Das Haus der Freude. Edith Wharton

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Das Haus der Freude - Edith Wharton


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der Butler ihm vorgesetzt hatte.

      »Ich habe nur gesagt«, fing Lily wieder an, »dass ich es hasse, verwelkte Blumen auf dem Mittagstisch zu sehen, und Mutter sagt, ein Strauß Maiglöckchen würde nicht mehr als zwölf Dollar kosten. Darf ich dem Blumenhändler nicht sagen, er soll jeden Tag ein paar schicken?«

      Sie wandte sich zuversichtlich an ihren Vater, denn er verweigerte ihr selten etwas, und Mrs. Bart hatte ihr beigebracht, ihn zu bitten, wenn ihre eigenen Bemühungen versagten.

      Mr. Bart saß regungslos da, den Blick noch immer fest auf den Lachs gerichtet, sein Kinn hing schlaff nach unten; er sah sogar noch blasser aus als sonst, und sein dünnes Haar lag in unordentlichen Strähnen auf der Stirn. Plötzlich sah er seine Tochter an und lachte. Sein Lachen war so sonderbar, dass Lily darüber rot wurde; sie hatte es nicht gern, wenn man über sie lachte, und ihr Vater schien an ihrer Bitte irgendetwas lächerlich zu finden. Vielleicht fand er es dumm von ihr, ihn wegen einer solchen Kleinigkeit zu belästigen.

      »Zwölf Dollar – zwölf Dollar pro Tag für Blumen? O natürlich, mein Liebes – bestelle doch gleich Blumen für zwölfhundert.« Er lachte noch immer.

      Mrs. Bart warf einen kurzen Blick auf ihn.

      »Sie brauchen nicht zu warten, Poleworth – ich werde nach Ihnen läuten«, sagte sie zum Butler.

      Der Butler zog sich mit dem Ausdruck stiller Missbilligung zurück, die Reste des chaufroix ließ er auf dem Buffet stehen.

      »Was ist los, Hudson? Bist du krank?«, sagte Mrs. Bart streng.

      Sie hatte für Szenen, die nicht von ihr selbst gemacht wurden, nichts übrig, und sie fand es abscheulich von ihrem Gatten, dass er sich vor den Dienstboten eine solche Blöße gab.

      »Bist du krank?«, wiederholte sie.

      »Krank? – Nein, ich bin ruiniert«, sagte er.

      Lily gab einen erschreckten Laut von sich, und Mrs. Bart stand auf.

      »Ruiniert –?«, rief sie, doch sie hatte sich sofort wieder in der Gewalt und schaute Lily mit ruhiger Miene an.

      »Schließ die Tür zum Anrichteraum«, sagte sie.

      Lily gehorchte, und als sie sich wieder umwandte, saß ihr Vater da, die Ellenbogen auf den Tisch gestützt, den Teller mit Lachs dazwischen, und den Kopf auf die Hände gebeugt.

      Mrs. Bart beugte sich über ihn, ihr Gesicht war weiß, was ihr Haar unnatürlich gelb erscheinen ließ. Als Lily näher kam, sah ihre Mutter sie an: Ihr Blick war zum Fürchten, aber sie gab ihrer Stimme einen gespenstisch heiteren Klang.

      »Dein Vater fühlt sich nicht wohl – er weiß nicht mehr, was er sagt. Es ist weiter nichts, aber du gehst besser nach oben; und sprich nicht mit den Dienstboten darüber«, fügte sie hinzu.

      Lily gehorchte; sie gehorchte immer, wenn ihre Mutter mit dieser Stimme sprach. Mrs. Barts Worte hatten sie nicht täuschen können, sie wusste gleich, dass sie ruiniert waren. In den dunklen Stunden, die dann folgten, überschattete diese schreckliche Tatsache sogar den langsamen und schweren Tod ihres Vaters. Für seine Frau zählte er nicht mehr, er hatte aufgehört für sie zu existieren, als er seinen Zweck nicht mehr erfüllte, und sie saß bei ihm mit der Unverbindlichkeit, die von einem Reisenden ausgeht, der darauf wartet, dass ein verspäteter Zug abfährt. Lilys Gefühle waren sanfter: Sie empfand Mitleid für ihn auf eine verängstigte und fruchtlose Weise. Aber die Tatsache, dass er die meiste Zeit über bewusstlos war, und dass seine Aufmerksamkeit, wenn sie ins Zimmer kam, nach einem Moment von ihr wegglitt, ließen ihn noch fremder erscheinen als zu ihrer Kinderzeit, in der er immer erst nach Einbruch der Dunkelheit heimkehrte. Es kam ihr vor, als habe sie ihn immer durch einen Nebel gesehen, zuerst durch den der Schläfrigkeit, dann den der Entfernung und Gleichgültigkeit, und jetzt war der Nebel so dicht geworden, dass ihr Vater kaum noch zu erkennen war. Wenn sie ihm irgendwelche kleinen Dienste hätte erweisen können, oder wenn sie mit ihm einige der rührenden Worte hätte wechseln können, die sie aufgrund ausgedehnter Romanlektüre mit solchen Situationen in Verbindung brachte, wäre der töchterliche Instinkt in ihr vielleicht erwacht, aber weil ihr Mitleid keine Möglichkeit fand, sich aktiv auszudrücken, blieb es im Stadium des Zuschauens, vom grimmigen, nie erlahmenden Groll ihrer Mutter überschattet. Jeder Blick von Mrs. Bart und alles, was sie tat, schien zu sagen: »Jetzt tut er dir leid – aber du wirst noch anders denken, wenn du erfährst, was er uns angetan hat.«

      Für Lily war es eine Erleichterung, als ihr Vater starb.

