Zuhause wartet schon dein Henker. Franziska Steinhauer

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Zuhause wartet schon dein Henker - Franziska Steinhauer


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in der das Haus des ›Ortsvorstehers‹ lag.

      Ratlos warf Sven einen langen Blick über die Glasgiebelseite des Pfarrhauses, schüttelte betroffen mit dem Kopf. »Weißt du, ich könnte mir vorstellen, dass die Kinder, wenn sie erstmal mein Alter erreicht haben, eine Therapie brauchen werden. Irgendwann bedauern sie vielleicht, dieser Kälte erlaubt zu haben, sich bei ihnen einzunisten.«

      Knysts Handy klingelte.

      »Hej hej, wo seid ihr? Okay, dann müsstet ihr uns eigentlich sehen!«

      Und tatsächlich, ein kleiner Lichtpunkt wurde geschwenkt. »Da! Das sind Britta und Ole.« Lars stapfte los.

      »Bernt sucht im Internet nach Hinweisen. Und Hans Hansson hat er schon gefunden!« Britta war etwas außer Atem, als sie die Kollegen erreicht hatte. »Er saß wegen der Vergewaltigung und Tötung eines Kindes. Fünf Jahre. Dann wurde der wahre Täter gefasst und Hansson auf freien Fuß gesetzt. Er ist schwul – offensichtlich hat jemand ihn bei der Polizei angeschwärzt, kein Alibi, er kannte das Kind flüchtig. Er leitet jetzt eine Gruppe, die sich für mehr Rechte der Schwulen und Lesben einsetzt. Ich glaube, im Moment hält der Verein aber wohl die Füße still. Es gibt keine Hinweise auf aktuelle Aktionen.«

      »Du meinst, nach dem Fall von vor einem halben Jahr halten sie sich lieber zurück? Als der Vierjährige missbraucht und dann erdrosselt wurde?«

      »Genau. Von einem schwulen Pädophilen. Na ja. Da ist die Stimmung wohl ein bisschen gekippt. Gerade hier auf dem Land.«

      »Vorsicht!«, mahnte Ole. »Das ist ein Vorurteil. Ich weiß, dass es oft genug in so kleinen Gemeinden weniger Ressentiments gibt, weil man sich von jeher kennt und einfach weiß, dass dieser oder jener keine Gefahr ist! In der Stadt wird gehetzt. Dabei sind wir eines der schwulenfreundlichsten Länder in Europa. Schon 1944 war Homosexualität straffrei!«

      »Moment! Es geht nicht um Hans Hansson. Das Opfer ist Arne Mommsen. Ihr habt inzwischen die Liste mit den Hausbesuchen bekommen?« Lundquists schlechte Laune erreichte einen neuen Tiefpunkt.

      »Wir fangen mit der Liste an«, wechselte Britta sofort das Thema. »Zeiten stehen leider nicht drauf, wir werden also bei jedem fragen müssen, wann der Pfarrer dort eingetroffen und wieder gegangen ist. Vielleicht sehen wir dann am Ende eine Art Bewegungsprofil.«

      »Gegen ein Uhr war er bei Hans Hansson. Er blieb für etwa 15 Minuten. Wir wissen aber nicht, ob das sein erster Hausbesuch an diesem Tag war – und Hans steht nicht auf der Liste. Bei ihm ist er nur zu einem privaten Abstecher vorbeigekommen. Worüber Arne mit ihm gesprochen hat, wollte Hans uns allerdings nicht erzählen.«

      Britta notierte sich die erste Zeitangabe in ein kleines Ringheft.

      »Der erste Name hier auf der Liste ist Linda Studentsborg, danach Ronald Halmquist. Wir machen uns auf den Weg.« Ole klapperte mit den Autoschlüsseln.

      »Genau! Das müssen wir noch klären! Ist Arne Mommsen mit dem Rad unterwegs gewesen oder benutzte er das Auto? Es sah ja schon seit dem frühen Vormittag nach Regen aus. Wenn er seinen Wagen benutzt hat, müssen wir fragen, wo der überall gesehen wurde.« Lundquist machte Knyst ein Zeichen. »Wir besuchen Clemens Brodersson. Ortvorsteher. Angeblich weiß er am besten über die Befindlichkeiten in Hummelgaard Bescheid. Besprechung in zwei Stunden im Büro. Bis dahin sollten wir erste Ergebnisse haben. Ihr wisst ja, dass die Presse solche Mordgeschichten ganz besonders liebt. Ein gekreuzigter Pfarrer! Manche planen das sicher schon für morgen als Aufmacher.«

      Clemens Brodersson wohnte ein einem blauen Holzhaus mit weißgebänderten Fenstern. Der kleine Garten schien Knyst hoffnungslos überbevölkert, er fragte sich, wie der Hausbesitzer eine solche Invasion von Gartenzwergen hatte zulassen können. Im Schein der Straßenbeleuchtung entdeckte er unter jedem Busch, in den Beeten, direkt am Weg, eben überall die kleinen Wesen, ausgestattet mit Spaten, Laternen, Schubkarren.

