Das seelische Wesen. Die (d.i. Mira Alfassa) Mutter
Читать онлайн книгу.Wesen ein und dieselbe Sache?
Das hängt von der Bedeutung ab, die du den Worten gibst. In den meisten Religionen, und vielleicht auch in den meisten Philosophien, wird das vitale Wesen „Seele“ genannt, denn es heißt, dass die Seele den Körper verlässt, während es [in Wirklichkeit] das vitale Wesen ist, das den Körper verlässt. Man spricht davon, „die Seele zu retten“ oder von der „verruchten Seele“ oder von der „Erlösung der Seele“ ..., doch all das trifft auf das vitale Wesen zu, denn das seelische Wesen bedarf einer Rettung nicht! Es hat an den Fehlern der äußeren Person keinen Anteil, es ist frei von aller Reaktion.
DIE MUTTER (16:137)
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Zwischen der Seele in ihrer Essenz und dem seelischen Wesen muss unterschieden werden. Hinter allem und jedem steht die Seele, der Funke des Göttlichen – keiner könnte ohne sie bestehen. Es ist jedoch durchaus möglich, ein vitales und ein physisches Wesen zu besitzen, ohne ein deutlich entwickeltes seelisches Wesen dahinter. Dennoch kann man keine allgemein gültige Regel aufstellen in dem Sinne, dass ein Primitiver keine Seele besitzt, oder dass sich bei ihm nirgendwo eine Seele zeigt.
Das innere Wesen setzt sich aus dem inneren Mental, dem inneren Vital und dem inneren Physischen zusammen – doch dies ist nicht das seelische Wesen. Die Seele ist das innerste Wesen und von jenen ganz verschieden. Im Englischen wird das Wort „Seele“ tatsächlich für alles gebraucht, das etwas anderes oder Tieferes als das äußere Mental und Leben und den äußeren Körper bezeichnet, für alles Okkulte und Überphysische; doch diese Ausdrucksweise bringt Verwirrung und Fehler mit sich, und wenn wir über den Yoga sprechen oder schreiben, müssen wir sie gänzlich fallenlassen. In der gewöhnlichen Umgangssprache mag ich manchmal das Wort „seelisch“ in einem freieren, populäreren Sinn gebrauchen; oder aber in der Poesie, die an intellektuelle Genauigkeit nicht gebunden ist, spreche ich manchmal von der Seele in einem mehr allgemeinen und äußerlichen Sinn, jedoch genauso in ihrer wahren Bedeutung.
Das seelische Wesen ist durch Oberflächenregungen verhüllt und drückt sich, so gut es kann, durch seine äußeren Instrumente aus, die aber eher durch von außen wirkende Kräfte als durch die inneren Einflüsse der Seele gelenkt werden. Doch dies bedeutet nicht, dass sie von der Seele völlig abgeschnitten sind. Die Seele befindet sich ebenso im Körper wie das Mental oder Vital –, doch ist der Körper, in dem sie wohnt, nicht allein dieser grobstoffliche Rahmen, sondern auch der feinstoffliche Körper. Sobald die grobstoffliche Hülle abfällt, bleiben die vitalen und mentalen Hüllen des Körpers als Gefäß der Seele noch bestehen, bis auch diese sich auflösen.
Die Seele einer Pflanze oder eines Tieres kann man nicht insgesamt als schlummernd bezeichnen – ihre Ausdrucksmittel sind lediglich weniger entwickelt als die eines menschlichen Wesens. Es gibt viel Seelisches in der Pflanze, viel Seelisches im Tier. Die Pflanze aber hat in ihrer Form nur das Vital-Physische entwickelt, daher kann sie sich nicht ausdrücken; das Tier hat ein vitales Mental und kann sich zwar ausdrücken, doch ist sein Bewusstsein begrenzt, seine Erfahrungen sind begrenzt, und daher verfügt die Seelenessenz über ein weniger entwickeltes Bewusstsein, eine weniger entwickelte Erfahrung als diejenige, die im Menschen vorhanden oder zumindest möglich ist. Und dennoch haben Tiere eine Seele und können bereitwillig auf die Seele im Menschen ansprechen.
Ein Geist (ghost) ist natürlich nicht die Seele. Er ist entweder der Mensch, der in seinem vitalen Körper erscheint, oder er ist ein Fragment seines Vitals, das von einer vitalen Kraft oder Wesenheit benützt wird. Unser vitales Wesen besteht normalerweise nach der Auflösung des Körpers eine Zeit lang fort und geht dann in die vitale Ebene ein, wo es bleibt, bis sich die vitale Hülle auflöst. Dann begibt sich die Seele, sofern sie mental entwickelt ist, in die mentale Hülle zur mentalen Welt, und schließlich verlässt sie auch ihre mentale Hülle und begibt sich zu ihrem Ort der Ruhe. Bei einem stark entwickelten Mental kann unser mentaler Teil auch bei der Seele bleiben, genau wie der vitale; Voraussetzung dafür ist, dass sie vom seelischen Wesen geformt und um dieses zentriert sind –, dann teilen sie die Unsterblichkeit der Seele. Andernfalls nimmt die Seele die Essenz von Mental und Leben in sich auf und begibt sich zu einer zwischengeburtlichen Ruhe.
