Das Ketzerdorf - In Ketten. Richard Rost

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Das Ketzerdorf - In Ketten - Richard  Rost


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wünschen übrig. Wenn Ihr Euch anstrengt, Benzenauer, soll es zu Eurem Schaden nicht sein. Ich komme in einem halben Jahr wieder, bis dahin habt Ihr Zeit, das Ganze durchzurechnen.«

      »Dann kann ich meine Schäfter wohl nach Hause schicken. Nein, nein, sagt Eurem Herrn, dass ich mir einen solchen Auftrag schon sehr gut überlegen muss.«

      »Denkt an die Zukunft Eurer Werkstatt: Jäger und Fürsten, Bischöfe und Herzöge, sie alle brauchen Frieden, um auf die Pirsch zu gehen, brauchen Geld, um sich Eure teuren Waffen kaufen zu können. Aber die Zeiten ändern sich, es wird Krieg geben, den der gewinnen wird, der mit der Entwicklung geht.« Castranova nahm seinen mit Federn geschmückten Hut und verließ mit ausladender Geste den Raum.

      »Aufgetakelter Wichtigtuer! Wenn es nach mir ginge, würde ich die Produktion von diesen Spielzeugpistoletten den Franzosen überlassen«, murmelte der Obergsell vor sich hin. »Ja, ja, die Treffsicherheit! Der Graf von Oettingen-Oettingen war schon dreimal mit seiner Büchse zum Nachbessern hier, weil er angeblich innerhalb von vier Wochen siebenmal in seinem Revier auf denselben Zwölfender geschossen hat und dieser immer noch brunftvergnügt herumläuft.«

      Alle am Tisch lachten über die Geschichte des Obergsells.

      »Wie kann der Obergsell ungestraft seine Klappe so aufreißen?«, raunte Raymund dem Schäfter Remigius zu, der neben ihm saß.

      »Er ist ein genialer Tüftler und er hätte längst seinen Meister gemacht und eine eigene Werkstatt eröffnet, wenn ihm die Zunft nicht aufgrund der zahlreichen Anklagen wegen Unruhestiftung die Zulassung verweigert hätte«, sagte Remigius so leise, dass ihn der Obergsell nicht hören konnte. »Aber psst, im Vertrauen, der Obergsell hat eine große Schwäche, er ist ein Vollmondsäufer, der sich in seinem Suff nicht mehr unter Kontrolle hat, in Schlägereien gerät und auch schon die eine oder andere Waffe benutzt hat. Der Meister hat ihn mehrmals freikaufen müssen und ihm so die Haut vor dem Pranger oder dem Gefängnis gerettet.«

      Aha, sieh einmal an! Auch er hat einen wunden Punkt. Ich werde meinen Meister machen, da kannst du Gift darauf nehmen, Herr Obergsell!, dachte Raymund und lächelte in sich hinein. Sein Ehrgeiz war geweckt.

      Von einem schrecklichen und wundersamen Cometen, so sich am Dienstag nach Martini dieses laufenden Jahres 1577 am Himmel erzeiget hat.

      Es hat der Allmächtige / Ewige / Gütige und Barmherzige Gott / uns abermals ein Schrecklichs Wunderzeichen für unser Augen dargestellet / und wir müssen es sehen wegen unserer schweren und grossen sünde / ob welcher wir nicht allein dem Zorn Gottes und der zeitlichen straffe hie / und nach diesem leben der ewigen verdammnis / nicht entgehen mögen / wo wir uns nicht in dem waren Christlichen Glauben zu Gottes Barmherzigkeit bekeren …

      Wie dann der Menschen unverstand die Wunder und Zeichen Gottes allwegen anders auffnimbt und zueignet / ist ihm zugethan ein langer und schrecklicher Schwanz / von der linken seiten des Mittags Ragts hinauff uber die Stern Chyron fast bis zu dem Steinbock /

      Jiří Daschitzsky, Prag, 1577

      3

      Die Marianischen standen an diesem kalten Abend im Hof des Keggelbauern und schauten hinauf in den wolkenlosen Nachthimmel. Die Stimmung schwankte zwischen Entsetzen und Faszination.

      »Meine Leit, was des wohl mea alls bedeided. Dea wead immer no greaßer und greaßer!«, fand die Schmelzerin als Erste ihre Sprache wieder.

      »Eisre Kiah bleared dia ganz Nacht und gennt bloß no d’Hälfte Milch«, warf Theo vom Hauserbauer ein.

      »Vielleicht isch des aber au a guats Zoache, dr Stern vo Bethlehem hot schließlich unseren Heiland verkünded«, wandte die Halblützerin ein.

