Ins Weiße zielen. Ricardo Piglia

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Ins Weiße zielen - Ricardo  Piglia


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Frau blieb er allein, obwohl alle vermuteten, dass er von Zeit zu Zeit mit Rosa zusammen war, Estévez’ Witwe, die das Dorfarchiv verwaltete. Er lebte allein auf einer großen Ranch am Ortsrand, hinter dem Bahnhof, wo sich die Polizeiwache befand.

      Croces Fälle waren überall in der Provinz berühmt, und auch sein Assistent, der Sekretär Saldías, ein studierter Kriminologe, war dem Zauber des Kommissars erlegen.

      »Letzten Endes weiß keiner so genau, was Tony in dieses Dorf geführt hat«, sagte Croce und betrachtete Saldías.

      Der Assistent zog ein schwarzes Büchlein hervor und ging seine Notizen durch.

      »Durán kam im Januar hierher, am 5. Januar«, erklärte Saldías. »Vor genau drei Monaten und vier Tagen.«

       2

      AN JENEM TAG sah man einen Fremden im hellen, friedlichen Sommerlicht aus dem Expresszug steigen, der nach Norden fuhr. Der Mann war groß, dunkelhäutig, trug Kleider wie ein Dandy und hatte zwei große Koffer bei sich, die er auf dem Bahnsteig abstellte – dazu eine braune Tasche aus feinem Leder, die er, als die Kofferträger herbeigeeilt kamen, unter keinen Umständen aus der Hand geben wollte. Er lächelte, von der Sonne geblendet, und grüßte mit einer feierlichen Verbeugung, als wäre das in dieser Gegend üblich. Die Bauern und Tagelöhner, die sich im Schatten der Kasuarinen unterhielten, antworteten ihm mit einem erstaunten Murmeln. Tony sah den Stationsvorsteher an und fragte ihn mit seiner sanften Stimme und seiner musikalischen Redeweise nach einer Unterkunft im Ort.

      »Werter Herr, verraten Sie mir, wo ich hier ein gutes Hotel finde?«

      »Da drüben ist das Plaza«, antwortete ihm der Vorsteher und deutete auf ein weißes Gebäude auf der anderen Straßenseite.

      Im Hotel schrieb er sich als Anthony Durán ein, zeigte den amerikanischen Pass und die Reiseschecks vor und bezahlte einen Monat im Voraus. Er gab an, auf Geschäftsreise zu sein, ein paar Investitionen tätigen zu wollen und Interesse an argentinischen Pferden zu haben. Alle rätselten, was für Geschäfte das sein mochten, und vermuteten, dass er sein Geld in die lokale Pferdezucht investieren wollte. Beiläufig erwähnte er einen Polospieler aus Miami, der kleinwüchsige Polopferde für die Heguy-Familie kaufen wolle, und erzählte von einem Rennpferdezüchter in Mississippi, der auf der Suche nach argentinischen Deckhengsten sei. Ein gewisser Moore, ein Springreiter, sei einmal hier gewesen, so sagte er, und habe sich von der Qualität der Pampa-Pferde überzeugt. Dies war die Begründung, die er bei seiner Ankunft gab, und ein paar Tage später machte er sich daran, verschiedene Gestüte in der Gegend zu besuchen und Stuten und Jungpferde auf den Koppeln und Weiden zu begutachten. Kaum hatte er den Eindruck erweckt, sich für Pferde zu interessieren, horchten alle im Ort auf und zerbrachen sich den Kopf, welchen Nutzen sie daraus ziehen könnten, und die Gerüchte wanderten wie ein Heuschreckenschwarm von Haus zu Haus.

      »Es dauerte ein bisschen«, erzählte Madariaga, »bis wir von der Geschichte mit den Belladona-Schwestern erfuhren.«

      Durán war im Hotel abgestiegen, in einem Zimmer im dritten Stock, das auf den Platz hinausging. Er hatte darum gebeten, ihm ein Radio (keinen Fernseher, ein Radio) hinzustellen, und sich erkundigt, ob es hier irgendwo Rum und schwarze Bohnen gebe, doch schon bald gewöhnte er sich an das kreolische Essen im Restaurant und an den Llave-Gin, den man ihm nachmittags um fünf auf das Zimmer brachte.

      Er sprach ein archaisches Spanisch, voller überraschender Redewendungen und Ausdrücke (dufte, wo liegt die Krux, ich rackere mich ab) und merkwürdiger Sätze und Wörter auf Englisch oder in einem antiquierten Spanisch (obstinacy, winner, Plagegeist). Gelegentlich blieben seine Wörter oder Satzkonstruktionen ein Rätsel, doch er sprach ruhig und freundlich. Außerdem spendierte er jedem, der Lust verspürte, ihm zuzuhören, ein paar Gläschen. Es war der Moment seines größten Ansehens. Er ließ sich überall sehen, suchte die unterschiedlichsten Kreise auf, stellte sich vor und freundete sich mit den jungen Männern aus dem Dorf an, egal aus welcher Schicht sie stammten. Er hatte unzählige Geschichten und Anekdoten aus jener merkwürdigen Welt dort draußen zu erzählen, einer Welt, die die Bewohner dieses Landstrichs nur aus dem Kino oder dem Fernsehen kannten. Er kam aus New York, einer Stadt, wo die ganzen lächerlichen Hierarchien, wie es sie in einem Dorf in der Provinz Buenos Aires gab, nicht existierten oder zumindest weniger sichtbar waren. Er wirkte immer gut gelaunt, und jeder, der sich mit ihm unterhielt oder ihm über den Weg lief, fühlte sich geschmeichelt von seiner Art, ihm zuzuhören und immer Recht zu geben. Auf diese Weise hatte er bereits nach einer Woche ein freundschaftliches Verhältnis zu vielen der Dorfbewohner aufgebaut, und selbst die Leute, die ihn noch nie gesehen hatten, hatten das Gefühl, ihn zu kennen.3

