Das seelische Wesen. Die (d.i. Mira Alfassa) Mutter
Читать онлайн книгу.näher als der menschliche Intellekt in seinem Wissensstolz. Gemäß der alten Lehre ist der Sitz des immanenten Göttlichen, des verborgenen Purushas, im mystischen Herzen – der geheimen Herzenshöhle, hrdaye guhayam, wie es die Upanishade ausdrückt –, und nach der Erfahrung vieler Yogis kommt von seinen Tiefen die Stimme oder der Atem des inneren Orakels.
Diese Zweideutigkeit, diese gegensätzlichen Erscheinungen von Tiefe und Blindheit, entstehen durch den doppelten Charakter des menschlich-emotiven Wesens. Denn in den Menschen befindet sich im Vordergrund ein Herz voller vitaler Emotionen, ähnlich dem der Tiere, wenn auch vielfältiger entwickelt; seine Emotionen werden von egoistischer Leidenschaft gelenkt, blinden, instinktiven Neigungen und dem ganzen Spiel der Lebensimpulse mit ihren Unvollkommenheiten, Perversionen und oft schmutzigen Entartungen, – das Herz ist von Lüsten, Begierden und Wutanfällen, von intensiven oder ungestümen Forderungen, von den kleinen Begierden oder niedrigen Schäbigkeiten einer dunklen und gefallenen Lebenskraft bedrängt und ihnen ausgeliefert, und verdorben durch seine Sklaverei an jedweden Impuls. Dieses Gemisch des emotiven Herzens und des sinnlich-lüsternen Vitals schafft eine falsche Begierdenseele im Menschen; diese ist das rohe und gefährliche Element, dem der Verstand zu Recht misstraut, er empfindet die Notwendigkeit einer Kontrolle – obgleich die tatsächliche Kontrolle, oder besser gesagt, die Gewalt, die er über unsere rohe und beharrliche, vitale Natur auszuüben vermag, immer sehr unsicher und irreführend ist. Die eigentliche Seele des Menschen aber ist nicht dort; sie ist in dem wahren, unsichtbaren Herzen in einer leuchtenden Höhle der [menschlichen] Natur verborgen: dort, wo das göttliche Licht einsickert, ist unsere Seele, ein schweigendes, innerstes Wesen, dessen nur wenige je gewahr werden; denn obzwar alle eine Seele haben, sind sich nur einige ihrer wahren Seele bewusst, oder fühlen ihren direkten Impuls. Dort wohnt der kleine Funke des Göttlichen, der diese dunkle Masse unserer Natur stützt, und um ihn herum wächst das seelische Wesen, die geformte Seele oder der wirkliche Mensch in uns. In dem Maße wie dieses seelische Wesen in ihm wächst, und die Regungen des Herzens dessen Weisungen und Impulse spiegeln, wird sich der Mensch mehr und mehr seiner Seele bewusst, er hört auf, ein überlegenes Tier zu sein; dann und wann zu flüchtiger Schau der Gottheit in ihm erwachend, öffnet er sich immer mehr ihren Hinweisen auf ein tieferes Leben und Bewusstsein und dem Impuls zu göttlichen Dingen. Es ist einer der entscheidenden Momente des integralen Yoga, wenn dieses seelische Wesen befreit wird, und hinter dem Schleier hervortritt, und die volle Flut seiner Ahnungen, Gesichte und Impulse auf das Mental, das Leben und den Körper des Menschen ausgießt, wenn es beginnt die Errichtung der Gottheit in der Erdnatur vorzubereiten.
SRI AUROBINDO (20:140)
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Kapitel 5
Die Natur des seelischen Wesens
Es ist die eigentliche Natur der Seele oder des seelischen Wesens, sich zu der Göttlichen Wahrheit hinzuwenden, wie die Sonnenblume zu der Sonne; sie akzeptiert alles und klammert sich an alles an, das göttlich ist, oder sich auf die Gottheit hinentwickelt, und sie zieht sich von allem zurück, was diese entstellt oder leugnet, von allem, was falsch und ungöttlich ist. Dennoch ist die Seele zunächst nur ein Funke und dann eine kleine Flamme der Gottheit, die inmitten großer Finsternis brennt; meist ist sie in ihrem inneren Heiligtum verhüllt, und zu ihrer Enthüllung bedarf sie des Mentals, der Lebenskraft und des physischen Bewusstseins, und sie muss diese dazu bewegen, ihr [der Seele] so gut es geht, Ausdruck zu verleihen; im Allgemeinen hat sie damit bestenfalls insoweit Erfolg, dass sie deren Äußerlichkeit mit ihrem inneren Licht durchdringt und mit ihrer läuternden Feinheit deren dunkle Verborgenheiten oder grobes Gemisch modifiziert. Selbst wenn ein geformtes seelisches Wesen vorhanden ist, das sich mit einiger Direktheit im Leben auszudrücken vermag, ist es dennoch in allen, ausgenommen in einigen wenigen, nur ein kleiner Teil des [menschlichen] Wesens – „nicht größer an Körpermasse als der Daumen eines Menschen“, welches das Gleichnis war, das von den alten Sehern gebraucht wurde –, und es ist nicht in der Lage, sich gegen die Dunkelheit und unwissende Kleinheit des physischen Bewusstseins durchzusetzen, gegen die falsche Sicherheit des Mentals oder die Arroganz und Heftigkeit der vitalen Natur. Diese Seele muss das menschlich-mentale, gefühlsbetonte