Die Evolution der Seele und Natur. Die (d.i. Mira Alfassa) Mutter
Читать онлайн книгу.eine üppige Zahl von Verschiedenartigkeiten, deren logischer Prozess durch eine aufsteigende Ordnung vor sich ginge, die durch feine, aber doch noch sehr deutliche Abstufungen vom Rohen zum Komplizierten, vom geringer zum höher Organisierten, vom niederen zum höheren Typus übergeht. Die erste Frage, die dem mentalen Geist sofort einfallen dürfte, wenn er diesen Lebensbaum gesehen hat, ist die, ob diese logische Ordnung wirklich die eigentliche Ordnung in der Geschichte des Universums ist, und dann eine zweite, die sich aus diesem Problem ganz natürlich ergibt, ob, wenn dies der Fall ist, jede neue Form sich durch Veränderung aus ihrem natürlichen Vorgänger entwickelte oder ob sie durch einen unbekannten Prozess als frische, unabhängige und gewissermaßen plötzliche Schöpfung auftrat. Im ersten Fall haben wir die wissenschaftliche der physischen Evolution – im zweiten Fall weiß man nicht recht, woran man ist; vielleicht, dass ein unsichtbarer Demiurg das Ganze in der Frühzeit der Erdevolution entwickelte und mit der Angelegenheit jetzt ganz oder teilweise aufhörte, so dass wir keine neue physische Entwicklung dieser Art haben, sondern vielleicht nur eine Evolution der Leistungsfähigkeit schon erschaffener Typen. Die Wissenschaft tritt für eine ganz natürliche und mechanische, ganz ungebrochene Evolution ein, mit vielen auseinanderlaufenden Linien sich entwickelnder Variationen, doch an den Linien ohne Lücke oder Zwischenraum. Zwar gibt es nicht nur ein fehlendes Zwischenglied, sondern eine Unmenge, die auch durch die reichhaltigsten Überbleibsel aus der Vergangenheit nicht ersetzt werden können, und wir sind nicht in der Lage, mit absoluter Bestimmtheit zu leugnen, dass die Fortentwicklung sich möglicherweise sprunghaft, durch ein rasches Überspringen, vollzogen habe, vielleicht auch in einer gedrängten psychischen oder biopsychischen Vorbereitung, deren Ergebnis im Erscheinen eines neuen Typus hervortrat, der durch eine Kluft von den vorangegangenen Lebensformen getrennt war. Besonders im Hinblick auf den Menschen herrscht noch eine gewaltige Ungewissheit darüber, wie er, den anderen Kindern der Natur so ähnlich und doch so verschieden von ihnen, in das Leben trat. Doch können die Lücken wegerklärt werden; eine große Menge Fakten spricht für die physikalisch weniger anarchische Auffassung, die das Recht der größten Wahrscheinlichkeit auf ihrer Seite zu haben scheint, in einem materiellen Universum, wo das vollkommenste physikalische Verfahrensprinzip das gerechte Grundgesetz zu sein schiene.
Aber auch wenn wir die gewissenhafteste und strengste Kontinuität allmählicher Determinierung gelten lassen, erhebt sich die Frage, ob der Evolutionsprozess wirklich so ausschließlich physikalisch und biologisch war, wie es auf den ersten Blick aussieht. Wenn ja, müssen wir nicht nur ein strenges Prinzip der Vererbung nach Klassen, sondern auch ein Gesetz fortschreitender erblicher Variation und eine rein physikalische Ursache aller mentalen und spirituellen Erscheinungen anerkennen. Vererbung an sich bedeutet einfach die ständige Übertragung physischer Form und biologischer Merkmale aus einem vorhergehenden Leben auf die Nachkommenschaft. Ganz offensichtlich gibt es eine solche allgemeine Kraft der erblichen Übertragung innerhalb der Art oder Gattung selbst – wie der Baum, so der Same, wie der Same, so der Baum –, so dass ein Löwe einen Löwen zeugt und nicht eine Katze oder ein Nashorn, ein Mensch ein menschliches Wesen und nicht einen Orang-Utan – wenngleich man jetzt von einer seltsamen und überraschenden, die alte Theorie auf den Kopf stellenden Spekulation liest, wonach gewisse Affenarten möglicherweise nicht Vorfahren, sondern degenerierte Abkömmlinge des Menschen sind! Und weiter, wenn eine physische Evolution alles ist, muss eine Fähigkeit für die erbliche Übertragung der Variationen vorhanden sein, durch die neue Arten geschaffen werden oder wurden – nicht nur in einem Mischungs- oder Kreuzungsvorgang, sondern durch eine innere Entwicklung, die im Samen gespeichert und vererbt wird. Auch dies kann man sehr wohl gelten lassen, auch wenn man den eigentlichen Vorgang und das Grundprinzip noch nicht versteht, da die Übertragung von Familien- und individuellen Merkmalen eine gründlich beobachtete Erscheinung ist. Dann handelt es sich bei dem Übertragenen aber nicht nur um physikalische und biologische, sondern um psychologische oder mindestens biopsychische Merkmale, um Wiederholungen herkömmlicher nervlicher Erfahrung und mentaler Tendenz, um Mächte. Wir müssen annehmen, dass der physische Same diese Dinge überträgt. Wir sind genötigt anzuerkennen, dass zum Beispiel der menschliche Same, der kein entwickeltes menschliches Bewusstsein enthält, dennoch die Kräfte eines solchen mit sich führt, so dass sie sich automatisch im Denken und im organisierten mentalen Geist der Nachkommenschaft reproduzieren. Dies ist, auch wenn wir es akzeptieren müssen, ein unerklärbares Paradox, es sei denn, wir nehmen entweder an, dass etwas mehr dahinter steckt, eine psychische Kraft hinter dem Schleier des materiellen Prozesses, oder aber, dass das Mental nur ein Lebensprozess und das Leben nur ein Prozess der Materie ist. Daher müssen wir schließlich annehmen, dass die naturwissenschaftliche Theorie in der Lage ist, das Geheimnis des Auftauchens des Lebens in der Materie und das gleiche Geheimnis des Erscheinens des Mentals im Leben durch rein materielle Ursachen und einen materiellen Aufbau zu erklären. Hier beginnen sich die Schwierigkeiten zu häufen, die die Theorie wenigstens insoweit ihrer hoffnungslosen Unzulänglichkeit überführen, und die Natur dieser Unzulänglichkeit, ihr Haken, ihr Hindernis, lässt gerade für etwas dahinter Platz, für etwas Seelisches, einen verborgenen Seelenprozess und eine komplexere und weniger materialistische Darstellung der Wahrheit der Evolution.
