Die Evolution der Seele und Natur. Die (d.i. Mira Alfassa) Mutter
Читать онлайн книгу.aus Fleisch einzieht; es gibt eine Metempsychosis, eine „Wiedereinseelung“, die Wiedergeburt einer neuen seelischen Persönlichkeit ebenso wie die Geburt eines neuen Körpers. Und dahinter steht die Person, die unveränderliche Wesenheit, der Meister, der dieses komplexe Material handhabt, der Erfinder dieses wundersamen, kunstvollen Gebildes.
Dies ist der Ausgangspunkt, von dem aus wir vorzugehen haben, wenn wir das Problem der Wiedergeburt betrachten. Uns selbst als die und die Persönlichkeit zu sehen, indem wir in ein neues Gehäuse aus Fleisch eintreten, heißt in der Unwissenheit umhertappen, den Irrtum des materiellen Mentals und der Sinne bestätigen. Der Körper ist eine nützliche Einrichtung, die Persönlichkeit eine ständige Gestaltung, deren Entwicklungsinstrumente Handlung und Erfahrung sind; doch das Selbst, durch dessen Willen und für dessen tiefe Freude dies alles geschieht, ist etwas anderes als der Körper, etwas anderes als Handlung und Erfahrung, etwas anderes als die Persönlichkeit, die durch sie entwickelt wird. Dies nicht zu beachten heißt, das ganze Geheimnis unseres Wesens zu ignorieren.
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Kapitel 3
Wiedergeburt, Evolution, Vererbung
Worte Sri Aurobindos
Zwei Wahrheiten, Entdeckungen mit einem gewaltigen Umkreis lichtvoller Auswirkung und erheblicher lebenswichtiger Bedeutung stehen heute im Vordergrund des Denkens: Evolution und Vererbung, und wir müssen sie wohl als ein stabiles, unauslöschliches Licht auf unser Wesen annehmen, als Lampen von beständigem Glanz, obwohl noch nicht so ganz vollkommen getrimmt, und als endgültig, sofern überhaupt etwas endgültig sein kann in dem sich ständig verändernden, filmähnlichen Entwicklungsprozess des intellektuellen Wissens des Menschen. Man kann sagen, sie machen fast die ganze Grundidee des Lebens aus; so sieht es ein Mental, das von der exakten, neugierigen, mannigfach untersuchenden, doch letztlich eigentümlich begrenzten Beobachtung und von dem seltsam engen Verstand unserer modernen Naturwissenschaften beherrscht, gebildet und in deren machtvolle Formen gepresst wird. Die Wissenschaft ist auf ihre Weise eine große Seherin und Zauberin; sie hat sowohl den mikroskopischen wie den makroskopischen, den aus der Nähe schauenden wie den teleskopischen Blick, eine analytisch untersuchende Auflösungskraft und eine sich in der synthetischen Durchführung offenbarende kreative Kraft. Sie hat viele geheime Zwischenprozesse der großen Schöpferin Natur aufgespürt, und mit der uns verliehenen Erfindungsgabe war sie sogar in der Lage, sie noch zu übertreffen. Der Mensch, dieser Winzling in der Unendlichkeit, sich frei bewegend, doch durch die Schwerkraft an einer kleinen Erdscholle festgenagelt, hat durch die Naturwissenschaften sicher erheblich Punkte gegen die Mutter des Universums gesammelt. Doch dies alles wurde in einiger Vollendung nur in den Grenzen ihres niedrigsten physischen Bereiches geleistet, der sich aufdrängte.
Gegenüber seelischen und spirituellen Geheimnissen, ja sogar in der offenliegenden Elementarwelt des Mentals haben die Naturwissenschaften noch den undifferenzierten Blick und die tastenden Hände des Kleinkindes. So exakt, erhellend und zwingend sie im Physischen sind, so sehen sie doch in jenem Bereich nur die große durcheinanderschwirrende Verwirrung: So sieht, sagt uns James, mit einer möglicherweise ungenauen Lebendigkeit infolge der Alliteration, das Neugeborene die wahrnehmbare Welt, in die es über die geheimnisvolle Treppe der Geburt herabfiel. Die Wissenschaft, konfrontiert mit dem, was für sie immer noch wunderbare Zufallsakkorde und unerklärliche Wunder des Bewusstseins sind, schützt sich vor den Irrtümern der Einbildungskraft hinter der undurchlässigen Abschirmung eines vorsichtigen Skeptizismus, schlittert aber gerade dadurch gelegentlich in eine Fülle von Irrtümern einer unzulänglichen Schlussfolgerung hinein. Sie klammert sich mit der zupackenden Entschlossenheit des Ertrinkenden an die Planken der Sicherheit, die sie in einigen durchgetesteten sogenannten Analogien – die Verwendung dieses Wortes besagt nichts – zwischen mentaler Tätigkeit und den sie begleitenden beeinflussenden oder instrumentalen physikalischen Funktionsweisen glaubt erhalten zu haben. Sie ist fest entschlossen, möglichst jedes überphysische Phänomen mit einer physikalischen Tatsache zu erklären; psychologische Vorgänge des Mentals darf es nur als Auswirkung oder Wiedergabe physiologischer Körpervorgänge geben. Diese anscheinend rationale und auf feststellbare und sicher fassbare Wahrheit achtende, in ihrer paradoxen Verwegenheit jedoch wahrhaft heroische Entschiedenheit setzt der Chance rascher Entdeckung für die Wissenschaft wenigstens gegenwärtig ziemlich enge Grenzen. Diese Entschiedenheit färbt auch die Ausdehnung physikalischer Wahrheit in das psychologische Feld mit einem nachhaltigen Gefühl von Unangemessenheit, welche bei der erweiterten Anwendung in den Theorien zur Vererbung und Evolution ganz klar zutage tritt, wenn diese gezwungen werden, den sicheren Boden ihrer naturwissenschaftlichen Wahrheit zu verlassen, und die Wissenschaft sich abmüht, mit ihrer Hilfe die subtilen, komplexen und schwer fassbaren Erscheinungen unseres psychologischen Wesens aufzuklären.
