Das Ketzerdorf - In Ketten. Richard Rost

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Das Ketzerdorf - In Ketten - Richard  Rost


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und wir haben eine richtige kleine Lateinschul…«

      »Mein Neffe hat es nicht leicht beim Benzenauer«, fiel Hieronymus ihm ins Wort. »Neid, Eifersucht und auch seine roten Haare sind immer wieder Anlass zu Streitereien und Spott.«

      »So schlimm ist es nicht. Mein Oheim meint es nur gut mit mir«, Raymund war es peinlich, dass der Onkel seine Haare erwähnte. »Ich werde in zwei Jahren meine Gesellenprüfung machen und sehen, ob ich dann weiter beim Benzenauer arbeite. Aber es stimmt schon. Der Obergsell macht mir Schwierigkeiten, wo es nur geht. Es ist unmöglich, eigene Ideen und Vorschläge zu unterbreiten. Dabei habe ich etwas entdeckt, was die Zielgenauigkeit eines Gewehrs entscheidend verbessern könnte.«

      »Wie meinst du das?«, fragte der Goldschmied. Anscheinend hatte Raymund seine Aufmerksamkeit geweckt.

      »Indem ich den Lauf nicht in einer geraden Naht verschweiße, sondern den gegärbten Stahl um einen Dorn drehe, wird ein Gewehr viel kürzer und handlicher. Somit wird der Lauf viel stabiler und die Kugel behält mit einer größeren Pulverladung wesentlich länger ihre Richtung.«

      Der Goldschmied runzelte die Stirn. »Das klingt sehr interessant. Neben meiner Goldschmiedetätigkeit fertige ich hin und wieder Schusswaffen, die aber meist von reichen Auftraggebern zur Zierde und als Symbol ihrer Macht getragen werden. Getötet wurde damit wohl kaum jemand, dafür sind sie viel zu ungenau.« David Altenstetter lächelte und zwinkerte ihm vielsagend zu, nahm ihn etwas zur Seite und senkte die Stimme. »Warum kommst du nicht einmal in meine Werkstatt? Ich zeige dir, welche Art von Waffen bei mir hergestellt wird, und vielleicht kann ich dir ja bei deiner Idee von einem zielgenaueren Lauf behilflich sein?« Der Meister packte Raymund väterlich mit beiden Händen an den Schultern. »Ich wohne nicht gerade in der vornehmsten Gegend der Stadt, das hat Gründe, die ich dir heute noch nicht darlegen kann. Überleg’s dir, junger Bruder, es soll zu deinem Schaden nicht sein!«

      Es machte Raymund sehr glücklich, das zu hören, und der Gedanke ließ ihn nicht mehr los, in der Werkstatt dieses würdevollen und geheimnisvollen Mannes zu arbeiten. Was für ein Unterschied zu Meister Benzenauer, der sich in seinen Entscheidungen vom Obergsell bevormunden lässt.

      8

      Augsburg, Schießfest auf der Rosenau, 30. Mai 1578

      Raymund hatte auf seine Schwester am Roten Tor gewartet. Endlich, nach über acht Monaten, in denen er sie nicht gesehen hatte. Schon von Weitem hatte sie gewunken und war auf ihn zugelaufen, aber anstatt ihn zu umarmen, war Helena vor ihm stehen geblieben und hatte ihn mit ihren blauen Augen von oben bis unten angestarrt. »Raymund, du bist ja ein richtiger Mann geworden.«

      Raymund packte sie mit beiden Händen an der Hüfte und hob sie in die Höhe.

      »Wie stark und kräftig du geworden bist!«, lachte sie.

      »Ich bin so froh, dass du da bist, Helena!« Er setzte sie ab und streichelte ihre Wange. »Und es gibt so viel zu erzählen.«

      »Komm, lass uns auf die Rosenau gehen, ich will das Schießfest sehen!«

      Er nahm ihre Hand und versuchte, sie zu berühren, wo es nur ging, am Knie und der Hüfte. Seine Schwester ließ es geschehen.

      »Heilung von jeder Krankheit,

      Entfernung von Warzen und Geschwüren,

      Wunderwasser, Salben und Tinktüren,

      Siehst du schlecht auf Nähe und Weite:

      Ich bin an deiner Seite!

      Beschwerden aller Art und den Wahn,

      ich zieh dir deinen eitrigen Zahn!

      Schöne komm herüber,

      ich hab für dich was über!«, deklamierte der Quacksalber mit rollendem R und in einem bassigen Singsang von seinem offenen Wagen herunter, während die beiden im Gewühl der Menschen an seiner Karre vorbeigedrängt wurden.