und sinnliche Leben akzeptieren, so wie es ist, seine Voraussetzungen und Aktivitäten, seine bewahrten Formen und Erscheinungen; sie muss sich hart mühen, das göttliche Element in all dieser relativen Wahrheit, die mit fortwährendem, verfälschendem Irren vermischt ist, zu befreien und zu mehren, diese Liebe, preisgegeben der Benutzung durch den Tierkörper oder der Befriedigung durch das vitale Ego, dieses Leben eines durchschnittlichen Menschentums, das mit der seltenen und fahlen Erkenntnis einer Gottheit durchwirkt ist, aber auch den dunklen Scheußlichkeiten des Dämons und Untiers. Obgleich unbeirrt in ihrem eigentlichen Willen, muss sie oft unter dem Druck ihrer Instrumente (dem Mental, Vital und dem Physischen) fehlerhaftem Tun nachgeben, falscher Anwendung der Gefühle, falscher Wahl der Person, dem Irren in der genauen Formulierung ihres Willens, in der Art, ihr unfehlbares, inneres Ideal auszudrücken. Dennoch besteht eine Ahnung im Inneren, dass sie ein verlässlicherer Führer als der Verstand ist, oder auch als das höchste Verlangen, und selbst durch offensichtliches Irren und Fehlen vermag ihre Stimme immer noch besser zu leiten, als der präzise Intellekt und das erwägende, mentale Urteil. Diese Stimme der Seele ist nicht das, was wir Bewusstsein nennen –, denn das ist nur ein mentaler und oft konventioneller, irrender Ersatz; es ist ein tieferer und seltener gehörter Ruf; dennoch, wenn er gehört wird, ist es das weiseste, ihm zu folgen; es ist sogar besser, dem Ruf seiner Seele folgend umherzuirren, als mit dem Verstand und dem äußeren moralischen Ratgeber scheinbar geradeaus zu gehen. Doch erst, wenn sich das Leben dem Göttlichen zuwendet, kann die Seele wahrhaft hervortreten und ihre Macht den äußeren Gliedern auferlegen; denn da sie selbst ein Funke des Göttlichen ist, besteht ihr wahres Leben und eigentlicher Daseinsgrund darin, dass ihre Flamme dem Göttlichen entgegen wächst.
SRI AUROBINDO (21:144)
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Die wahre Seele, verborgen in uns – subliminal haben wir gesagt, doch ist das Wort irreführend, denn diese Gegenwart befindet sich nicht unter der Schwelle des Wachmentals, sondern brennt vielmehr im Tempel des innersten Herzens hinter dem dichten Schirm eines unwissenden Mentals, Lebens und Körpers, nicht subliminal, sondern hinter dem Schleier – diese verhüllte, seelische Wesenheit ist die Flamme der Gottheit, die immer in uns brennt, nicht zu löschen, nicht einmal durch jene dichte Unbewusstheit eines spirituellen Selbstes im Inneren, das durch unsere äußere Natur verdunkelt ist. Sie ist eine Flamme, geboren aus dem Göttlichen, strahlender Bewohner der Welt der Unwissenheit, und sie wächst in ihr, bis sie fähig wird, sie [die Unwissenheit] dem Wissen zuzuwenden. Sie ist der verborgene Zeuge, die verborgene Kontrolle, der heimliche Führer, der Dämon des Sokrates, das innere Licht oder die innere Stimme des Mystikers. Sie ist das, was fortdauert, unvergänglich in uns, von Geburt zu Geburt, unberührt durch Tod, Verfall oder Verfälschung, ein unzerstörbarer Funke des Göttlichen. Sie ist nicht das ungeborene Selbst oder der Atman, denn das Selbst, während es über das Dasein des Individuums wacht, ist sich immer seiner Universalität und Transzendenz bewusst, während sie in die Formen der Natur ausgesandt ist, die individuelle Seele, caitya purusa, die Mental, Leben und Körper stützt, und hinter dem mentalen, vitalen und feinstofflichen Wesen in uns steht und beobachtet und von deren Entwicklung und Erfahrung profitiert. Diese anderen personalen Mächte im Menschen, diese Wesen seines Wesens, sind in ihrem wahren Dasein auch verhüllt, aber sie bringen zeitweilige Persönlichkeiten hervor, die unsere äußere Individualität ausmachen, und deren oberflächliches Tun und oberflächliche Erscheinungsform wir unser Selbst nennen: diese innerste Wesenheit also nimmt in uns als die seelische Person Gestalt an, stellt eine seelische Personalität heraus, die sich von Leben zu Leben verändert und wächst und entwickelt; denn sie ist der Reisende zwischen Geburt und Tod, und zwischen Tod und Geburt, und unsere natürlichen Teile sind lediglich seine vielfachen und veränderlichen Gewänder. Das seelische Wesen kann zunächst nur eine verborgene, teilweise und indirekte Tätigkeit durch Mental, Leben und Körper ausüben, da diese Teile der [menschlichen] Natur als ihre Instrumente des Selbstausdrucks entwickelt werden müssen, und lange ist sie durch deren Evolution begrenzt. Gesandt, um den Menschen in der Unwissenheit zum Licht des Göttlichen Bewusstseins zu führen, formt sie aus der Essenz all der Erfahrung in der Unwissenheit einen Kern des