Briefe über den Yoga. Sri Aurobindo
Читать онлайн книгу.plastisch sein und allem notwendigen Wirken der Göttlichen Macht stattgeben in dem Maße, wie es die menschliche Natur erlaubt; dies kann jedoch in Einzelheiten und bei jedem einzelnen verschieden sein.
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Okkultismus ist das Wissen von den verborgenen Kräften der Natur und ihr rechter Gebrauch.
Okkulte Kräfte sind diejenigen, die nur erkannt werden können, indem man hinter den Schleier der scheinbaren Phänomene sieht – es sind besonders die Kräfte der feinstofflichen und überstofflichen Ebenen.
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Meist werden die mehr innerlichen und die anomalen psychologischen Erfahrungen mit „seelisch“ bezeichnet. Ich gebrauche das Wort „seelisch“ in Zusammenhang mit der Seele und zum Unterschied von Mental und Vital. Alle Regungen und Erfahrungen der Seele würden in diesem Sinne seelisch genannt werden, also jene, die sich aus dem seelischen Wesen erheben oder es direkt berühren; wo hingegen Mental und Vital das Übergewicht haben, würde man die Erfahrung als psychologisch bezeichnen (oberflächlich oder verborgen). „Spirituell“ bezieht sich nicht notwendigerweise auf das Absolute. Natürlich, die Erfahrung des Absoluten ist spirituell. Alle Kontakte mit dem Selbst, dem höheren Bewusstsein, dem Göttlichen darüber sind spirituell. Es gibt andere, die nicht so klar eingereiht oder gegeneinander abgegrenzt werden können.
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Die spirituelle Verwirklichung ist von vordringlicher Wichtigkeit und unumgänglich. Ich halte es für das beste, wenn die spirituelle und seelische Entwicklung zuerst stattfinden, und zwar voll und ganz, bevor man in die okkulten Bereiche eintritt. Jene, die dort zuerst eintreten, laufen Gefahr, ihre spirituelle Verwirklichung stark zu verzögern; andere geraten in die labyrinthischen Fallen des Okkulten und können sich in diesem Leben nicht daraus befreien; wiederum andere können ohne Zweifel beides, das Okkulte und das Spirituelle miteinander verbinden, damit diese sich gegenseitig stützen; doch der von mir vorgeschlagenen Weg ist sicherer.
Der Spirit und das seelische ‚Wesen, geeint mit dem Göttlichen, müssen für uns die entscheidenden Faktoren sein – okkulte Gesetze und Erscheinungen muss man kennen, doch nur als Mittel, nicht als leitendes Prinzip. Das Okkulte ist ein weites, verschlungenes Feld und nicht ohne Gefahren. Man braucht sich von ihm nicht abzuwenden, doch sollte ihm keine vorrangige Bedeutung beigemessen werden.
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Eine Tätigkeit der astralen Ebene in Verbindung mit astralen Kräften, begleitet von einem Verlassen des Körpers, ist kein spirituelles Ziel, sondern gehört in den Bereich des Okkulten. Sie hat mit dem Yoga nichts zu tun. Auch Fasten ist im Ashram nicht erlaubt, da es dem spirituellen Bestreben häufig mehr schadet als nützt.
Das Ziel, das dir vorgeschlagen wurde, scheint dem Suchen nach okkulten Kräften anzugehören; ein derartiges Suchen wird jedoch von den meisten spirituellen Lehrern Indiens mit Missfallen betrachtet, da es auf einer niedrigeren Ebene steht und den Suchenden meist auf einen Pfad drängt, der ihn sehr weit vom Göttlichen fortführen kann. Besonders ein Kontakt mit Kräften und Wesen der astralen (oder, wie wir sie nennen, der vitalen) Ebene ist mit großen Gefahren verbunden. Die Wesen dieser Ebene stehen häufig dem wahren Ziel des spirituellen Lebens feindlich gegenüber; sie nehmen Kontakt mit dem Suchenden auf, bieten ihm Mächte und okkulte Erfahrungen an, doch nur, um ihn weit vom spirituellen Pfad fortzuführen oder ihre eigene Herrschaft über ihn zu gewinnen oder für ihre eigenen Zwecke von ihm Besitz zu ergreifen. Häufig stellen sie sich als göttliche Mächte dar, führen ihn durch falsche Beeinflussungen und Anregungen in die Irre und entstellen das innere Leben. Es gibt viele, die, angezogen von diesen Mächten und Wesen der vitalen Ebene, in einem endgültigen spirituellen Zusammenbruch oder in mentaler und physischer Verirrung und Zerrüttung endeten. Man kommt unweigerlich mit der vitalen Ebene in Berührung, man betritt sie in dem geweiteten Bewusstsein, das aus dem inneren Sich-Öffnen herrührt, doch sollte man sich nie in die Hände dieser Wesen und Kräfte geben oder sich von ihren Vorschlägen und Impulsen leiten lassen. Dies ist eine der Hauptgefahren des spirituellen Lebens, und vor ihr auf der Hut zu sein, ist für den Suchenden, der sein Ziel erreichen will, unbedingt erforderlich. Es ist richtig, viele überstoffliche oder übernatürliche Fähigkeiten stellen sich mit der Bewusstseinsausweitung im Yoga ein; es ist für einen Yogi etwas durchaus Übliches, sich aus dem Körperbewusstsein zu erheben oder mit Hilfe feinstofflicher Mittel auf der überphysischen Ebene zu wirken usw. Diese Fähigkeiten werden jedoch nicht gesucht, sondern kommen ganz natürlich und haben keinen astralen Charakter. Sie dürfen auch nur im ausschließlich spirituellen Bereich gebraucht werden, d. h. durch den Göttlichen Willen und die Göttliche Kraft, als ein Instrument, doch niemals als Handhabung für die Kräfte und Wesen der vitalen Ebene. Diese um Hilfe für derartige Fähigkeiten anzugehen, ist ein großer Fehler.
