Kommentar zum Briefe des Heiligen Paulus an die Römer. Johannes Chrysostomos
Читать онлайн книгу.ihren Ankläger auf, damit es nicht den Anschein habe, als führe er Klage aus persönlichen Gründen, zuerst kurz, gedrängt und im allgemeinen, später im einzelnen, einmal Isaias, dann, als er die Anklagen häuft, David. Nicht ich, ist der Sinn seiner Worte, sage das, um euch zu schmähen, sondern hört nur, was Isaias sagt:
V. 24: „Der Name Gottes wird eurethalben gelästert unter den Heiden.“
Sieh da, wieder eine zweifache Anklage. Nicht genug, sagt er, daß sie selbst gegen Gott freveln, sie bringen auch andere dazu. Was ist also die Belehrung nütze, wenn ihr euch selbst nicht belehrt? Aber oben spricht er nur davon allein, hier aber geht er auch aufs Gegenteil über. Nicht bloß euch selbst belehrt ihr nicht, sondern auch die andern belehrt ihr nicht über ihr Tun; und was noch viel schlimmer ist, ihr belehrt sie nicht nur nicht über die Forderungen des Gesetzes, sondern ihr lehrt sie gerade das Gegenteil, nämlich Gott lästern, was dem Gesetz entgegen ist. Aber die Beschneidung ist doch etwas Großes, sagst du. Das gestehe auch ich zu, aber nur dann, wenn sie eine Beschneidung des Innern ist. Beachte den Zusammenhang, wie der Apostel gerade an der rechten Stelle die Rede darauf bringt! Er hat nicht gleich mit der Beschneidung begonnen, weil sie in hoher Meinung stand; sondern erst nachdem er gezeigt hat, daß die Juden sich in größeren Stücken verfehlt haben, ja daß sie sogar der Gotteslästerung schuldig sind. Erst als er den Zuhörer dazu gebracht hat, sie zu verurteilen und als er sie ihres Vorzuges entkleidet hat, dann erst bringt er die Rede auf die Beschneidung, dann erst als er sicher ist, daß niemand für sie Partei ergreifen wird. Er sagt:
V. 25: „Die Beschneidung nützt zwar, wenn du das Gesetz erfüllst.“
Es wäre möglich gewesen, die Beschneidung in anderer Weise als unwirksam zu erklären, nämlich zu sagen: Was ist die Beschneidung? Doch nicht eine gute Tat dessen, der sie trägt? Auch nicht die Bekundung eines guten Vorhabens? Sie wird ja in einem unreifen Alter vorgenommen, und die in der Wüste blieben alle lange Zeit unbeschnitten. Aus diesen und vielen anderen Gründen hätte man zur Einsicht kommen können, daß sie nicht gar so notwendig sei. Jedoch gleichwohl geht der Apostel nicht von da aus, um sie als unwirksam zu erklären, sondern von einer Seite, die sehr günstig war — von Abraham. Denn der Sieg ist vollständig, wenn gezeigt wird, daß ihr gerade von der Seite Geringschätzung zuteil wird, von welcher sie den Juden verehrungswürdig war. Er hätte ebenso sagen können, daß auch die Propheten die Juden Unbeschnittene nennen. Aber das ist kein Fehler der Beschneidung, sondern derer, die sie mißbrauchten. Worauf es ihm ankommt, ist, zu zeigen, daß sie im tugendhaftesten Leben keine Rolle spielt. Das folgert er weiter unten. Doch hier führt er den Patriarchen (Abraham) noch nicht an, sondern er geht der Beschneidung von einer andern Seite zu Leibe. Später erst, als er vom Glauben spricht, lenkt er seinen Blick auf ihn, wenn er sagt: „Wie ward der Glaube dem Abraham angerechnet? Als Beschnittenem oder als Unbeschnittenem?“ Solange nämlich der Apostel gegen den Heiden und Unbeschnittenen im Kampfe steht, will er nichts davon sagen, um nicht verletzend zu werden; wie aber die Beschneidung in Gegensatz zum Glauben tritt, zieht er schärfer gegen sie los.