      Weil er es verstand, die Männer für sich einzunehmen, waren auch die Frauen auf seiner Seite und redeten auf der Damentoilette der Konditorei, in den Salons des Club Social und während ihrer endlos langen Telefongespräche an den Sommerabenden über ihn, und sie waren es auch, die als Erste erzählten, dass er in Wahrheit wegen der Belladona-Schwestern gekommen sei.

      Bis man ihn schließlich eines Abends mit einer der beiden Schwestern – mit Ada, wie es heißt –, in ausgelassener Stimmung und angeregt mit ihr plaudernd, die Bar des Plaza betreten sah. Sie nahmen an einem Tisch in der hintersten Ecke Platz und verbrachten den Abend, indem sie sich leise unterhielten und lachten. Es war wie eine Explosion, ein fröhliches, boshaftes Protzen. Noch in derselben Nacht begannen die Leute, hinter vorgehaltener Hand zu tuscheln und ihre eigenen, obszönen Versionen zu verbreiten.

      Es hieß, jemand habe gesehen, wie sie zu früher Stunde die Herberge an der Straße nach Rauch betreten hätten, und sogar, dass die Schwestern ihn in einem Häuschen empfingen, das sie außerhalb des Ortes besaßen, in der Nähe der stillgelegten Fabrik, die zehn Kilometer vor dem Dorf wie ein einsames Monument in den Himmel ragte.

      Doch das waren bloß Gerüchte, provinzielles Gerede, Vermutungen, die lediglich dazu führten, Tonys Ansehen (und das der Mädchen) noch zu steigern.

      Wie immer waren die Belladona-Schwestern den anderen weit voraus, waren die Vorreiterinnen bei allem Interessanten, was im Dorf geschah: Sie waren die Ersten, die Miniröcke trugen, die Ersten, die auf Büstenhalter verzichteten, die Ersten, die Marihuana rauchten und die Pille nahmen. Es schien, als hätten die Schwestern beschlossen, dass Durán der richtige Mann sei, um ihre Lehrjahre abzuschließen. Eine Initiationsgeschichte also, wie in den Romanen, in denen junge Emporkömmlinge frigide Herzoginnen erobern. Sie waren zwar weder frigide noch Herzoginnen, er aber war sehr wohl ein junger Emporkömmling, ein karibischer Julien Sorel, wie Nelson Bravo, der für die Gesellschaftsseiten der Lokalzeitung zuständige Redakteur, so scharfsinnig bemerkte.

      Jedenfalls hörten die Männer zu jener Zeit auf, ihn mit verstohlener Sympathie zu beäugen, und gingen dazu über, ihm mit fast blinder Verehrung und wohlmeinendem Neid zu begegnen.

      »Er kam ganz entspannt mit einer der Schwestern hierher, um ein Gläschen zu trinken, denn zu Beginn ließ man ihn offensichtlich noch nicht in den Club Social. Die hohen Tiere sind die Schlimmsten, die wollen alles geheim halten. Dagegen sind die einfachen Leute viel liberaler«, sagte Madariaga, wobei er das Wort »liberal« in seiner ursprünglichen Bedeutung verwendete. »Wenn sie etwas tun, dann tun sie es vor aller Augen. Oder hat Don Cosme etwa nicht länger als ein Jahr mit seiner Schwester zusammengelebt? Oder haben die Jáuregui-Brüder vielleicht nicht mit einer Frau zusammengewohnt, die sie aus einem Puff in Lobos angeschleppt hatten? Oder der alte Andrade, hat der etwa nicht mit dieser Fünfzehnjährigen angebändelt, die unter der Obhut der Karmeliterinnen stand?«

      »Auf jeden Fall«, bemerkte ein Bauer.

      »Klar, wenn Durán ein blonder Yankee gewesen wäre, wäre die Sache anders gelaufen«, fuhr Madariaga fort.

      »Auf jeden Fall«, wiederholte der Bauer.

      »Auf jeden Fall ist wohl dein Lieblingsausdruck«, hörte man Bravo sagen, der weiter hinten saß, in der Nähe des Fensters, und gerade einen Teelöffel voll Natron in einem Glas Wasser auflöste, weil das ständige Sodbrennen auf sein Gemüt schlug.

      Durán gefiel das Leben im Hotel, und er machte es sich zur Gewohnheit, nachts zu leben.


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