Kommentar zum Briefe des Heiligen Paulus an die Römer. Johannes Chrysostomos

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Kommentar zum Briefe des Heiligen Paulus an die Römer - Johannes Chrysostomos


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„Dich, der du bei Schrift und Beschneidung ein Übertreter des Gesetzes bist“; d. h. die Vorhaut in diesem Sinne (nämlich bei Gesetzesbeobachtung) rettet der Beschneidung die Ehre, denn ihr ist Unrecht geschehen (nämlich von dem Beschnittenen, der das Gesetz übertreten hat); auch kommt sie dem Gesetz zu Hilfe, denn ihm ist Gewalt angetan worden; so stellt er ein leuchtendes Siegeszeichen auf. Der Sieg ist gerade deswegen ein glänzender, weil nicht der Jude vom Juden, sondern von dem Unbeschnittenen gerichtet wird, so wie wenn es heißt: „Die Männer von Ninive werden aufstehen und dieses Geschlecht verurteilen“ 86. Der Apostel tut also dem Gesetz keinen Abbruch an seiner Ehre — im Gegenteil, er hat große Hochachtung davor —, sondern sein Tadel gilt dem, der sich gegen das Gesetz vergeht. Nachdem er dies klar gemacht hat, umgrenzt er weiter freisinnig den Begriff „Jude“ und legt dar, daß er nicht den Juden und nicht die Beschneidung verwerfe, sondern gerade den Nicht-Juden und den Nicht-Beschnittenen. Scheinbar rettet er der Beschneidung die Ehre, aber doch zerstört er die hohe Meinung von ihr, indem er sie nur insoweit gelten läßt, als sie einen Erfolg (nämlich im sittlichen Leben) aufweist. Er zeigt nämlich, daß gar kein Unterschied bestehe zwischen einem Juden und einem Unbeschnittenen, ja daß sogar der Unbeschnittene höher stehe, wenn er acht hat auf sich; das sei der eigentliche Jude. Darum sagt er:

       V. 28: „Denn nicht wer es im Äußeren ist, ist ein Jude, noch ist Beschneidung, die äußerliche, die am Fleische.“

      — hier gibt er denen einen Merks, die alles nur des äußeren Scheines wegen tun —,

       „sondern wer es im Innern ist, ist ein Jude, und Beschneidung ist eine solche des Herzens, dem Geiste und nicht dem Buchstabe nach.“

       4.

      Mit diesen Worten schließt er alles Körperliche aus; denn die Beschneidung war etwas Äußerliches, ebenso die Sabbate und die Opfer und die Reinigungen. Das alles ist inbegriffen in den Worten: „Denn nicht das Äußerliche macht den Juden aus.“ Da aber die Beschneidung ein hohes Ansehen genoß, so daß selbst der Sabbat hinter ihr zurückstand, verbreitet er sich mit Recht mehr über sie. Mit dem Worte: „Im Geiste“ arbeitet er der Heilsordnung der Kirche vor und kommt auf den Glauben zu sprechen; denn dieser hat nur sein Lob bei Gott, wenn er im Herzen und im Geiste lebt. Warum zeigt er des weiteren nicht, daß der Heide, wenn er recht handelt, dem Juden, der recht handelt, nicht nachsteht, sondern daß der Heide, wenn er recht handelt, vor dem Juden, der ein Gesetzesübertreter ist, den Vorzug hat? Um den Sieg (über die Beschneidung) nicht zweifelhaft erscheinen zu lassen. Denn wenn das einmal zugegeben ist, dann ist die Beschneidung notwendigerweise abgetan, und es ist klar geworden, daß es ganz und gar nur auf das (gute) Leben ankommt. Wenn nämlich der Heide ohne alles das gerettet, der Jude aber mit allem dem der Strafe verfällt, dann ist das Judentum aufgehoben. Unter einem „Heiden“ versteht aber der Apostel wieder nicht einen Götzenanbeter, sondern einen gottesfürchtigen und tugendhaften Menschen, der nur der Vorschriften des (mosaischen) Gesetzes entbehrt.

       Kap. III, V. 1: „Was hat nun der Jude voraus?“

      Nachdem der Apostel durch den Satz: „Das Äußerliche macht den Juden nicht aus, sondern das Innere“, alles ausgeschlossen hat: das Hörersein (des Gesetzes), das Lehren (desselben), den Namen „Jude“, die Beschneidung und alles andere, sieht er einen Einwand auftauchen und tritt ihm entgegen. Welches ist dieser Einwand? Wenn alles das, könnte jemand sagen, nichts nützt, wozu ist dann das (jüdische) Volk auserwählt und wozu ist ihm das Gesetz gegeben worden? Was tut nun der Apostel? Wie löst er ihn? Auf dieselbe Weise wie oben. Er hat auch dort sein Loblied auf die Juden gesungen; er hat Gottes Wohltaten, nicht aber ihre guten Werke verherrlicht. Er hat ihnen denselben Vorwurf gemacht wie der Prophet, der spricht: „Nicht also tat er allen Völkern und offenbarte ihnen nicht seine Satzungen“ 87, und Moses wiederum spricht: „Fraget, ob jemals dergleichen geschehen, ob jemals ein Volk die Stimme Gottes aus der Mitte des Feuers gehört habe und am Leben geblieben sei?“ 88 Ebenso verfährt der Apostel hier. Oben, wo er von der Beschneidung sprach, sagte er nicht: die Beschneidung nützt nichts ohne das (rechte) Leben, sondern: die Beschneidung nützt in Verbindung mit dem rechten Leben. Es ist dasselbe, aber milder ausgedrückt. Und wieder nach: „…Bist du aber ein Übertreter des Gesetzes“, sagt er nicht: So nützt dir die Beschneidung nichts, sondern: „Dann ist deine Beschneidung Vorhaut geworden.“ Und hierauf sagt er wieder nicht: Die Vorhaut wird die Beschneidung richten, sondern: „Dich, den Gesetzesübertreter“. Er läßt die Satzungen unberührt und trifft nur die Menschen. Ebenso macht er es hier. Er wendet sich selbst ein: „Was hat also der Jude voraus?“ und antwortet nicht darauf: Nichts, sondern er gibt dem Wortlaute nach zwar einen Vorzug zu; durch das Folgende hebt er ihn aber wieder auf, indem er zeigt, daß sie eben dieses Vorzuges wegen gestraft werden würden. Wieso? Ich will es sagen, indem ich den Einwand mit seinen eigenen Worten vortrage: „Was hat also der Jude voraus“, fragt er,* „oder was ist die Beschneidung nütze?“