Bis hieher richtet sich der Kampf des Apostels gegen das Nichtbeschnittensein. Darum sänftigt er seine Rede und sagt: „Die Beschneidung nützt wohl, wenn du das Gesetz erfüllst;
bist du aber ein Übertreter des Gesetzes, so ist deine Beschneidung Vorhaut geworden.“
— Von zweierlei Unbeschnittensein und von zweierlei Beschneidung spricht hier der Apostel, wie auch von zweierlei Gesetz. Es gibt nämlich ein natürliches Gesetz und ein geschriebenes; aber in der Mitte zwischen beiden liegt das Gesetz, welches sich durch die Werke äußert. Gib nun acht, wie er diese drei (Gesetze) anschaulich darstellt. Er sagt: „Denn wenn die Heiden, die kein Gesetz haben …“ welches Gesetz, sag mir? — Das geschriebene. „… von Natur die Forderungen des Gesetzes erfüllen …“ welches Gesetzes? — Des Gesetzes, das sich durch die Werke äußert, „… so sind sie, welche kein Gesetz haben …“ welches Gesetz? — Das geschriebene, „… sich selbst Gesetz.“ Wieso? Indem sie das natürliche Gesetz anwenden. „Solche tragen zur Schau das Werk des Gesetzes.“ Welches? Des Gesetzes, das sich durch das Tun äußert. Jenes, das Buchstabengesetz, liegt außer uns, dieses, das Naturgesetz, liegt in uns, das dritte liegt im Handeln. Das eine tun Buchstaben kund, das andere die Natur, das dritte die Handlungen. Dieses dritte tut not, seinetwegen bestehen die beiden andern, das Naturgesetz und das Buchstabengesetz; wenn das nicht in Erscheinung tritt, dann sind jene nutzlos, ja sie sind sogar zum größten Schaden. Vom Naturgesetz drückt dies der Apostel aus in den Worten: „Worin du einen andern richtest, darin verurteilst du dich selbst“; vom geschriebenen aber: „Du predigst, man solle nicht stehlen und stiehlst selbst.“ Ebenso gibt es auch zweierlei Unbeschnittenheit, eine natürliche und eine moralische; auch zweierlei Beschneidung, eine, die am Fleische, und eine andere, die am Willen vollzogen wird. Wenn z. B. jemand am achten Tage beschnitten wird, so ist das die fleischliche Beschneidung; tut aber jemand alles, was im Gesetze steht, so ist das eine seelische Beschneidung. Und das ist die, welche Paulus vor allem fordert oder vielmehr das Gesetz selbst.
3.
Sieh also, wie er sie (die fleischliche Beschneidung) dem Wortlaute nach zwar zugibt, in Wirklichkeit aber aufhebt. Er sagt nämlich nicht: Die Beschneidung ist überflüssig, sie ist Unsinn, sie ist unnütz, sondern was sagt er? „Die Beschneidung nützt wohl, wenn du das Gesetz erfüllst.“ Er gibt sie vorläufig zu, indem er sagt: Ja, ich gestehe zu, ich widerspreche nicht, daß die Beschneidung etwas Gutes ist; jedoch wann? Wenn sie von der Beobachtung des Gesetzes begleitet ist. „Bist du aber ein Übertreter des Gesetzes, so ist deine Beschneidung Vorhaut geworden.“ Er sagt nicht: Sie nützt nichts, um nicht den Anschein zu erwecken, als wolle er sie beschimpfen; sondern er spricht zuerst dem Juden das Beschnittensein ab, dann verwirft er ihn. Auf diese Weise trifft der Schimpf nicht die Beschneidung, sondern den, der ihrer durch eigene Lässigkeit verlustig gegangen ist. Wie die Richter Männer in hohen Ehrenstellen, die bei Begehung großer Verbrechen verhaftet worden sind, erst ihrer Würde entkleiden und dann erst die Strafe über sie aussprechen, so verfährt Paulus. Nachdem er gesagt hat: „Bist du aber ein Übertreter des Gesetzes“, fährt er fort: „… so ist deine Beschneidung Vorhaut geworden.“ Auf diese Weise hat er gezeigt, daß der Jude eigentlich unbeschnitten ist; und nun verurteilt er ihn ohne Bedenken.
V. 26: „Wenn nun der Unbeschnittene die Vorschriften des Gesetzes hält, wird da nicht seine Vorhaut in Beschneidung umgewandelt werden?“
Sieh, was er macht! Er sagt nicht, daß die Unbeschnittenheit die Beschneidung übertrifft — dadurch hätte er ja bei seinen Zuhörern sehr angestoßen —, sondern daß die Unbeschnittenheit in Beschneidung umgewandelt worden ist. Er untersucht weiter, was die Beschneidung sei und was die „Vorhaut“. Er sagt, die Beschneidung bestehe in einer guten Handlungsweise, die Vorhaut in einer schlechten. Den Unbeschnittenen, der sich einer guten Handlungsweise befleißt, beansprucht er für die Beschneidung, den Beschnittenen dagegen mit einem verderbten Leben verweist er unter den Begriff „Vorhaut“. Den Vorzug gibt er dann dem Unbeschnittenen. Er sagt aber nicht „dem Unbeschnittenen“, sondern er setzt dafür die Handlungsweise, indem er sagt: „Wird da nicht deine Vorhaut in Beschneidung umgewandelt werden?“ Er sagt auch nicht „angesehen werden“, sondern „umgewandelt werden“, was nachdrucksvoller ist. So hat er auch oben nicht gesagt: „Deine Beschneidung ist als Vorhaut angesehen worden“, sondern „ist Vorhaut geworden“.
V. 27: „Und es wird dich richten die natürliche Vorhaut…“
Du siehst, daß der Apostel zweierlei Vorhaut kennt, eine im natürlichen und eine im übertragenen Sinne; hier spricht er von der natürlichen, aber er bleibt nicht dabei stehen, sondern fährt fort:
„… die das Gesetz beobachtet, dich, der du bei Schrift und Beschneidung ein Übertreter des Gesetzes bist.“
— Beachte da seine überaus feinsinnige Unterscheidung! Er sagt nicht, daß die natürliche Vorhaut die Beschneidung richten wird, sondern er setzt zwar immer da, wo etwas Rühmenswertes zu sagen ist, das Wort „Vorhaut“, wo dagegen etwas Nachteiliges ausgesagt werden muß, läßt er nicht