SRI AUROBINDO (22:293)
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In der Erfahrung des Yoga ist das Selbst oder Wesen essentiell eins mit dem Göttlichen oder zumindest ein Teil des Göttlichen und im Besitz aller göttlichen Macht. Doch in der Manifestation nimmt es zwei Aspekte an, den des purusa und den der prakrti, das bewusste Wesen und die Natur. Hier in der Natur ist das Göttliche verhüllt und das individuelle Wesen der Natur unterworfen, die als niedere prakrti wirkt, als eine Kraft der Unwissenheit, avidya. Der purusa als solcher ist göttlich, doch in seiner äußeren Gestalt in der Unwissenheit der Natur ist er die scheinbare Individualität, unvollkommen durch ihre Unvollkommenheit. Daher birgt die Seele oder seelische Essenz – die der purusa ist, der in die Evolution eintritt und diese stützt – in sich alle göttlichen Möglichkeiten; doch das individuelle seelische Wesen, das die Seele vertritt, nimmt die Unvollkommenheit der Natur an und entfaltet sich in ihr, bis es seine volle seelische Essenz wiedergefunden und sich mit dem Selbst darüber, dessen individuelle Projektion in der Evolution es ist, geeint hat. Diese Dualität im Wesen auf all seinen Ebenen – denn dies trifft auf andere Art und Weise nicht nur für das Selbst und die Seele zu, sondern auch für den mentalen, vitalen und physischen purusa – muss erkannt und angenommen werden, bevor die Erfahrungen des Yoga voll verstanden werden können.
Das Wesen ist durch und durch eins, doch auf jeder Ebene der Natur wird es durch eine Form seiner selbst vertreten, welche jener Ebene entspricht, dem mentalen purusa auf der mentalen Ebene, dem vitalen purusa auf der vitalen Ebene, dem physischen purusa auf der physischen Ebene. Die Taittiriya Upanishad spricht von zwei weiteren Ebenen des Wesens, der Ebene des Wissens oder der Wahrheit und der Ananda-Ebene, jede mit ihrem purusa; diese sind jedoch, obwohl Einflüsse von ihnen herabkommen können, für das menschliche Mental überbewusst, und ihre Natur ist bislang hier noch nicht geformt.
SRI AUROBINDO (22:284)
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1 Die citta und der seelische Teil sind ganz und gar nicht das gleiche. Citta ist ein Ausdruck aus einer völlig anderen Kategorie; in ihr werden die hauptsächlichen Funktionen unseres äußeren Bewusstseins koordiniert und geordnet, und um sie zu erkennen, brauchen wir nicht hinter unsere Oberfläche oder äußere Natur zu gehen. „Kategorie“ bedeutet hier eine andere Klasse psychologischer Faktoren, tattva-vibhaga. Die Seele gehört zu einer Klasse – Supramental, Mental, Leben, Seele, Körper – und bezieht sowohl die innere als auch die äußere Natur mir ein. Citta gehört einer ganz anderen Klasse oder Kategorie an – buddhi, manas, citta, prana usw. –, dies ist die Klassifikation der gewöhnlichen indischen Psychologie des äußeren Wesens. In dieser Kategorie werden von den indischen Denkern nur die Hauptfunktionen unseres äußeren Bewusstsein koordiniert und geordnet; citta ist eine der hauptsächlichen Funktionen dieses äußeren Bewusstseins, wir brauchen daher, um sie zu erkennen, uns nicht hinter unsere äußere Natur zu wenden.
2 Mit Solarplexus meint die Mutter die Herz- (nicht die Nabel-) Region. Das geht aus einer anderen Äußerung hervor, wo sie sagt: „Im Allgemeinen ist es im Herzen, hinter dem Solar-Plexus, wo man diese leuchtende Gegenwart findet. Siehe auch die Antwort zu der Frage: „Ist das seelische Wesen im Herzen?“ (S. 146)
Kapitel 2
Atman, Jivatman und die Seele
Es ist notwendig, den Unterschied zwischen der sich entfaltenden Seele (dem seelischen Wesen) und dem reinen atman, dem Selbst oder Spirit klar zu verstehen. Das reine Selbst ist ungeboren, es durchläuft weder Tod noch Geburt und ist unabhängig von Geburt oder Körper, von Mental, Leben oder dieser manifestierten Natur. Es wird durch diese Dinge weder gebunden noch eingeschränkt, noch beeinträchtigt, obwohl es sie annimmt und stützt. Im Gegensatz hierzu ist die Seele etwas, das in die Geburt herabkommt und den Tod durchläuft – obwohl sie selbst nicht stirbt, da sie unsterblich ist – und von einem