      Dann setzte ein langer Winter ein. Es war ihnen noch ein wenig Geld geblieben, aber für Mrs. Bart war das schlimmer, als wenn sie gar keines mehr gehabt hätten – der reine Hohn, verglichen mit dem, was ihnen zustehe. Welchen Sinn hatte das Leben schon, wenn sie doch im Dreck leben mussten? Sie versank in eine Art wütender Apathie, einen Zustand reglosen Zorns gegen ihr Schicksal. Ihre besondere Fähigkeit »wirtschaften« zu können ließ sie im Stich, oder sie legte nicht mehr genügend Stolz darein, sich darum zu bemühen. Es war gut und schön zu »wirtschaften«, wenn man damit erreichte, einen eigenen Wagen halten zu können, aber wenn die allergrößte Findigkeit die Tatsache nicht verbergen konnte, dass man zu Fuß gehen musste, lohnte sich die Mühe nicht mehr.

      Lily und ihre Mutter wanderten von Ort zu Ort, entweder machten sie ausgedehnte Besuche bei Verwandten, deren Haushaltung Mrs. Bart kritisierte, während sie es sehr beklagten, dass Mrs. Bart Lily erlaubte, im Bett zu frühstücken, wo das Mädchen doch so wenig Aussichten hatte, oder sie verbrachten öde Wochen in billigen Pensionen auf dem Kontinent, wo Mrs. Bart sich mit wilder Entschlossenheit von den einfachen Mahlzeiten ihrer Gefährten im Unglück fernhielt. Besonders sorgfältig mied sie ihre alten Freunde und die Orte ihrer früheren gesellschaftlichen Erfolge. Armut schien ihr solch ein Eingeständnis des Versagens zu sein, dass sie im Grunde eine Schande war, und sie entdeckte in der freundlichsten Annäherung einen Anklang von Triumph über ihr Unglück.

      Nur eines tröstete sie, und das war die Betrachtung von Lilys Schönheit. Sie studierte diese mit einer Art Leidenschaft, so, als ob sie eine Waffe wäre, die sie langsam für ihre Rache geschmiedet hatte. Lilys Schönheit war der letzte Posten ihres Vermögens, das Kernstück, um das herum ihr Leben wieder aufgebaut werden sollte. Mrs. Bart wachte eifersüchtig über sie, als ob sie ihr eigener Besitz wäre und Lily bloß so etwas wie ein Verwalter; die Mutter bemühte sich der Tochter ein Gefühl der Verantwortung einzuprägen, das ein solches Gut verlangte. Sie verfolgte im Stillen die Laufbahn anderer Schönheiten, machte ihre Tochter darauf aufmerksam, was man mit einer solchen Gabe erreichen konnte, und hielt sich lange bei den warnenden Beispielen derjenigen auf, die es trotz ihrer Schönheit nicht vermocht hatten, das zu bekommen, was sie wollten; für Mrs. Bart konnte nur Dummheit das beklagenswerte Ende einiger dieser Beispiele erklären. Sie selbst war nicht darüber erhaben, inkonsequent zu sein und das Schicksal, nicht sich selbst, für ihr eigenes Unglück verantwortlich zu machen; aber sie wetterte so scharfzüngig gegen Liebesheiraten, dass Lily glauben mochte, ihre Heirat sei eine solche gewesen, hätte Mrs. Bart ihr nicht oftmals versichert, dass sie dazu »überredet« worden sei – von wem erklärte sie nie.

      Lily war gehörig beeindruckt vom Umfang ihrer Möglichkeiten. Die Schäbigkeit ihres gegenwärtigen Lebens verlieh der Existenz, auf die sie, wie sie fand, ein Anrecht hatte, einen tröstlichen Zauber. Einer weniger klaren Intelligenz hätten Mrs. Barts Ratschläge gefährlich werden können, aber Lily hatte begriffen, dass Schönheit nur das Rohmaterial für Eroberungen war, und dass andere Künste vonnöten waren, wollte man damit Erfolge erzielen. Sie wusste, dass es eine subtilere Form der von ihrer Mutter so heftig kritisierten Dummheit gewesen wäre, Überheblichkeit zu zeigen, und sie brauchte nicht lange, um zu lernen, dass eine Schönheit mehr Taktgefühl braucht als die Besitzer eher durchschnittlicher Gesichtszüge.

      Ihre Ambitionen waren weniger krude als die von Mrs. Bart. Ein Grund zur Klage war es für diese Dame unter anderem gewesen, dass ihr Gatte – in den ersten Tagen ihrer Ehe, bevor er zu müde für dergleichen war – seine Abende damit verschwendet hatte, »Gedichte zu lesen«, wie sie es vage beschrieb, und unter den Habseligkeiten, die nach seinem Tode in aller Eile zur Auktion weggeschickt wurden, waren ein oder zwei Dutzend abgegriffener Bände gewesen, die zwischen


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