Die materialistische Annahme – mehr als eine hypothetische Annahme ist es nicht, denn sie wurde nie bewiesen – ist die, dass die Entwicklung unbelebter Materie unter bestimmten unbekannten Bedingungen eine Erscheinung unbewussten Lebens zur Folge hat, das seiner eigentlichen Natur nach nur Aktion und Reaktion materieller Energie ist, und dass bei der Entwicklung dieser Erscheinung wiederum unter bestimmten unbekannten Bedingungen ein Phänomen bewussten Mentals herauskommt, das seiner eigentlichen Natur nach wiederum nur Aktion und Reaktion materieller Energie ist. Die Sache ist nicht bewiesen, aber dies, so wird argumentiert, mache nichts aus; es bedeutet nur, dass wir noch nicht genug wissen; doch eines Tages werden wir das Wissen haben – die notwendige physiologische Reaktion, von uns Intuition oder Argumentationskette genannt, mit der krönenden Entdeckung, die vermutlich in einem ordentlich gebildeten Nervenkörper und in um so reicheren Gehirnwindungen eines Galileo der Biologie stattgefunden hat –, und dann wird diese große und einfache Wahrheit bewiesen werden, wie viele andere, einst vom oberflächlichen gesunden Menschenverstand verspotteten Dinge. Doch liegt die Schwierigkeit darin, dass sie nicht beweisfähig erscheint. Auch bezüglich des Lebens, das die bei weitem geringere Schwierigkeit bietet, beweist die Entdeckung bestimmter chemischer oder anderer physikalischer und mechanischer Bedingungen, unter denen das Leben zum Erscheinen angeregt werden kann, nicht mehr, als dass dies die für die Manifestation des Lebens in Körpern günstigen oder notwendigen Voraussetzungen sind – solche Voraussetzungen muss es in der Natur geben –, es wird jedoch nicht bewiesen, dass das Leben eine neue und höhere Macht der Kraft des All-Wesens ist. Der Zusammenhang von Lebensreaktionen und physikalischen Bedingungen und Anreizen beweist ganz klar, dass Leben und Materie in Verbindung stehen und dass – wie sie es ja tun müssen, um zusammenleben zu können – die beiden Energiearten aufeinander einwirken – ein sehr altes Wissen; doch es wird die Tatsache nicht los, dass die physikalische Reaktion von einem Element begleitet wird, das seinem Wesen nach eine nervöse Erregung und ein beginnendes oder unterdrücktes Bewusstsein zu sein scheint und nicht dasselbe ist wie die physikalische Begleitreaktion.
Wenn wir zum Mental kommen, sehen wir – wie könnte es in einem eingekörperten Mental anders sein? – eine Reaktion, eine Wechselwirkung, eine Beziehung und Entsprechung, wenn man so will; doch mag die Summe der Entsprechungen noch so groß sein, sie kann nicht zeigen, wie eine physikalische Reaktion in eine bewusste Tätigkeit, eine Wahrnehmung, Gemütsbewegung oder Denkvorstellung umgewandelt wird oder darauf hinausläuft oder sie durch sich selbst bildet, noch kann sie beweisen, dass die Liebe ein chemisches Produkt ist, oder dass Platos Ideenlehre, Homers Ilias oder das kosmische Bewusstsein des Yogis nur eine Kombination physiologischer Reaktionen oder ein Komplex von Veränderungen der grauen Gehirnmasse oder ein Flammenwunder elektrischer Entladungen waren. Nicht nur, dass der gesunde Menschenverstand und die Fantasie vor diesen Theorien zurückschrecken – dieser Einwand kann ausgeklammert werden –, nicht nur, dass Wahrnehmung, Vernunft und Intuition zugunsten einer erzwungenen und zu weit gehenden Schlussfolgerung beiseitegeschoben werden, sondern es klafft hier ein Unterschied zwischen dem, was erklärt werden soll, und dem, wodurch es zu erklären gesucht wird, der nicht ausgefüllt werden kann, so sehr wir auch Nervenverbindungen und psychophysische Brücken gelten lassen mögen. Und wenn der Naturwissenschaftler auf eine Anzahl bezeichnender Fakten hinweist