      »Dea Komet kommt doch immr nächer, der wead jede Dag heller, des sigt doch a Blinder. Mir kenned froa sei, wenn des bloß a Warnung isch vo eiserm Herrgott und ear dean Komet idda auf eis rafalla losst.« Die junge Keggelbäuerin trat in die Fußstapfen ihrer Schwiegermutter, die seit Monaten bettlägerig war, und hielt die Tradition des Gastgebens für die Marianischen aufrecht. »Kommet, gang mer in d’Stuba«, forderte sie die Umstehenden auf.

      Die Mesnerin hatte ihren Rosenkranz schon um die gichtigen Finger gewickelt. »Mir sollted immer no mehr beata, des isch dia oanzig Kraft, dia wo mir hand.«

      »Und was au, wenn des a beas Zoache isch?«, meldete sich Vitus Linder. Inzwischen hatten alle an dem großen Tisch Platz genommen.

      »I glob, dass der Komet a Prophezeiung isch, dia mir bloß no idda verstanded. Dea schaugt doch aus wia a riesiger Beesa.« Die Lehnerin war nun die Älteste in der Runde, nachdem die Hefflerin im Sommer elendiglich an ihrem Kropf erstickt war und der dazugerufene Bader machtlos ihren Todeskampf hatte ansehen müssen.

      »Die kloi Hex hot zwoi Kräha, dia ständig um se rumflattred. Des isch doch Beweis gnua, dass dia am Deifl diena duad«, warnte die Mesnerin vor der jungen Helena Rehlinger und bekreuzigte sich. »Solang dia Ketzerei it aufheart im Schloss doba, wear mer koi Ruah it hau; eis hülft entweder der Inquisitor oder der Fugger. Aber der oine gibt koa Antwort und fiar de andere sind mir viel z’ kloane Leit.«

      »Der Mayer isch des Problem, dear ziagt des ganze Gschmoas her. Dean miass mer vertreibe. Dear isch des geistige Oberhaupt«, warf die Mesnerin ein. »Fünf Mol hammer dean Ziegekopf an sei Diar g’schlage. Ums Eck hammer ean beobachtet: Käsweis war er, dr Mayer, aber dann hot er dös Bluat ra g’wäsche«, erzählte der Theo stolz.

      »Scheints hot a si davo idda beeindrucka lao«, bemerkte die Keggelbäuerin.

      »Dann muass ma ean andersch vertreibe, Heiliger Florian, hilf!«, nuschelte die Mesnerin vor sich hin. »Was isch eigentlich mit em Magnus? Der war doch dunda z’Augschburg«, fragte Vitus Linder besorgt nach dem Moosmüller, den die Marianischen im Sommer zum Großinquisitor geschickt hatten, um Abhilfe gegen die ketzerischen Rehlinger zu erbitten. Die Herren über Leeder waren Schwenckfelder und damit Häretiker. Als Hufschmied war der Veit einer der wenigen, die nicht dem Wetter ausgesetzt waren. Seinen bescheidenen Wohlstand hatte er den Aufträgen aus dem Schloss zu verdanken. Alles Flehen der Marianischen, die katholischen Fugger mögen den Rehlingern das Dorf abkaufen, war vergebens gewesen.

      »Dr Magnus isch krank und mit seir Mihle got’s bald de Bach na«, meldete sich die Halblützerin.

      »Mir weared au immer weniger und in a baar Johr hot si des ganze Thema, dass mir mea katholisch weared, erlediged, weil mir dann halt all luthrisch sind«, befürchtete Theo vom Hauserbauer.

      »D’Els hot anscheinend em Herzog kund dau, dass dea Komet im Januar verschwunde isch, drum losset eis de Roasekranz anfanga und beata, dass des Unglück vorbeifliagt.«

      Die Schmelzerin hatte kaum ausgesprochen, als die Mesnerin schon den Schmerzhaften anstimmte und sich so die Angst vor dem Kometen in die Gedanken jedes einzelnen zurückzog. Nur Halblützers Lina ließ sich von den Sorgen der Marianischen nicht anstecken und kugelte mit großer Begeisterung unentwegt einen Apfel von der einen Hand in die andere, während sie Unverständliches murmelte.

      4

      Augsburg, Dezember 1577

      Die Familie Benzenauer besuchte mit den Mitarbeitern den protestantischen Gottesdienst in der Barfüßerkirche. Raymund aber war mit Remigius und Jos, den einzigen katholischen Angestellten Benzenauers, aus Freundschaft in den Dom zur sonntäglichen Messe gegangen, um dem ungeliebten Obergsell aus dem Weg zu gehen, und das, obwohl die Rehlinger Protestanten und Anhänger der Lehre Caspar Schwenckfelds waren. Von den Bildern, der Musik und den schönen Prozessionen im Dom war er beeindruckt, auch wenn dieser Prunk von seiner Familie als unwichtiges Beiwerk


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