Es gibt allerdings wohl hier und da noch heimliche oder offene Gegner der naturwissenschaftlichen Evolutionstheorie, die glauben, sie werde eines Tages in die Rumpelkammer toter Allgemeinwahrheiten kommen wie das Ptolemäische Weltsystem in der Astronomie oder die Säftelehre in der Medizin; doch ist dies ein seltener und übertriebener Skeptizismus. Es mag jedoch für unser Vorhaben nicht ohne Nutzen oder Tauglichkeit sein, dass entgegen weit verbreiteter Ansicht die wissenschaftliche Beschreibung dieser Allgemeinwahrheit, wie auch ziemlich vieler anderer allgemeiner Behauptungen, noch nicht schlüssig unter Beweis gestellt wurde, wenngleich sie jetzt als erwiesen angesehen wird. Im Ganzen gibt es aber doch eine überwältigende Menge an Fakten und Hinweisen zu ihren Gunsten, so dass wir uns nicht gegen die Schlussfolgerung sträuben können, dass das Ganze auf diese oder jene Weise geschehen ist, und es fällt uns schwer, uns eine überzeugendere Erklärung der zweifelsfreien aufsteigenden und sich verzweigenden Stufenleiter von Art und Gattung vorzustellen, die auch unserer gelegentlichen Überprüfung der Lebensexistenz entspricht. Eines zumindest scheint jetzt intellektuell festzustehen: Wir können nicht mehr glauben, dass diese Sonnen- und Sternsysteme voll entwickelt und von Ewigkeit her geordnet in den grenzenlosen Raum geschleudert wurden, und dass alle diese zahllosen Arten als Fertigprodukt und sorgfältig nach Maß gearbeitet in sieben oder einer beliebigen Anzahl von Tagen auch immer in plötzlich ausbrechender Laune, dionysischer Erregung oder arbeitsreicher Tätigkeit nach mechanistischer Vorstellung durch das „Es werde“ eines zeitlosen Schöpfers auf der Erde angesiedelt wurden. Die allmähliche Entwicklung, die die alten Hindu-Denker kurz und bündig vorschlugen – zuerst die niederen Formen, dann der Mensch als Krönung der Lebensentwicklung des Geistes auf Erden –, wurde durch die geduldige und in das einzelne gehende Untersuchung der Wissenschaft bestätigt – eine Entwicklung in Äonen, obwohl die weitergehende Hindu-Konzeption einer ständigen Wiederholung des Prinzips in Zyklen sich notwendigerweise der naturwissenschaftlichen Beweisführung entzieht.
Und noch etwas scheint jetzt ebenso festzustehen, dass nicht nur die Saat allen Lebens eine einzige war – und wieder ist die große Intuition der Upanishaden Vorläufer für die Schlussfolgerungen der naturwissenschaftlichen Forschung: die eine Saat, die die universale Selbstexistenz durch einen Prozess von Kräften auf vielerlei Weise verteilte, ekam bijam bahudha sakti-yogat, –, sondern dass auch das Entwicklungsprinzip ein einziges ist und der Grundbauplan ebenfalls, da die Entwicklung Schritt für Schritt vor sich geht, trotz aller Abweichungen nach dieser oder jener Seite im Wirken der schöpferischen Kraft oder der schöpferischen Idee. Die Natur scheint mit einer außerordentlich geringen ursprünglichen Variationsbreite an Vorstellungen zu beginnen und zu außerordentlichem Reichtum ihrer kleineren Folgeveränderungen überzugehen, was bedeutet, dass sie ständig feine Differenzierungen der Arten erfindet und im Individuum überraschend auf dem Ergebnis der Einmaligkeit besteht. Es sieht fast so aus, als sollte im Prozess ihrer physischen Harmonien ein formaler Effekt oder eine symbolische Reproduktion der Wahrheit liegen, dass alle Dinge ursprünglich Eines waren, aber Eines, das auf seiner unendlichen Mannigfaltigkeit besteht, und auch ein Hinweis, dass es in dieser ewigen Einheit einen ewigen Pluralismus gebe, das Unendliche Wesen, sich selbst wiederholend in einer unendlichen Vielfalt von Wesen, jedes einmalig und doch jedes das Eine. Einem mentalen Geist, der nach metaphysischen Spuren Ausschau hält, die man an den sichtbaren Tatsachen des Seins ablesen kann, dürfte das nicht völlig als Einbildung erscheinen.
Auf jeden Fall haben wir diese jetzt offenkundige