      »Mir wäre ja ein bisschen bang. Was, wenn die das Häuschen übernehmen und Clemens kurzerhand vor die Tür setzen? Gartenzwerge in Truppenstärke«, murmelte er dumpf.

      »Bewaffnet außerdem. Und Nachtsichtgeräte halten sie in den Händen«, neckte Lundquist den Freund und deutete auf einen der Laternenträger. »Sieh mal, die Torwächterin am Küchenfenster hat uns auch schon entdeckt!«

      Tatsächlich beäugte eine schwarze Katze die späten Störer voller Misstrauen.

      »Hast du den Blick gesehen?« Knyst schüttelte sich. »Direkt unheimlich. Verzaubert vielleicht. Du weißt schon, sie kann in die Seele der Menschen sehen und sie beurteilen. Möglicherweise erhalten wir also keinen Zutritt.«

      »In einem der Bücher, die auf Lisas Wunschzettel stehen, kommt eine Werkatze vor. Offensichtliche eine Variante des Werwolfs. Intelligent, schlagfertig, mit wundersamen Fähigkeiten. Gedankenlesen gehört auch dazu.« Lundquist klopfte dem Freund auf die Schulter. »Unser Hund kann das übrigens auch. Der spürt sofort, wer nett ist«, lachte er dann. »Deshalb hat er dich ja sofort angeknurrt.«

      »Und gezwickt! Ich mag keine Hunde«, beschwerte sich Lars.

      »Na ja, seither träumt unser Kleiner davon, später mal so groß zu werden, wie mein Freund Lars. Vielleicht dachte er, wenn er ein Stück von dir frisst, wird das einen Wachstumsschub auslösen. So, nun klopf endlich mal.«

      Doch das war gar nicht mehr notwendig.

      Offensichtlich hatte die Wächterin ihr Kommen angekündigt, denn als sie die kurze Treppe zum Eingangsbereich hochstiegen, wurde die Tür schon weit aufgerissen und ein unterseteter Mann mittleren Alters betrachtete interessiert die Besucher.

      »Polizei, wenn ich nicht irre. Na, dann kommt rein. Im Grunde habe ich schon deutlich früher mit euch gerechnet.«

      Er trat zur Seite, sprach mit der Katze, nickte dann den beiden Ermittlern zu.

      »Das ist Clothilde. Alle im Dorf glauben, sie habe magische Fähigkeiten. Aber das ist natürlich vollkommener Humbug. Schwarzes Fell und bernsteinfarbene Augen – mehr Zutaten braucht es manchmal nicht, um ein Geheimnis zu vermuten.«

      Im Wohnzimmer lief der Fernseher, auf dem Tisch vor der Couch wartete das Feierabendbier neben ein paar Wurstbroten. Eine Kerze brannte. »Meine Frau ist nicht da. Besucht eine Freundin auf Öland. Krankenbesuch. Hella ist die Treppe hinuntergestürzt und hat sich den Oberschenkel gebrochen. Und da sind drei Kinder und ein Mann zu versorgen«, erklärte Clemens und wies entschuldigend auf einen Haufen Schmutewäsche in der Ecke. »Ich hoffe, sie kann bis Ende der Woche wieder nach Hause kommen. Leider konnte sie sich noch nicht auf einen Termin festlegen. Ist mir nicht so angenehm, das Alleinsein«, brummte der Ortsvorsteher und bot seinen Gästen Plate an. Fiel ächzend in die Couch zurück, schaltete den Fernseher aus.

      »Ihr kommt wegen Mommsen. Wahrscheinlich hat seine Familie euch zu mir geschickt.«

      Er grunzte zufrieden, als die beiden nickten.

      »Ja, ja. Ich dachte mir schon, dass sie das tun würden. Über Tote spricht man nicht gern schlecht, schon gar nicht, wenn es sich um Familienmitglieder handelt, die auch noch ermordet wurden. Und dann auch noch derart theatralisch. Ungewöhnlich für Hummelgaard. Sehr ungewöhnlich sogar.«

      »Weil hier nicht gemordet wird?«, fragte Knyst nach.

      »Nein, das meine ich nicht. Aber ich würde annehmen, dass ein Hummelgaarder den schnellen Weg wählt. Erstechen, erschießen, vergiften, erschlagen – alles drin. Aber die Show mit dem Kreuz. Das war doch unnötiger Firlefanz. Untypisch für Hummelgaard.«

      Clemens sah die Besucher fragend an. »Ein Bier?«

      »Nein, ich fürchte, unser Feierabend ist noch weit entfernt«, meinte Lundquist schmunzelnd. »Erzähl uns doch, was für ein Mensch Arne Mommsen war.«

      »Eine einfache Frage, könnte man meinen. Aber in Arnes Fall ist sie nicht leicht zu beantworten. Zum einen wusste er grundsätzlich alles besser als jeder andere hier. Doch wer seinem Rat blind folgte, rutschte schnell in die Katastrophe. Natürlich lehnte Arne für das Scheitern jede Verantwortung ab, schließlich habe der Betroffene die Freiheit der Entscheidung


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