Briefe über den Yoga. Sri Aurobindo

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Briefe über den Yoga - Sri Aurobindo


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muss richtiggestellt und durch die tiefere Wahrheit ersetzt werden. Ich beabsichtigte, dies später zu tun, hatte dann aber keine Zeit, die verbleibenden Artikel zu beenden.

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      Die „tragikomische“ Ungereimtheit, von der du sprichst, rührt von der Tatsache her, dass der Mensch nicht aus einem, sondern aus vielen Teilen besteht und dass jeder Teil seine eigene Persönlichkeit besitzt. Dies haben die Menschen noch nicht hinreichend erkannt – die Psychologen beginnen es oberflächlich zur Kenntnis zu nehmen, doch erst dann, wenn ein besonders ausgeprägter Fall einer doppelten oder vielfachen Persönlichkeit vorliegt. Doch tatsächlich sind alle Menschen so. Das Ziel im Yoga sollte sein, ein starkes zentrales Wesen zu entwickeln und unter ihm alles Übrige zu harmonisieren und zu verändern, was verändert werden muss. Ist dieses zentrale Wesen die Seele, dann gibt es keine große Schwierigkeit mehr. Ist es das mentale Wesen, manomayah purusah prana-sarira-neta, dann wird es schwieriger – es sei denn, das mentale Wesen würde lernen, mit dem größeren Willen und der größeren Macht des Göttlichen stets in Kontakt zu bleiben.

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      Ich verstehe die Frage, so wie sie gestellt wurde, nicht. Jeder Teil muss deutlich vom anderen unterschieden werden und seine Arbeit tun, und jeder muss von der Seele oder von oben die Wahrheit empfangen. Die herabkommende Wahrheit wird mehr und mehr ihr Wirken harmonisieren, doch wird die vollkommene Harmonie erst mit der supramentalen Vollendung erreicht werden.

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      Deine Erfahrung ist der erste Zustand yogischen Bewusstseins und Selbsterkennens. Das durchschnittliche Mental erfährt sich lediglich als Ego mit all den durcheinandergewürfelten Regungen der menschlichen Natur und glaubt, da es sich mit diesen Regungen identifiziert, „ich tue dies und empfinde das, ich denke, ich freue oder sorge mich usw.“ Der erste Anfang einer wahren Selbsterkenntnis ist, wenn du dich von der Natur in dir und ihren Bewegungen getrennt fühlst; dann erkennst du, dass es viele Teile deines Wesens gibt, viele Persönlichkeiten, von denen jede selbständig und auf ihre Weise handelt. Die beiden verschiedenen Wesen, die du in dir fühlst, sind einmal das seelische Wesen, das dich zur Mutter zieht, und dann das äußere Wesen, meist von vitaler Natur, das dich nach außen und nach unten zum Spiel der niederen Natur zieht. Weiterhin gibt es hinter dem Mental in dir das beobachtende Wesen, den Purusha als Zeugen, der, abgelöst vom Spiel der Natur, dieses betrachtet und zu wählen vermag. Er muss sich immer auf die Seite des seelischen Wesens stellen, dessen Regungen zustimmen, sie stützen und die nach unten und außen gerichteten Bewegungen der niederen Natur zurückweisen; diese muss der Seele unterworfen und durch ihren Einfluss verändert werden.

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      Der Zustand, den du beschreibst, bedeutet nicht, dass der Yoga nicht ausgeübt werden sollte, sondern dass du stetig weitergehen musst und den Zwiespalt zwischen den beiden Teilen deines Wesens auszugleichen hast. Diese Spaltung ist durchaus normal und beinahe universal in der menschlichen Natur; dem niedrigeren statt dem höheren Impuls zu folgen, passiert beinahe jedem Menschen. Das ist auch das Problem, das in der Frage, die Arjuna an Krishna richtet, auftaucht: „Warum tut man Böses, obwohl man es doch nicht tun will, so als würde man mit Gewalt dazu gezwungen?“. Dies drückt ebenso Horaz aus, wenn er sagt: „Video meliora proboque, Deteriora sequor“ („Ich sehe das Bessere und stimme ihm zu und dennoch folge ich dem Schlechteren“). Durch fortwährende Bemühung und fortwährendes Streben kann man zu jenem Wendepunkt gelangen, an dem die Seele die Oberhand gewinnt: und was eine ganz geringfügige seelische Wende zu sein scheint, ändert das ganze Gleichgewicht der Natur.

