Ins Weiße zielen. Ricardo Piglia
Читать онлайн книгу.Und wer hätte sie verraten sollen, wenn alle an dem Geschäft beteiligt waren: die Bauern, die Großgrundbesitzer, die Viehauktionatoren, die Händler und die, die über die Preise in den Getreidesilos bestimmten?
Wieder betrachtete Madariaga den Kommissar im Spiegel, der nervös im Raum auf und ab lief, die Reitgerte in der Hand, bis er sich schließlich an einem der Tische niederließ. Saldías, sein Assistent, bestellte eine Karaffe Wein und eine Kleinigkeit zu essen, während Croce weiter Selbstgespräche führte, so wie er es immer tat, wenn er versuchte, ein Verbrechen aufzuklären.
»Er hatte eine Menge Geld bei sich«, sagte Croce, »deshalb wurde er ermordet. Sie haben dafür gesorgt, dass ihn die Pferderennen und besonders dieses Pferd aus Luján in den Bann zog.«
»Das mussten sie gar nicht, er war schon von Pferderennen begeistert, als er hier ankam«, bemerkte Madariaga lächelnd.
Manche behaupten, man habe ein Pferderennen nur für ihn organisiert, von dem er völlig besessen gewesen sei. Es stimmt wohl eher, dass man dieses Rennen, das bereits seit Monaten geplant war, vorverlegt hatte, damit Tony es besuchen konnte, und einige wollten darin eine Fügung des Schicksals erkennen.
Tony fand schnell heraus, dass es mehrere Sorten ausgezeichneter Reitpferde in der Provinz gab. Im Grunde genommen waren es drei: die kleinen, außergewöhnlichen Polopferde, die vor allem in der Gegend von Venado Tuerto gezüchtet wurden, die kreolischen Vollblüter aus den Stallungen an der Küste und die Pajarero-Rennpferde, die rasch beschleunigen, ungewöhnlich schnell, kurzatmig und ziemlich nervös sind und meist zu zweit gegeneinander antreten. Nirgendwo sonst auf der Welt findet man derartige Pferde oder Rennen.
Mit der Zeit lernte Durán die Geschichte der lokalen Pferderennen kennen.7 Er begriff schnell, dass in dieser Gegend mehr Geld gesetzt wurde als beim Kentucky-Derby. Die Großgrundbesitzer setzten auf Teufel komm raus, und die Landarbeiter verwetteten ihren gesamten Lohn. Die Rennen werden lange im Voraus organisiert, und die Leute sparen ihr gesamtes Geld für diesen Anlass. Es gibt Pferde, die ein hohes Ansehen genießen, jeder weiß, dass sie soundso viele Rennen an den und den Orten gewonnen haben, und dann setzt man auf sie.
Das Dorfpferd war ein Grauschimmel von Payo Ledesma, ein sehr gutes Pferd, das jedoch keine Rennen mehr lief, wie ein ungeschlagener Boxer, der die Handschuhe an den Nagel gehängt hatte. Seit einiger Zeit schon versuchte ein Großgrundbesitzer aus Luján, der einen unbesiegten Rotbraunen besaß, es herauszufordern. Zuerst schien Ledesma nicht darauf eingehen zu wollen, doch am Ende fand er Gefallen an der Sache, er schlug ein, wie es so schön heißt, und nahm die Herausforderung an. Und irgendwie wurde Tony in die Sache verstrickt. Das andere Pferd, das aus Luján, hieß Tácito und hatte eine recht seltsame Vergangenheit. Es war ein Englisches Vollblut, das sich irgendwann verletzt hatte und seitdem nicht mehr als dreihundert Meter laufen konnte. Seine Karriere hatte auf dem Hippodrom von La Plata begonnen, und später hatte es das Derby der Jungpferde gewonnen. Doch eines Tages, an einem regnerischen Samstag, erlitt es während des fünften Rennens von San Isidro einen Unfall. Es stürzte und brach sich den linken Vorderfuß, der nie wieder richtig verheilte. Das Pferd war ein Nachkomme eines Nachkommens von Embrujo, weshalb es als Zuchthengst zum Verkauf angeboten wurde, doch der Jockey des Pferdes – und der Pfleger – nahmen sich seiner an und pflegten es so lange, bis es wieder laufen konnte, trotz der Verletzung und allem. Offensichtlich konnten sie den Großgrundbesitzer aus Luján davon überzeugen, das Pferd zu kaufen, und seitdem hat es noch kein einziges Zweier-Rennen verloren. Das war die Geschichte, die man sich erzählte, und das Pferd war in der Tat beeindruckend, ein Fuchs mit weißen Füßen, widerspenstig und verschlagen. Es hörte auf niemanden außer seinen Jockey, der mit ihm sprach wie mit einem Menschen.
Das Pferd wurde mit einem offenen Lieferwagen gebracht, und als man es auf der Koppel laufen ließ, bestaunten es die Bauern mit gebührendem Abstand. Ein Tier mit einem enormen Stockmaß, einer Decke über dem Rücken und einem bandagierten Fuß, störrisch und voller Energie, das die vor Schreck oder Wut weit aufgerissenen Augen unruhig hin und her bewegte wie ein richtiges Vollblut.
