Ins Weiße zielen. Ricardo Piglia
Читать онлайн книгу.Runde drehte, um die Türen zu kontrollieren, und dann ein kleines Nickerchen in einem der Ledersessel im Speisesaal hielt. »Sich unterhalten« ist zu viel gesagt, denn der Portier war ein Japaner, der zu allem lächelte und Ja sagte, als spräche er kein Spanisch. Er war winzig und blass, hatte sein Haar mit Pomade nach hinten gekämmt, trug immer Anzug und Krawatte und war äußerst zuvorkommend. Er war vom Land, wo seine Verwandten eine Baumschule besaßen, und hieß Yoshio Dazai4, aber alle im Hotel nannten ihn nur den Japs. Es scheint, als wäre Yoshio Duráns wichtigste Informationsquelle gewesen. Er war es, der ihm die Historie des Dorfes und die wahre Geschichte der verlassenen Fabrik der Belladonas erzählte. Viele fragten sich, wie es dazu gekommen war, dass der Japaner ein Nachtleben wie eine Katze führte und das Schlüsselbrett eines Hotels mit einem Taschenlämpchen beleuchtete, während seine Familie auf einem Landgut in der Umgebung Blumen züchtete. Er war freundlich und rücksichtsvoll, sehr förmlich und affektiert. Er redete nicht viel, schaute die Leute mit seinen sanften Schlitzaugen an, und alle glaubten, dass der Japaner sich das Gesicht pudere, dass er es liebe, einen Hauch von Rouge auf seine Wangen aufzutragen, und dass er stolz auf sein tiefschwarzes, glattes Haar sei, das er selbst »Rabenflügel« nannte. Yoshio war vernarrt in Durán. Er war so hingerissen von ihm, dass er ihm auf Schritt und Tritt folgte, wie ein persönlicher Lakai.
Manchmal verließen die beiden früh am Morgen das Hotel, spazierten plaudernd unter den Bäumen entlang und durchquerten mitten auf der Straße das Dorf, bis sie zum Bahnhof gelangten. Dort setzten sie sich auf dem verlassenen Bahnsteig auf eine Bank und sahen zu, wie der morgendliche Schnellzug vorbeirauschte. Der Zug hielt nie, raste wie ein Blitz durch das Dorf und setzte seinen Weg nach Süden fort, bis hinab nach Patagonien. Yoshio und Durán sahen die Reisenden, die ihre Gesichter an die hellerleuchteten Fensterscheiben drückten, Gesichter wie Tote im Leichenschauhaus.
Es war Yoshio, der ihm eines Mittags Anfang Februar den Brief der Belladona-Schwestern mit der Einladung überreichte, sie im Haus ihrer Familie besuchen zu kommen. Sie hatten einen Plan des Dorfes auf ein Blatt Papier gezeichnet, das sie aus einem Heft herausgerissen hatten, und die Villa auf dem Hügel mit einem roten Kreis markiert. Offenbar wollten sie, dass er ihren Vater kennenlerne.
Das alte Herrenhaus befand sich oberhalb des Flusses, im alten Teil des Dorfes, auf einer Anhöhe, von der man die Lagune, die Wälder und die graue, endlose Ebene überblicken konnte. Durán zog einen weißen Leinenanzug und zweifarbige Lederschuhe an, und am späten Nachmittag sah man ihn durch das Dorf stolzieren und zum Haus der Belladonas hinaufsteigen.
Er musste den Dienstboteneingang benutzen.
Schuld daran war das Dienstmädchen, sie hatte einen Mulatten gesehen und angenommen, einen verkleideten Tagelöhner vor sich zu haben … So hieß es zumindest.
Durán durchquerte die Küche, und nachdem er das Bügelzimmer und die Stuben der Bediensteten hinter sich gelassen hatte, gelangte er in den zum Park gelegenen Salon, wo ihn der alte Belladona – ausgezehrt und ledrig braun wie ein einbalsamierter Affe, die Beine krumm, die Augen zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen – bereits erwartete. Gut erzogen, wie er war, machte Durán die unerlässlichen Verbeugungen und ging auf den Alten zu, um ihn mit den in der spanischsprachigen Karibik üblichen Respektsbekundungen zu begrüßen. Doch in der Provinz Buenos Aires funktionierte das nicht, denn hier begegneten auf diese Weise nur Diener ihren Herren. Die Bediensteten sind die Einzigen (sagte Croce), die die sonst überall verlorengegangenen aristokratischen Bräuche der spanischen Kolonialzeit noch beherrschen. Und es waren die Herren, die den Dienern diese Umgangsformen beibrachten, die sie selbst seit Langem abgelegt hatten – als hätten sie die Manieren, die sie selbst nicht mehr benötigten, bei diesen dunkelhäutigen Menschen in Verwahrung gegeben.
Ohne es zu merken, benahm sich Durán wie ein ländlicher Vorarbeiter, wie ein Pächter oder einfacher Händler, der sich feierlich, mit bedächtigen Schritten, nähert, um seinen Herrn zu begrüßen.
