Briefe über den Yoga. Sri Aurobindo
Читать онлайн книгу.Liebe zu verfeinern, durch die Hinwendung der menschlichen Liebe zum Göttlichen. Es war eine starke und innige Bemühung mit vielen reichen und schönen Erfahrungen; doch ihre Schwäche bestand darin, dass sie nur als innere Erfahrungen in der Hinwendung zum inneren Göttlichen Gültigkeit hatten; an diesem Punkt machten sie jedoch halt. Chaitanyas Liebe, prema, war eine seelisch-göttliche Liebe mit einer sehr verfeinerten vitalen Manifestation. Doch in dem Augenblick als der Vaishnavismus vor oder nach Chaitanya den Versuch einer weiteren Veräußerlichung machte, gab es vitalen Niedergang, viel Entartung und Verfall. Du kannst Chaitanyas Beispiel nicht gegen seelische oder göttliche Liebe anführen; denn seine Liebe war nicht nur etwas vitales menschliches; sie war in ihrer Essenz, doch nicht in ihrer Form, durchaus der erste Schritt zu jener Umwandlung, die wir vom Sadhak fordern, damit dessen Liebe eine seelische werde und sein Vital nicht um seiner selbst willen, sondern als Ausdruck der Seelen-Verwirklichung gebraucht würde. Es ist der erste Schritt, und für manche mag er genügen, denn wir erwarten nicht von jedermann, supramental zu werden; doch für eine volle Manifestation auf der physischen Ebene ist das Supramental unerlässlich.
Die Sadhana der späteren Vaishnava-Tradition verläuft derart, dass die menschliche vitale Liebe in ihren hauptsächlichen Formen dem Göttlichen zugewandt wird; viraha, die Abwesenheit des Göttlichen Geliebten oder abhimana, der verletzte Stolz, sogar eine völlige Trennung (wie Krishnas Abreise nach Mathura) werden zu den hauptsächlichen Elementen dieses Yoga gemacht. Doch all dies war nur (in der Sadhana als solcher, nicht in den Vaishnava-Gedichten) als ein Durchgang gedacht, der in milana oder der vollkommenen Einung endet; doch die Betonung der unerfreulichen Elemente schien Kampf und Trennung und abhimana geradezu zum eigentlichen Mittel, ja zum Ziel dieser Art prema-yoga zu machen. Nochmals, dieser Weg war jedoch nur auf ein inneres, nicht ein physisch-verkörpertes Göttliches gerichtet und bezog sich auf gewisse Stadien und Reaktionen des inneren Bewusstseins in seinem Suchen nach dem Göttlichen. In den Beziehungen zur verkörperten Göttlichen Manifestation oder, wie ich vielleicht hinzufügen sollte, des Schülers zum Guru können gewisse Dinge als Ergebnis menschlicher Unvollkommenheit aufkommen, doch sind sie in der Theorie dieser Beziehungen nicht enthalten. Ich glaube nicht, dass sie zu den üblichen und befugten Beziehungen des bhakta zum Guru gehören. Im Gegenteil, die Beziehungen des Schülers zum Guru im Guruvada sollen immer die der Verehrung, des Respektes, des vollkommenen glücklichen Vertrauens, einer bedingungslosen Annahme der Führung sein. Ungewandelte vitale Beziehungen zum verkörperten Göttlichen [dem Guru] aufrechtzuerhalten, hat zu Bewegungen geführt, die dem Fortschritt im Yoga nicht förderlich sind.
Auch Ramakrishnas Yoga war nur einer inneren Verwirklichung des inneren Göttlichen zugewandt – nichts Geringerem, doch auch nichts Größerem. Ich glaube, mit Ramakrishnas Satz über den Anspruch des Sadhaks auf das Göttliche, dem er alles opfert, ist ein innerer, nicht ein äußerer Anspruch gemeint und ebenso das innere und nicht das physisch verkörperte Göttliche; es ist ein Anspruch auf die volle spirituelle Einung des Gottliebenden, der das Göttliche sucht, und ebenfalls des Göttlichen, das sich ihm gibt und ihm begegnet. Dagegen ist nichts einzuwenden; einen derartigen Anspruch stellen alle, die das Göttliche suchen, doch hat die Art und Weise dieser göttlichen Begegnung keine weitere Bedeutung für uns. Mein Ziel ist in jedem Fall eine Verwirklichung auf der physischen Ebene und nicht, Ramakrishna nur zu wiederholen. Ich glaube auch, mich zu erinnern, dass er lange Zeit in sich zurückgezogen lebte und nicht sein ganzes Leben mit seinen Schülern verbrachte. Er erlangte vielmehr seine siddhi zuerst in der Abgeschiedenheit, und als er diese aufgab und jedermann empfing, zehrte dies seinen Körper in ein paar Jahren aus. Es war ihm vermutlich gleichgültig. Er behauptete sogar als Keshav Chandra starb, dass spirituelle Erfahrung zwangsweise den Körper auszehrt. Doch als man ihn nach der Krankheit in seinem Hals fragte, antwortete er wiederum, dass es die Sünden seiner Schüler seien, die sie auf ihn geworfen hätten und die er zu schlucken habe. Da auch er mit einer bloßen inneren Befreiung nicht zufrieden war, kann ich diese Ideen oder Ergebnisse nicht hinnehmen, denn sie klingen mir nicht nach einem glücklichen Treffen des Göttlichen mit dem Sadhak auf der physischen Ebene, wie erfolgreich sie auch für das innere Leben gewesen sein mögen. Krishna tat große Dinge und war mit Sicherheit eine Manifestation des Göttlichen. Ich erinnere mich jedoch an eine Stelle im Mahabharata, wo er sich über das unruhige Leben beklagte, das seine Jünger und Bewunderer ihm verursachten, über ihre fortwährenden Forderungen und Vorwürfe, und dass sie ihre ungeläuterte vitale Natur auf ihn werfen würden. Und in der Gita spricht er von dieser menschlichen Welt als vergänglich und leidvoll und scheint trotz seiner Lehre vom göttlichen Tun beinahe zuzugeben, dass die Abkehr vom Leben schließlich die beste Lösung sei. Die Überlieferungen der Vergangenheit bedeuten viel für ihre Zeit, also für die Vergangenheit, doch sehe ich nicht ein, warum wir sie lediglich nachahmen und nicht über sie hinausgehen sollten. In der spirituellen Entwicklung des Erdbewusstseins sollte der großen Vergangenheit eine größere Zukunft folgen.
