Die Pfaffenhure. Alice Frontzek

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Die Pfaffenhure - Alice Frontzek


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Eure Eltern zahlen einen hohen Obolus, um Euch zu feinen und gebildeten Männern formen zu lassen. Wir bemühen uns, dem Vertrauen, das Eure Eltern in uns haben, gerecht zu werden.«

      Im zweiten und dritten Stock befanden sich die Schlafkammern. Wie in den anderen Zimmern auch gab es in ihrem Raum zwei Doppelstockbetten, vor denen jeweils ein Vorhang als Sichtschutz angebracht war. In der Mitte der Kammer stand ein großer Tisch mit vier Stühlen, des Weiteren war an der Wand ein Bücherregal angebracht und hinter einem Vorhang eine lange Kleiderstange, an der schon ein Talar, ein Umhang, ein paar Hemden und Hosen hingen. Ein Zimmergenosse schien schon eingezogen zu sein.

      »Crotus Rubeanus aus Dornheim wird noch erwartet. Euer anderer Zimmergenosse ist Hieronymus Buntz aus Windsheim.« Er drehte sich zu ihnen um. »Es ist Sitte, um in den Kreis der älteren Studenten aufgenommen zu werden, sich der Deposition beanii zu unterwerfen. Ihr wisst, was ›beanus‹ heißt?«, er schaute sie fragend an.

      »Handwerksgeselle … der nicht freigesprochene Handwerksgeselle«, erwiderte Martin nach kurzem Überlegen eifrig.

      »Richtig! Sehr gut! In Eurem Fall der ungetaufte Student. Es ist Brauch an den Universitäten, den Beanen einer Ablegung seines Beanenstandes zu unterziehen. Eine kleine Demutsübung. Ihr müsst erkennen, dass Ihr nichts wisst. Noch nichts. Deshalb studiert Ihr. Diese zugegebenermaßen etwas rohe Prozedur wird am Sonntag stattfinden. Wir wollen den Lehrbetrieb nicht stören.« Er lächelte, wie Martin fand, leicht sarkastisch und überließ die beiden sich selbst.

      Alexis schaute Martin verzweifelt an. »Was wird das werden? Und ab sofort nur noch Latein.«

      »Übung macht den Meister … Sicher wird das Lateinische durch den täglichen Gebrauch besser und besser, und schließlich werden wir viel Latein lesen. Gerade im ersten Teil der Sieben Freien Künste, dem Trivium: Grammatik, Rhetorik und Dialektik!«

      »Mein Latein war nie so gut. Aber natürlich hast du recht. Es kann nur besser werden! Gehen wir unsere Sachen holen.« Alexis klang ernüchtert.

      Die ersten Nächte waren gewöhnungsbedürftig. Crotus Rubeanus, der sich ihnen mit bürgerlichem Namen als Johannes Jäger vorgestellt hatte, war ein netter Kerl, aber er schnarchte. Hieronymus kam zwei Tage später.

      »Müsst ihr euch auch am Sonntag der Deposition unterziehen?«, fragte Martin.

      »Wir sind eine Woche später dran«, gab Johannes zurück. »Schätze, die Anlässe zum Feiern sollen etwas gestreckt werden. Nach der Prozedur müssen wir ein Essen ausgeben.«

      »Verstehe. Dann bin ich doch froh, dass wir es bald hinter uns haben«, machte Martin sich und Alexis Mut.

      Als der nächste Sonntag kam, wurden Martin und Alexis noch vor dem Frühstück in den Speiseraum geführt. Gleich an der Tür mussten sie stehen bleiben. Der Bursenrektor saß am anderen Ende des Raumes, fast wie auf einem Thron. Alle Magister, Bakkalare und Scholaren des Hauses waren versammelt. Martin schaute sich um. Jeder schien sie zu mustern. Das war es nun also. Martin atmete tief durch und nickte Alexis fast unmerklich aufmunternd zu. Dann kamen zwei Studenten und machten sich daran, ihnen Eselsohren aufzusetzen. Zwei andere brachten Eberzähne, die mit einer dicken Schnur am Kopf festgebunden wurden. Alexis schaute erschrocken. Martin zuckte mit den Schultern und bedeutete ihm damit, dass sie da durchmussten. Er blieb gelassen, als man sie auslachte. Er stand ruhig, als man ihnen Scheuklappen und Hörner aufsetzte. Alexis schien den Tränen nahe, was mit noch mehr Gelächter und Hohn quittiert wurde. In Martin arbeitete es. Wie sollte er diese Situation meistern? Mit Humor – er musste es mit Selbstironie tragen! Ein Magister nahm eine Peitsche und trieb sie im Kreis, wie Pferde an der Longe. Sie sollten traben und galoppieren, sich im Kreis drehen und Männchen machen. Martin spielte mit und führte von sich aus ein kleines Schauspiel vor, in das er Alexis mit einbezog, der erleichtert mitmachte. Sie spielten austretende Esel, vor denen sich die Zuschauer in Sicherheit bringen mussten. Dann wurden ihnen Mohrrüben an einem Stock vor die Nase gehalten, die sie mit dem Mund fassen sollten. Während Alexis mehrere Runden hinter dem Stock hertrabte, ignorierte Martin die Mohrrübe so konsequent, dass der Halter unaufmerksam wurde, die Mohrrübe dicht und tief hielt und Martin ihm den Stock mit einem Biss in die Rübe aus der Hand zog. Die Menge klatschte. Dann wurden zwei Eimer voll mit Bier hereingetragen, aus denen sie um die Wette trinken sollten. Ohne Hände. Sie mussten sich also auf ihre Knie niederlassen und wie die Hunde mit der Zunge saufen. Da sie noch nichts gegessen hatten, stieg ihnen das Bier schnell zu Kopf. Zweimal wurden sie mit dem Kopf in die Eimer getaucht, dass sie den Gerstensaft durch Mund und Nase herausprusteten.