»Ja«, sagte Madariaga. »Ledesmas Grauschimmel gegen den Unbesiegten aus Luján. Irgendetwas ist dort passiert.«
3
ES WAR EIN KÜHLER SONNTAGNACHMITTAG. Aus der ganzen Gemeinde strömten die Bauern von ihren Höfen und Haziendas herbei und suchten sich einen Platz seitlich der Pferderennbahn, gleich hinter den Drahtzäunen, die die Strecke von den Häusern trennten. Man hatte ein paar Bretter auf zwei Böcke gelegt und verkaufte Empanadas, dazu wurde Gin und ein einfacher Landwein ausgeschenkt, der schon beim bloßen Anschauen zu Kopfe stieg. Das Feuer für das Asado war bereits entfacht worden, und man sah die vielen, an Grillkreuzen befestigten Rippenstücke und die Würste und anderen Vorspeisen, die man auf einer Plane auf dem Rasen ausgebreitet hatte. Es herrschte eine festliche Stimmung, und ein nervöses, freudig-angespanntes Stimmengewirr lag in der Luft, so wie immer, wenn ein lang herbeigesehntes Rennen bevorsteht. Nirgends waren Frauen zu sehen, nur Männer aller Altersstufen, junge und alte, Männer im reiferen Alter und Jugendliche, alle in ihren Sonntagskleidern. Die Landarbeiter trugen bestickte Hemden und Westen, die Großgrundbesitzer Wildlederjacken und Halstücher und die Dorfjugendlichen Jeans und um die Hüften geknotete Pullover. Unruhig wogte die Menge auf und ab, dann fingen die Männer an, auf die Pferde zu setzen, die Geldscheine in der Hand, zwischen den Fingern gefaltet oder hinter das Hutband gesteckt.
Auch viele Auswärtige waren gekommen, um sich das Rennen anzuschauen. Sie drängten sich am Ende der Strecke, in der Nähe des Zielstrichs, nicht weit entfernt vom Flussbett. An ihrer zurückhaltenden Art, dieser Unsicherheit von Leuten, die sich auf unbekanntem Terrain bewegen, erkannte man sofort, dass sie nicht von hier stammten. Aus den Lautsprechern eines lokalen Werbebüros – Die Stimme aller: Anzeigen, Sonderangebote und Feste – plärrten Musik und irgendwelche Mitteilungen. Schließlich wurde um einen kräftigen Applaus für Kommissar Croce gebeten, der bei dem Rennen der Zielrichter sein würde.
Begleitet von Saldías, seinem Schatten, erschien der Kommissar in Anzug und Krawatte, auf dem Kopf ein Hut mit schmaler Krempe.
»Es lebe das Pferd des Kommissars!«, brüllte ein Betrunkener.
»Reiß dich zusammen, Cholo, oder ich buchte dich wegen Beamtenbeleidigung ein«, entgegnete ihm der Kommissar, und der Betrunkene schmiss seinen Hut in die Luft und rief: »Es lebe die Polizei!«
Alle fingen an zu lachen, die Stimmung entspannte sich. Penibel, mit großen Schritten, maßen Croce und sein Assistent die Länge der Rennstrecke ab, dann wiesen sie zwei Burschen an, sich mit roten Tüchern an den Seiten zu postieren, um ein Zeichen zu geben, wenn alles fertig wäre.
Als die Musik für einen Moment aussetzte, hörte man plötzlich ein Auto mit hohem Tempo aus dem Wald kommen. Es war Durán, der das Coupé des alten Belladona steuerte, das Dach zurückgeklappt, neben sich auf dem schmalen Beifahrersitz die beiden Schwestern, hübsch und rothaarig, mit müden Gesichtern, als hätten sie in letzter Zeit zu wenig geschlafen. Während Durán den Wagen parkte und den beiden jungen Frauen beim Aussteigen behilflich war, blieb der Kommissar stehen, drehte sich um, damit er sie sehen konnte, und sagte mit leiser Stimme etwas zu Saldías, der resigniert den Kopf schüttelte. Es war eigenartig, die beiden Schwestern gemeinsam zu sehen, was nur in ganz außergewöhnlichen Situationen vorkam, und es war etwas Besonderes, sie an diesem Ort zu sehen, denn sie waren die einzigen Frauen (außer den Damen, die die Empanadas verkauften).
Durán und die Zwillinge suchten sich einen Platz in der Nähe des Starts, grüßten Bekannte und machten Späße über die Fremden, die sich am anderen Ende der Rennstrecke versammelt hatten. Die Mädchen hatten sich auf ihre Klappstühle mit Leinenbezügen gesetzt, und er stand hinter ihnen. Tony trug ein grau kariertes Sporthemd, eine elegant gestreifte Hose und zweifarbige Wildlederschuhe. Sein dichtes, schwarzes Haar glänzte von der Pomade oder einem dieser Öle, die dem Haar Halt und Form verleihen. Die Schwestern – beide waren in ausgesprochen heiterer Stimmung – trugen identische Sommerkleider und weiße Bänder im Haar. Natürlich hätten sie sich nicht mit einer solchen Selbstverständlichkeit zwischen all den Männern bewegen können, die um sie herumstrichen und ihnen mit einer Mischung aus Begierde und Respekt