      Du betrachtest das äußere Wach-Bewusstsein als die wahre Person oder das wahre Wesen und folgerst daraus, dass dieses und nichts anderes die Verwirklichung erlangen oder sich daran halten müsse – denn hier [auf Erden] gäbe es nur das Wach-Bewusstsein. Das ist ein Irrtum, durch den die Unwissenheit andauert und von dem man sich nicht befreien kann. Der erste eigentliche Schritt aus der Unwissenheit besteht darin, die Tatsache zu akzeptieren, dass dieses äußere Bewusstsein nicht die eigene Seele ist, nicht das Selbst, nicht die wirkliche Person, sondern nur eine vorübergehende Gestaltung an der Oberfläche, die den Zwecken des Oberflächenspiels dient. Die Person ist innen, nicht an der Oberfläche – die äußere Persönlichkeit ist Person lediglich im Sinne des lateinischen Wortes persono mit der ursprünglichen Bedeutung: „die Maske“.

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      Die Seele hat den Rang, von dem du sprichst, da die Seele mit dem Göttlichen in der niederen Natur in Berührung steht. Das innere Mental, das innere Vital und Physische hingegen sind Teile des Universums und den Dualitäten offen – nur sind sie umfassender als das äußere Mental, das äußere Leben, der äußere Körper und können umfassender und leichter den göttlichen Einfluss empfangen.

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      Das Wort Antaratma wird auf sehr unbestimmte Weise gebraucht, so etwa wie das Wort Seele im Englischen – auf diese Weise gebraucht, bezieht es das ganze innere Wesen mit ein, das innere Mental, das innere Vital und Physische, sogar das innerste Wesen, die Seele.

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      Europäisches Denken war größtenteils unfähig, über die Formel „Seele und Körper“ hinauszugehen, und bezog hierbei meist das Mental in die Seele mit ein sowie alles, außer dem Körper, in den Begriff Mental. Einige Okkultisten machten einen Unterschied zwischen Spirit, Seele und Körper. Gleichzeitig aber muss ein unbestimmtes Gefühl vorhanden gewesen sein, dass Seele und Mental nicht ganz das gleiche sind, denn es gibt die Redewendung „dieser Mensch hat keine Seele“ oder „er ist eine Seele“, was besagen soll, dass er etwas in sich hat, das über sein bloßes Mental und seinen Körper hinausgeht. Doch all dies ist sehr unbestimmt. Eine deutliche Unterscheidung wird weder zwischen Mental und Seele gemacht noch zwischen Mental und Vital, und häufig wird sogar das Vital für die Seele gehalten.

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      In den Upanishaden wird das seelische Wesen in der Größe eines Daumens beschrieben. Das ist natürlich ein symbolisches Bild. Denn gewöhnlich ist das seelische Wesen, wenn man es in einer Gestalt sieht, größer. Was das innere Wesen anbelangt, so empfindet man es als groß, da das wahre Mental, das wahre Vital oder selbst das wahre Physische bewusstseinsmäßig viel weiter sind als das äußere Bewusstsein, das vom Körper begrenzt wird. Wenn man in das Physische herabkommt und alle Tätigkeiten der Natur in ihm spielen fühlt, scheinen die äußeren Teile das gesamte Bewusstsein zu beherrschen – selbst die mentalen und vitalen Regungen werden dann durch den Körper und als Dinge einer gesonderten Ebene gefühlt. Doch wenn man im inneren Wesen lebt, nimmt man ein Bewusstsein wahr, das sich ins Universale auszudehnen beginnt, während das äußere zu einer von äußeren Kräften aufgewühlten Oberflächenbewegung wird.

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      Ja, das seelische Wesen hat eine Form. Doch diese erscheint nicht auf der Photographie; denn die Seele hat nicht immer eine Form, die der des Körpers ähnelt, sie ist manchmal sogar ganz verschieden von ihm. Betrachten wir eine Photographie, dann sehen wir nicht die Form, sondern etwas vom Bewusstsein, das sich entweder im Körper ausdrückt oder sonst irgendwie durchbricht; man kann es über die Photographie wahrnehmen oder fühlen.

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      Die


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