      »Na, du schöne Maid, schon alt genug für deinen Rotfuchs?«

      »Beleidige meine Schwester nicht, sonst kriegst du es mit mir zu tun, Großmaul!«, schrie Raymund dem Aufschneider zu.

      »Pah, Schwester, dass ich nicht lache, da hat man deiner Mutter wohl einen Kuckuck ins Nest gelegt.«

      Raymund legte schützend seinen Arm um Helena. Schon waren sie umringt von lachendem Volk.

      »Ich hau dir auf dein freches Maul, so schnell kannst du gar nicht schauen!«, brüllte Raymund und wollte zu dem Quacksalber auf den Wagen steigen.

      Helena hielt ihn mit aller Kraft fest. »Lass ihn, Raymund, du bringst uns nur in Schwierigkeiten.« Sie wandte sich an den Rüpel. »Hütet Eure Zunge, mein Herr, und beschränkt Eure Reden auf die Dinge, mit denen Ihr den Leuten das Geld aus dem Beutel zieht. Der Rat in Augsburg, in dem meine Familie seit mehreren Generationen einen Sitz innehat, hört es gar nicht gern, wenn eine Rehlingerin öffentlich beleidigt wird.«

      Augenblicklich kehrte Stille ein.

      »Ich entschuldige mich, Fräulein Hochwohlgeboren; es war keinesfalls meine Absicht, irgendetwas Schlechtes über Eure Familie zu verbreiten. Lasst mich Euch zum Zeichen meines guten Willens ein kleines Geschenk mitgeben, ein Wässerchen vom Feinsten«, sagte der Mann nun zuckersüß und hielt ihr ein kleines Glasfläschchen entgegen.

      »Behaltet es für Eure Kunden; ich habe kein Vertrauen in Eure Medizin. Komm, Raymund, du wolltest mir doch so vieles zeigen.«

      Dem Quacksalber blieb für wenige Augenblicke der Mund offen stehen.

      Raymund ließ sich von Helena zurück in die Menge ziehen. »Wenn du mich nicht zurückgehalten hättest, wäre ich dem Angeber an die Gurgel gesprungen.«

      »Das ist ja schön, dass du mich verteidigen willst, aber mit Gewalt ist diesem Menschen nicht beizukommen. Denk an die Worte der Schrift: Was du dem geringsten meiner Brüder getan hast, das hast du mir getan.«

      »Du hast ja recht, Helena! Es tut mir leid, dass ich mich immer wieder reizen lasse.« Er nahm sie bei der Hand und sah in ihre funkelnden Augen. Es war das erste Mal, dass Mutter ihr erlaubt hatte, ihn in Augsburg zu besuchen, seitdem er beim Benzenauer seine Lehre begonnen hatte.

      Sie wollte die Nacht bei Onkel Hieronymus verbringen und am nächsten Tag wieder zurück nach Leeder fahren.

      »Ich habe bei Mutter lange genug gebettelt, bis ich die Erlaubnis zur Reise hatte.«

      »Irgendwann musstest du mir ja das neue Kleid zeigen. Das steht dir ganz hervorragend.«

      »Karl hat schon bei der Abfahrt in Leeder durch die Zähne gepfiffen, als er mir auf den Wagen half.«

      »Das glaube ich dir gern. Der alte Schwerenöter!«

      »Jetzt komm, erzähl mir alles.«

      »Der Benzenauer ist kein schlechter Meister, er hat allen Gesellen und Lehrbuben während des Festes freigegeben. Das Problem ist, dass er unter der Fuchtel seines Obergesellen steht. Aber vielleicht bin ich beim nächsten Schießfest in zwei Jahren nicht mehr als Zuschauer dabei. Ich habe nämlich etwas entdeckt, was die Büchsen viel treffsicherer machen kann. Ich bräuchte jemanden, der mich das ausprobieren ließe! Beim Benzenauer ist das unmöglich. Onkel Hieronymus hat mich mit einem Goldschmied bekannt gemacht, David Altenstetter, ein Bruder von uns, bei dem könnte ich mir das vorstellen.«

      »Es ist schön zu sehen, dass der Beruf dir liegt«, Helena griff ihm an den Oberarm und lächelte. »Vielleicht kannst du ja nach der Lehrzeit zu dem Goldschmied wechseln?«

      »Ich weiß nicht, ob ich es so lange aushalte. Ich hätte so viele Ideen, aber dieser eifersüchtige Greisinger sitzt mir im Nacken und verhindert alles.«

      »Jetzt denk nicht an diesen Obergsell, sondern lass uns das Schießfest genießen!«

      »Die Schützen kommen von weit her, aus Frankreich, Italien und sogar aus Spanien, um ihre Waffen und den Umgang mit ihnen zu präsentieren. Die Sieger erhalten wertvolle Preise, aber noch wichtiger


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