      Die Demütigung erfuhr noch eine Steigerung: Mit von Bier verklebten, nassen Haaren, stinkend und in einer Kombination aus Eseln und Ochsen zur Hässlichkeit verunstaltet, wurden sie unter Gelächter und Gegröle hinaus auf die belebte Marktbrücke getrieben. Und wie bestellt, standen dort ausgerechnet zwei hübsche Mädchen, die kichernd auf sie zeigten. Martin spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. Ein Student gab den beiden Eseln ein Löwenzahnblümchen in die Hand und befahl ihnen, sie den Mädchen zu überreichen und einen hübschen Diener zu machen. Martin kam sich mehr als dumm vor. Aber er entschied sich für die Flucht nach vorne und ging geradewegs auf die Hübschere zu, die intelligent genug war, das Spiel mitzuspielen. Alexis und die andere taten es ihnen nach. Eine Menschenmenge hatte sich versammelt, pfiff und applaudierte. Martin bedankte sich bei seiner Mitspielerin, indem er sich verneigte. Sie gab ihm zu verstehen, dass sie mitfühlte, und lächelte ihn mitleidig an.

      Nun kamen zwei andere Studenten mit großen Scheren, einer Axt und einer Säge auf sie zu. »Leute, hört, hört!«, sagte der, der mit den Löwenzahnblumen die Moderation hier draußen übernommen hatte. »Dies sind die Neuen, die meinten, sie wären etwas Besonderes, weil sie sich an der Universität zu Erfurt eingeschrieben haben. Dummheit, Engstirnigkeit, Einfalt, tierische Rohheit und Unmäßigkeit haben bei uns nichts verloren. Deshalb erfolgt nun die Fuchsentaufe!« Den beiden Studenten mit den Werkzeugen befahl er: »Nun befreit die Täuflinge von ihrem Beanium!«

      Jetzt wurden ihnen die Eselsohren abgeschnitten. Die Scheren waren sehr groß, und Martin trug eine leichte Verletzung am Ohr davon. Dann kamen andere, die ihnen nicht zimperlich die Scheuklappen abrissen. Es ziepte an der Kopfhaut. Die Ochsenhörner und die Schweinszähne wurden mit Sägen gekürzt, und schließlich wurde ihnen mit einem Striegel aus Eichenholz der Bart geschoren. Die Prozedur war schmerzhaft.

      Wieder wurden die beiden Mädchen einbezogen, die noch immer neugierig in der Nähe standen. »Kommt, und verabreicht Euren Verehrern diese bitteren Pillen, denn jeder muss einmal eine bittere Pille im Leben schlucken«, wies der Wortführer die beiden jungen Frauen an.

      Diese gingen auf Martin und Alexis zu und reichten ihnen die Tabletten.

      »In den Mund damit! Füttern!«, skandierten die Zuschauer.

      Martin und Alexis ließen sich die scheußlichen weißen Presslinge zwischen die Zähne schieben und schluckten sie herunter, so gut und so schnell sie konnten. Martin musste würgen, es schüttelte ihn, so bitter war der Geschmack auf seiner Zunge. Gerne hätte er noch mal aus dem Eimer gesoffen. Mit diesem üblen Geschmack, geteert und gefedert, wenigstens innerlich, sollten sie sich nun hinknien und ihre Sünden vor aller Ohren bekennen.

      »Bekennt, um durch völlige Läuterung im Inneren wie im Äußeren ein würdiger Jünger der Wissenschaft zu werden!«

      Martin wollte es hinter sich bringen und dem deutlich mehr leidenden Alexis ein Beispiel geben: »Ich bekenne, dass ich manchmal ein zügelloses Gemüt habe und mich nicht mehr kontrollieren kann.« Und dann fügte er humorvoll hinzu: »Insbesondere, wenn mich jemand demütigt und zur Weißglut treibt, kann ich zum Mörder werden, und er bekommt meinen Zorn zu spüren, wenn er am wenigsten damit rechnet!« Er spielte einen Wahnsinnigen und blickte seinen Peinigern böse ins Gesicht.

      Die Menge grölte erneut. »Hört, hört!«

      Alexis versuchte es ähnlich spielerisch: »Ich bekenne, dass ich nur schlecht verzeihen kann. Ich bin zwar nicht nachtragend, aber ich vergesse nie! Ich habe mir Eure Gesichter gemerkt«, drohte er mit dem Zeigefinger und lachte versöhnlich. Die Zuschauer applaudierten.

      Nun sprach der Bursenrektor: »Ihr dürft Euch


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