ist egoistisch, und …, und …«

      »Du würdest also auf Evi nicht verzichten, wenn es darauf ankäme?«

      »Du vergisst bei deinen Überlegungen, dass Evi nicht zu mir gehört. Jeden Tag kann sich der Vater melden und das Kind für sich beanspruchen.«

      »Wovor du dich zu fürchten scheinst. Aber angenommen, der Vater meldet sich nicht, und du darfst Evi behalten.«

      »Darüber würde ich mich freuen«, gestand Betti. »Ich verstehe nicht, was du gegen das Kind einzuwenden hast.«

      »Ich habe nichts gegen das Kind einzuwenden, aber ich finde, dass es in Sophienlust sehr gut aufgehoben wäre. Warum belastest du dich damit?«

      »Evi ist für mich keine Last«, erwiderte Betti mit einiger Schärfe.

      »Aber für mich. Ich sehe nicht ein, dass wir unsere Ehe zu dritt beginnen sollen.«

      »Ach, Helmut, da gibt es doch keine Schwierigkeiten. Evi ist so lieb und brav, und wenn wir dann noch eigene Kinder dazubekommen …«

      »Davon kann vorerst keine Rede sein. Wenn ich eine Stelle beim Zirkus annehme, wären uns Kinder hinderlich.«

      Betti seufzte. Der Zirkus schien in Helmuts Zukunftsplänen so fest verankert zu sein, dass es unmöglich war, ihn davon abzubringen.

      »Du verlangst also von mir, dass ich auf Evi verzichte«, sagte Betti traurig.

      »Du drückst dich etwas hart aus.« Helmut zögerte. Er hatte Gewissensbisse, aber er sah nichts Böses darin, Evi nach Sophienlust zu bringen. Sie würde dort glücklich sein, wie die anderen Kinder auch. Er verstand Betti einfach nicht.

      »Wenn wir erst beim Zirkus sind und du ein wenig von der Welt gesehen hast, wirst du Evi vergessen«, begann er von Neuem.

      »Nein!«

      »Es hat wenig Sinn, dass wir weiter über dieses Thema reden«, meinte Helmut. »Wer weiß, was die Zukunft bringt.« Im Stillen hoffte er, dass es der Polizei doch noch gelingen würde, Evis Verwandte ausfindig zu machen.

      Bettis Seelenfrieden jedoch war durch dieses Gespräch dahin. Als sie am Abend im Bett lag, konnte sie lange nicht einschlafen. Die Gedanken wirbelten in ihrem Kopf herum. Doch wie sehr sie alles auch drehte und wendete, sie gelangte jedes Mal zu dem gleichen Schluss: Sie war nicht gesonnen, Evi aufzugeben. Mit welchem Recht verlangte Helmut eigentlich von mir, dass ich nachgebe und ihm ein Opfer bringe, dachte sie. Ich soll nicht nur auf Kinder verzichten, sondern auch noch zum Zirkus gehen. Aber das reizt mich in keiner Hinsicht.

      *

      Zwei Tage später tauchte Wachtmeister Kirsch neuerlich im Haus der Familie von Lehn auf. Betti war mit Evi gerade unterwegs, um Lebensmittel einzukaufen, deshalb erfuhr Andrea von Lehn als Erste die Neuigkeit.

      »Es handelt sich um das kleine Mädchen, das bei Ihnen lebt«, begann Wachtmeister Kirsch.

      Andrea horchte gespannt auf. »Ja?«, fragte sie. »Weiß man inzwischen, woher es stammt?«

      »Ich bin meiner Sache noch nicht sicher«, erwiderte Wachtmeister Kirsch vorsichtig. »Jedenfalls ist heute Morgen aus Hannover eine Meldung eingegangen, aus der hervorgeht, dass eine junge Frau und deren vierjähriges Töchterchen vermisst wird.«

      »Diese Meldung könnte auf Evi und ihrer Mutter zutreffen«, meinte Andrea nachdenklich.

      »Ja, dieser Gedanke kam mir sofort, als ich davon hörte«, stimmte Herr Kirsch ihr zu. »Umso mehr, da das Kind Eva heißt. Eva Gleisner. Die Mutter heißt Gisela Gleisner.«

      »Seit wann werden die beiden vermisst?«

      »Das ist aus der Meldung nicht klar hervorgegangen. Verschiedenen Leuten in einem großen Häuserblock in Hannover ist aufgefallen, dass Gisela Gleisner nicht von ihrem Urlaub zurückkam. Es hat eine Weile gedauert, bis sich jemand aufraffte und die Polizei verständigte.«

      »Es ist also eine größere Zeitspanne verstrichen«, stellte


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