Tony verstand das im Dorf herrschende Geflecht aus Beziehungen und Hierarchien nicht. Er begriff nicht, dass es Bereiche gab – die gefliesten Wege in der Mitte des Platzes, der im Schatten liegende Bürgersteig an der Hauptstraße, die vorderen Kirchenbänke –, die den Mitgliedern der alteingesessenen Familien vorbehalten waren, und Orte – der Club Social, die Theaterlogen, das Restaurant des Jockey Clubs –, die einem selbst mit Geld verwehrt blieben.
Doch hatte der alte Belladona nicht Recht, ihm zu misstrauen? Das fragten sich alle. Diesem arroganten Fremden zu misstrauen und ihm gleich zu Beginn die Regeln seines Hauses und seiner gesellschaftlichen Schicht aufzuzeigen? Bestimmt hatte sich der Alte gefragt – und alle stellten sich diese Frage –, wie es sein konnte, dass ein Mulatte, der behauptete, aus New York zu kommen, an einem Ort aufkreuzte, wo die letzten Schwarzen seit fünfzig Jahren verschwunden waren oder sich in Luft aufgelöst hatten und ein Teil der Landschaft geworden waren. Und dass er nie wirklich erklärte, was er eigentlich hier wollte, und nur vage andeutete, in einer Art geheimer Mission unterwegs zu sein. Später erfuhr man, dass sie irgendetwas zu bereden hatten an jenem Nachmittag, der Alte und Tony; anscheinend brachte Durán eine Nachricht oder hatte einen Auftrag, aber alles lief unter der Hand ab.
Der Alte bewohnte einen geräumigen Salon, der wie eine Pelotahalle wirkte. Man hatte die Zwischenwände eingerissen, um mehr Platz zu schaffen, so dass sich der Ingenieur zwischen seinen Tischen und Schreibtischen hin und her bewegen konnte, während er Selbstgespräche führte und durch das Fenster das tote Treiben auf der Straße jenseits des Parks beobachtete.
»Man wird Sie hier den Zambo nennen«, sagte der Alte zu Durán und grinste boshaft. »Während der Kolonialzeit gab es eine ganze Menge Neger am Río de la Plata, in den Befreiungskriegen haben sie ein Bataillon aus Mulatten und Farbigen gebildet, waren zu allem entschlossen, doch man hat sie alle getötet. Es gab sogar ein paar schwarze Gauchos, die an der Grenze dienten. Am Ende sind sie alle abgehauen und haben sich den Indianern angeschlossen. Und bis vor ein paar Jahren hat noch eine Handvoll Schwarzer in den Wäldern gelebt, aber nach und nach sind sie gestorben, und jetzt gibt es keine mehr. Wie ich hörte, wird in der Karibik zwischen zahlreichen Hautfarben unterschieden, aber hier nennt man alle Mulatten einfach nur Zambos.5 Verstehen Sie, junger Mann?«
Der alte Belladona war siebzig Jahre alt, schien jedoch so fern von allem zu stehen, dass er zu jedem männlichen Dorfbewohner »junger Mann« sagen konnte: Er hatte sämtliche Katastrophen überlebt, regierte über die Toten, regelte alles, was ihn betraf, verstieß die männlichen Mitglieder der Familie und blieb nur mit seinen zwei Töchtern zurück, während die beiden Söhne »ins Exil« gingen und zehn Kilometer weit nach Süden zogen, in die Fabrik, die sie an der Straße nach Rauch errichteten. Ohne große Umschweife erzählte der Alte Durán von seinem Vermächtnis. Er habe seine Besitztümer schon vor seinem Tod aufgeteilt und das Anwesen überschrieben. Dies sei jedoch ein Fehler gewesen, denn seither habe es nur noch Krieg gegeben.
»Nichts ist mir geblieben«, sagte er, »und die anderen haben angefangen, sich zu zanken, und bringen sich gegenseitig fast um.«
Die Töchter, fuhr er fort, hielten sich aus dem Streit heraus, doch seine Söhne seien auf ihn losgegangen, als ginge es um ein Königreich. (Mich siehst du hier nicht mehr, hatte Luca geschworen. Ich werde dieses Haus nie wieder betreten.)
»Etwas hatte sich geändert nach Duráns Besuch und ihrem Gespräch«, sagte Madariaga, ohne sich an einen der Gäste im Besonderen zu wenden oder näher darauf einzugehen, worin diese Veränderung bestanden haben soll.
Zu der Zeit begannen die Dorfbewohner sich zu erzählen, er sei ein Kofferbote 6, der Geld bringe, das nicht sein eigenes sei, um heimlich die Ernte aufzukaufen, ohne Steuern bezahlen zu müssen. Es wurde behauptet, in dem Gespräch mit Belladona sei es um ebensolche Geschäfte gegangen und die Schwestern seien lediglich ein Vorwand gewesen.
Gut möglich, so etwas war keine Seltenheit, obwohl diejenigen, die das Schwarzgeld brachten oder abholten, in der Regel unsichtbar blieben. Es waren Typen, die aussahen wie Bankangestellte und mit einer Unsumme fremder Dollars in der Tasche unterwegs waren, um die Steuerbehörde auszutricksen. Es kursierten zahlreiche Geschichten über Steuerhinterziehungen und dubiose Devisengeschäfte. Darüber, wo das Geld versteckt und wie es befördert wurde und wer geschmiert werden