Ein Gesetz scheint ihr alle völlig zu übersehen, nämlich die Schwierigkeiten der physischen Verkörperung und der göttlichen Verwirklichung auf der physischen Ebene. Für die meisten scheint es eine einfache Alternative zwischen zwei Dingen zu sein, entweder kommt das Göttliche in seiner vollen Macht herab, und die Sache geschieht, es gibt keine Schwierigkeit, keine erforderliche Bedingung, kein Gesetz, keinen Ablauf, nur Wunder oder Magie – oder aber, dies kann nicht das Göttliche sein. Und ihr besteht alle (oder beinahe alle) darauf, dass das Göttliche Mensch werde, ein menschliches Bewusstsein annehme, und ihr protestiert gegen jeden Versuch, den Menschen göttlich zu machen. Auf der anderen Seite aber der Aufschrei der Enttäuschung, Verwirrung, des Misstrauens, gar des Unwillens, sobald es menschliche Schwierigkeiten gibt, einen angestrengten Körper, einen schwankenden Kampf mit feindlichen Mächten, mit Hindernissen, Herausforderungen und Krankheit, und manche sagen bereits: „Oh, es gibt nichts Göttliches hier“! – als könne man vital und physisch im ungewandelten individuellen menschlichen Bewusstsein bleiben, in ständig gleichbleibendem Kontakt mit ihm, seine Forderungen befriedigen und dennoch in allen Umständen und unter allen Bedingungen gegen Anstrengung, Krankheit und Kampf gefeit sein. Wenn ich das menschliche Bewusstsein vergöttlichen will, also das Supramental, das Wahrheits-Bewusstsein, das Licht und die Kraft in das Physische herabbringen will, um es umzuwandeln, um dort eine große Fülle von Wahrheit, Licht und Macht, von Wonne und Liebe zu schaffen, so ist die Reaktion Widerwille, Furcht oder Abneigung – oder auch Zweifel, ob es überhaupt möglich ist. Einerseits wird der Anspruch erhoben, dass Krankheit und das Übrige unmöglich sein sollen, andererseits aber die einzige Bedingung, unter der diese Dinge unmöglich werden können, heftig zurückgewiesen. Ich weiß, dies ist die natürliche Inkonsequenz des menschlich-vitalen Mentals, das zwei entgegengesetzte und unvereinbare Dinge vereinen will; das jedoch ist ein Grund, warum es notwendig ist, den Menschen umzuwandeln und durch etwas ein wenig Lichtvolleres zu ersetzen.
Ist denn das Göttliche etwas so Schreckliches, Furchtbares oder Abstoßendes, dass die Vorstellung seines Eintritts in das Physische, die Vergöttlichung des Menschen ein derartiges Zurückweichen, eine derartige Ablehnung, Aufruhr oder Furcht erzeugt? Ich kann verstehen, dass das ungeläuterte Vital, das seinen kleinen Leiden und Freuden und dem kurzen, unwissenden Spiel des Lebens verhaftet ist, vor etwas zurückweicht, das es verändern will. Doch warum sollte ein Gott-Liebender, ein Gott-Suchender, ein Sadhak die Vergöttlichung des Bewusstseins fürchten? Warum sollte er etwas dagegen einwenden, in seiner Natur eins zu werden mit dem, den er sucht, warum sollte er vor der sadrsya mukti [der Befreiung durch die Ähnlichkeit mit dem Göttlichen] zurückschrecken? Diese Furcht hat meist zwei Ursachen: zuerst die Ahnung des Vitals, dass es aufhören muss, dunkel zu sein, roh, schmutzig, egoistisch, spirituell ungeläutert, voller erregender Begierden, kleiner Freuden und interessanter Leiden (und es schreckt sogar vor dem Ananda zurück, der all dies ersetzen wird); und dann das Mental, das vermutlich aufgrund der asketischen Überlieferung die dunkle, unwissende Vorstellung hat, die göttliche Natur sei etwas Kaltes, Bloßes, Leeres, Strenges und Fernes und entbehre der herrlichen Fülle des egoistischen, menschlich-vitalen Lebens. Als ob es kein göttliches Vital gäbe und als ob jenes göttliche Vital nicht selbst, sobald es die Mittel erhält, sich zu manifestieren, das Leben auf Erden auch unendlich reicher an Schönheit, an Liebe, Glanz und Wärme, an Feuer, Intensität und göttlicher Leidenschaft, reicher an Aufnahmefähigkeit für die Wonne machen würde als jene gegenwärtige unfähige und leidende, durch Geringes und Vergängliches erregbare und rasch ermüdete Vitalität