Anhaltendes Fasten kann zu einer Reizung des Nervensystems führen und wird oft von lebhaften Einbildungen und Halluzinationen begleitet, die man für wahre Erfahrungen hält. Ein solches Fasten wird häufig von vitalen Wesenheiten suggeriert, da es das Bewusstsein aus dem Gleichgewicht bringt, was ihren Plänen förderlich ist. Dies ist der Grund, weshalb wir es nicht gerne sehen. Die zu befolgende Regel ist in der Gita festgelegt und lautet: „Yoga taugt nicht für einen, der zu viel isst, oder für einen, der gar nicht isst“; das bedeutet also ein vernünftiges Maß an Essen, das ausreicht, um die Gesundheit und die Kraft des Körpers aufrechtzuerhalten.
Eine Bruderschaft in der Art, wie du sie beschreibst, gibt es in Indien nicht. Es gibt Yogis, die okkulte Mächte zu erlangen und anzuwenden suchen, doch sind es einzelne, die von einem bestimmten Meister unterwiesen werden. Okkulte Gemeinschaften, Logen, Bruderschaften, wie sie von europäischen Okkultisten beschrieben werden, sind in Asien nicht bekannt.
Was die Geheimhaltung anbelangt, so ist ein gewisses Maß an Diskretion oder ein gewisses Stillschweigen über die Anweisungen des Gurus und die eigenen Erfahrungen ratsam, doch ist keinesfalls eine absolute Geheimhaltung oder Geheimnistuerei geboten. Ist einmal ein Guru gewählt, darf nichts vor ihm verborgen werden. Die Suggerierung der völligen Geheimhaltung ist jedoch oft ein Trick astraler Mächte, die das Suchen nach Erleuchtung und Beistand verhindern wollen.
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All diese deine „Experimente“ gründen in der vitalen Natur und dem Mental, das mit ihr in Verbindung steht; auf dieser Grundlage aber ist man vor Falschheit und elementarem Irrtum nicht sicher. Die sich entfaltenden Mächte – ob groß oder klein – sind keine Bürgschaft gegen eine Abkehr von der Wahrheit; und wenn du den Stolz, die Arroganz, das Zur-Schau-Stellen von Macht sich einschleichen und von dir Besitz ergreifen lässt, wirst du mit Sicherheit in die Irre gehen und der Macht der rajasischen Maya und Avidya zum Opfer fallen. Unser Ziel ist nicht, Mächte .zu erlangen, sondern zum göttlichen Wahrheits-Bewusstsein aufzusteigen und seine Wahrheit in die niederen Wesensteile herabzubringen. Mit der Wahrheit werden sich alle erforderlichen Mächte einstellen, nicht als eigene, sondern als die des Göttlichen. Der Kontakt mit der Wahrheit kann nicht durch rajasisch-mentale und vitale Selbstanmaßung wachsen, sondern allein durch seelische Reinheit und Hingabe.
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Die astasiddhis, die okkulten Mächte, wie sie im gewöhnlichen Yoga erlangt werden, sind vitale Mächte oder, wie im Raja-Yoga, mentale siddhis. Ihre Anwendung ist gewöhnlich unsicher und gefährlich, da sie von der Aufrechterhaltung des Vorganges abhängig sind, durch den sie erlangt wurden.
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Mit der „physischen Natur“ ist nicht allein der Körper gemeint; dieser Ausdruck umfasst vielmehr die Umwandlung des gesamten physischen Mentals, Vitals und der physischen Natur – nicht indem sie ihnen siddhis [außergewöhnliche oder okkulte Mächte] auferlegt, sondern indem sie eine neue physische Natur schafft, welche die Bleibe des supramentalen Wesens in einer neuen Evolution sein wird. Es ist mir nicht bekannt, dass dies durch einen Vorgang des Hatha-Yoga oder irgendeinen anderen Vorgang erreicht wurde. Mentale oder vitale okkulte Macht kann lediglich die siddhis der höheren Ebenen in das individuelle Leben herabbringen – so wie es das Beispiel des sannyasin zeigt, der Gift unbeschadet nehmen konnte, doch schließlich an einem Gift starb, als er vergaß, die Bedingungen der siddhis einzuhalten. Das Wirken der erwarteten supramentalen Macht besteht nicht in einem Einfluss auf den Körper, der ihm anomale Fähigkeiten verleiht,