Briefe über den Yoga. Sri Aurobindo

Читать онлайн книгу.

Briefe über den Yoga - Sri Aurobindo


Скачать книгу
sich auf. Doch da diese Wirklichkeit und dieses Licht sowohl in uns als auch in einem hohen Bereich über der sterblichen Ebene sind, können wir bei unserer Suche danach viele Bilder und Tätigkeiten des Lebens verwenden; so wie man eine Blume, ein Gebet, eine Tat dem Göttlichen darbringt, kann man ebenfalls eine erschaffene Form, die die Schönheit ausdrückt, ein Lied, ein Gedicht, ein Bildnis, eine Melodie darbringen und hierdurch zu einer Berührung, einer Erwiderung und Erfahrung gelangen. Und wenn man in dieses göttliche Bewusstsein eingetreten ist oder wenn es innerlich wächst, dann ist dessen Ausdruck im Leben durch diese Dinge ebenfalls nicht vom Yoga ausgeschlossen; diese schöpferischen Tätigkeiten können ihren Platz behalten, doch nicht einen wichtigeren Platz als irgendwelche anderen, die man zu göttlichem Gebrauch und Dienst ausübt. Kunst, Musik, Dichtung in ihrer gewöhnlichen Auswirkung schaffen mentale und vitale, keine spirituellen Werte; sie können aber einem höheren Ziel zugewandt werden und dann, wie alles Übrige, unser Bewusstsein mit dem Göttlichen verbinden, sie werden verwandelt, werden spirituell und können als Teil der Yogadisziplin dienen. Alle Dinge nehmen einen neuen Wert an, nicht durch sich selbst, sondern durch das Bewusstsein, das sie gebraucht, denn es gibt nur eine notwendige, wesentliche und unerlässliche Sache, und das ist, sich der Göttlichen Wirklichkeit bewusst zu werden und darin zu leben und immer darin zu leben.

      *

      Das Problem besteht darin, dass du als Nichtwissenschaftler versuchst, deine Ideen dem schwierigsten, weil stofflichsten Gebiet der Wissenschaft aufzuerlegen, nämlich der Physik. Doch nur wenn du selbst ein Wissenschaftler wärst und deine Ideen oder auch deine eigenen Entdeckungen auf universal-wissenschaftlich anerkannte Tatsachen gründen könntest, würdest du – und selbst dann nur schwerlich – Beachtung finden oder wäre deine Meinung von Gewicht. Andernfalls gibst du dich der Anschuldigung preis, etwas auf einem Gebiet zu behaupten, auf dem du keine Autorität besitzt, genauso wie es der Wissenschaftler tut, sobald er seine Entdeckungen zur Grundlage für die Behauptung macht, es gäbe keinen Gott. Wenn der Wissenschaftler sagt, dass „wissenschaftlich betrachtet, Gott eine nicht länger notwendige Hypothese sei“, dann spricht er baren Unsinn, denn das Dasein Gottes ist und war nie als eine wissenschaftliche Hypothese, und kann es auch nicht sein, und auch kein wissenschaftliches Problem, denn es war immer ein spirituelles oder metaphysisches Problem. Du kannst wissenschaftlich überhaupt nicht darüber diskutieren, weder pro noch contra. Der Metaphysiker oder spirituell Suchende hat das Recht zu betonen, dass dies unsinnig sei; doch wenn du das gleiche mit dem Wissenschaftler im Bereich der Wissenschaft tust, läufst du Gefahr, dass man dir mit dem gleichen Einwand begegnet.

      Was die Einheit allen Wissens anbelangt, so ist dies etwas in posse und nicht in esse. Die mechanische Methode, Wissen zu erlangen, führt zu bestimmten Ergebnissen, die höhere Methode führt zu bestimmten anderen Ergebnissen. und diese können an vielen Punkten grundsätzlich verschieden sein. Wie soll man den Unterschied überbrücken, da jede in ihrem eigenen Bereich gültig zu sein scheint; dies ist ein noch zu lösendes Problem, doch kannst du es nicht auf die Weise lösen, die du vorschlägst, am wenigsten auf dem Gebiet der Physik. In der Psychologie kann man sagen, dass die mechanische oder physiologische Methode die Sache am falschen Ende anfasse und die am wenigsten brauchbare sei, denn Psychologie ist nicht in erster Linie eine Sache des Mechanismus und des Maßes, sondern öffnet sich vielmehr in ein weites Feld jenseits der physischen Instrumentierungen des Körperbewusstseins. In der Biologie kann man einen Schimmer von dem, was jenseits des Mechanismus liegt, erhaschen, da hier von Anfang an eine Bewusstseinsbewegung erkennbar ist, die mehr und mehr ihrem Selbstausdruck entgegenschreitet und sich in diesem selbst ordnet. Doch in der Physik bist du im eigentlichen Bereich des mechanischen Gesetzes, in dem allein der Vorgang als solcher zählt und das auslösende Bewusstsein sich mit größter Gründlichkeit zu verbergen weiß, so dass es „wissenschaftlich gesprochen“ gar nicht existiert. Man kann es hier allein mit Hilfe von Okkultismus und Yoga entdecken, doch die Methode der okkulten Wissenschaft und des Yoga ist durch die Mittel der Physik weder messbar noch anwendbar – und daher bleibt der Abgrund bestehen. Man wird eines Tages in der Lage sein, ihn zu überbrücken, doch der Physiker wird voraussichtlich nicht der Brückenbauer sein; daher ist es sinnlos, ihn darum zu bitten, das zu testen, was jenseits seines Bereiches liegt.