      V. 2: „Gar viel allerdings. Zuvörderst nämlich, daß sie mit den Aussprüchen Gottes betraut wurden.“ *

      Siehst du, wie ich oben sagte, daß der Apostel nirgends ihre guten Werke, sondern die Wohltaten Gottes aufzählt? Was soll das heißen: Sie wurden betraut? Es soll heißen, daß sie das Gesetz eingehändigt bekommen, daß Gott sie einer so großen Auszeichnung würdig erachtete, wie die ist, ihnen Offenbarungen von oben anzuvertrauen. Ich weiß zwar, daß einige das: „sie wurden betraut“ nicht auf die Juden beziehen, sondern auf die Aussprüche, d. h. daß (von ihnen) das Gesetz geglaubt wurde; jedoch das Folgende schließt diese Deutung aus. Erstlich einmal soll ja in diesen Worten ein Vorwurf liegen; der Apostel will zeigen, daß die Juden eine große Wohltat von oben genossen, daß sie aber dafür großen Undank bewiesen. Ferner ist dies aus dem Folgenden ersichtlich; er fährt nämlich fort:

      V. 3: „Was nun, wenn einige nicht glaubten?“ Wenn sie aber nicht glaubten, wie kann man sagen, daß die Aussprüche Gottes geglaubt wurden? Was will also der Apostel sagen? Daß Gott ihnen das anvertraute, nicht aber, daß sie seinen Worten Glauben schenkten. Was hätte dann das Folgende für einen Sinn? Er fährt nämlich fort: „Was nun, wenn einige nicht glaubten?“ Und was darauf folgt, erweist dasselbe; er fügt nämlich bei:

       „Wird wohl ihr Unglaube die Treue Gottes aufheben? Das sei ferne!“

      — Das also, womit sie betraut wurden, nennt der Apostel Gottes Geschenk. Beachte hierbei wieder seine Klugheit! Den Vorwurf gegen sie führt er wieder nicht als seine Behauptung an, sondern in Form eines Einwandes, wie wenn er sagte: Aber du wirst vielleicht fragen: Was ist eine solche Beschneidung nütze? Sie machten ja doch nicht den Gebrauch davon, wie sie sollten; sie wurden mit dem Gesetze betraut und schenkten ihm keinen Glauben. Bisher ist er nicht in der Rolle eines scharfen Anklägers gegen die Juden aufgetreten, sondern indem er scheinbar Gott gegen ihre Anschuldigungen in Schutz nimmt, kehrt er die Anklage gegen sie selbst um. Was machst du geltend, fragt er, daß sie ihm keinen Glauben schenkten? Was beweist das gegen Gott? Wandelt denn die Undankbarkeit der Beschenkten die wohlwollende Gesinnung Gottes um? Bewirkt sie, daß angetane Ehre keine Ehre sei? Das ist gemeint, wenn er spricht: „Wird wohl ihr Unglaube die Treue Gottes aufheben? Das sei ferne!“ Es ist, als wenn jemand sagte: Ich habe dem so und so eine Ehre antun wollen; wenn nun er die Ehrung nicht mag, so trägt das mir keinen Vorwurf ein und wirft kein schiefes Licht auf meine menschenfreundliche Gesinnung, sondern ist ein Beweis von der Gefühllosigkeit des andern. Doch Paulus sagt nicht bloß das, sondern noch viel mehr, nämlich, daß ihr Unglaube nicht bloß nicht Gott zur Last gelegt werden könne, sondern daß er seine menschenfreundliche Gesinnung und seine Absicht, sie zu ehren, in einem noch helleren Lichte erstrahlen lasse. Gott steht nämlich da als einer, der auch dem eine Ehre antut, der im Begriffe steht, ihn selbst zu verunehren.

       5.

      Siehst du, wie er ihnen gerade das, worauf sie so stolz waren, zu ihrer eigenen Verschuldung umstempelt? Gott hat ihnen so große Ehre angetan, er hat von seinem Wohlwollen nicht gelassen, obzwar er voraussah, was kommen wird, und sie haben die Ehrengeschenke selbst dazu benützt, gegen ihn zu freveln. Er sagt: „Was aber, wenn einige ihm keinen Glauben schenkten?“ während es doch wohl alle am Glauben


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