      *

      Der Wunsch [der Okkultisten und Spiritisten], die Naturwissenschaftler zu überzeugen, ist absurd und unlogisch. Die Naturwissenschaftler haben ihren eigenen Bereich mit eigenen Instrumenten und Richtlinien. Gleiche Tests an Phänomenen von verschiedener Art anzuwenden, ist ebenso töricht, wie spirituelle Wahrheit physikalisch zu testen. Man kann Gott nicht analysieren, ebensowenig wie man die Seele unter einem Mikroskop sehen kann. Und entmaterialisierte Geister oder gar psycho-physische Phänomene jenen Tests und Normen zu unterziehen, die allein für stoffliche Phänomene gültig sind, ist eine höchst unrichtige und unbefriedigende Methode. Zudem ist der Naturwissenschaftler meist entschlossen, das nicht anzuerkennen, was nicht in sein System und dessen Formeln sauber verpackt und dann etikettiert und beschriftet werden kann. Dr. J. Romain, der sowohl Wissenschaftler als auch ein großer Schriftsteller ist, macht Experimente, um zu beweisen, dass der Mensch mit verbundenen Augen sehen und lesen kann, und die Wissenschaftler weigern sich, die Ergebnisse auch nur zur Kenntnis zu nehmen oder davon zu berichten. Khusa Baksh beweist es offen, unbezweifelbar und besteht alle gültigen Tests, und die Wissenschaftler sind absolut nicht willens, die Tatsache zuzugeben oder sie zu erwähnen, obgleich seine Ergebnisse unleugbar sind. Er läuft unverletzt über Feuer und entkräftet alle bisherigen Deutungen, doch sie suchen nach einer anderen und einfältigeren Erklärung. Welchen Nutzen hat der Versuch, Menschen zu überzeugen, die entschlossen sind, nicht zu glauben?

      *

      Der wissenschaftliche Geist weigert sich, irgend etwas unklassifiziert zu lassen. Hat er nicht auch das Göttliche klassifiziert?

      *

      Das Mental dieser Leute [der Wissenschaftler] ist zu sehr daran gewöhnt, sich mit physischen Dingen, die mit Instrumenten und Zahlen messbar sind, auseinanderzusetzen, als dass es für einen anderen Bereich noch von Wert ist. Einsteins Ansichten außerhalb seines Fachgebietes sind unreif und kindisch, eine Art von unsubstantiellem, allgemeingültigem Idealismus ohne Beziehung zur Wirklichkeit. Ein Mensch kann ein großer Gelehrter und dennoch simpel und töricht sein; genauso kann ein Mensch ein großer Wissenschaftler sein, während sein Mental und seine Vorstellungen in anderen Dingen unbedeutend sind.

      *

      Psychologen natürlich, die sich mit mentalen Regungen auseinanderzusetzen haben, erkennen leichter, dass es keine wirkliche Gleichsetzung zwischen diesen und den physiologischen Vorgängen geben kann und höchstens Mental und Körper aufeinander einwirken, was unvermeidlich ist, da sie beieinander wohnen. Doch selbst ein großer Naturwissenschaftler wie Huxley erkennt, dass das Mental etwas von der Materie Grundverschiedenes ist und nicht mit den Begriffen der Materie erklärt werden kann. Dennoch ist die Naturwissenschaft seither sehr arrogant und eingebildet geworden und versucht zu erreichen, dass sich ihr und ihren Methoden alles unterordnet. Nun hat sie in der Theorie begonnen, ihre Begrenzungen auf eine allgemeine Weise zu erkennen, doch ist die alte Denkweise den meisten Wissenschaftlern noch zu sehr eingefleischt, als dass sie diese sofort ablegen könnten.

      *

      Der Artikel liest sich, als wäre er eher von einem Gelehrten als einem Philosophen geschrieben worden. Du meinst vermutlich das Überleben jener wissenschaftlichen Verachtung der Metaphysik im 19. Jahrhundert; und zwar, dass alles Denken sich auf wissenschaftlichen Tatsachen zu gründen habe und dass die – oft so fehlerhaften und oberflächlichen – Verallgemeinerungen der Wissenschaft die Grundlage für jedes vernünftige metaphysische Denken bilden müssen. Das würde bedeuten, die Philosophie zum Dienstmädchen der Wissenschaft zu machen und die Metaphysik zum Schlachtenbummler der Physik und ihr die ihr angestammten Rechte in ihrem ureigenen Bereich zu verweigern. Man übersieht die Tatsache, dass der Philosoph sein eigenes Gebiet und seine eigenen Instrumente besitzt; er kann wissenschaftliche Entdeckungen als Stoff benützen, genau wie irgendwelche anderen Tatsachen des Daseins, doch die allgemeinen Schlussfolgerungen der Wissenschaft muss er nach seinen eigenen Maßstäben beurteilen – ob und inwieweit sie geeignet sind, auf die metaphysische Ebene übertragen zu werden. Eine derartige Einstellung war vielleicht in der Blütezeit der Naturwissenschaft gerechtfertigt, bevor sie ihre eigenen


Скачать книгу