Weltgeschichte als Stiftungsgeschichte. Michael Borgolte
Читать онлайн книгу.Die Orthographie wird in Zitaten älterer Provenienz der neuen Rechtschreibung angepasst.
Stiftungen für Götter und Ahnen
Die älteste Schicht des Stiftungswesens datiert aus einer Zeit, in der Götterwelt und Menschenwelt noch ungeschieden waren.1 Mit den Göttern fanden Lebende und Tote in der Einheit des Kosmos ihren Platz und hielten diesen in gegenseitiger Verpflichtung in Gang.2 Trotzdem waren Götter und Ahnen beziehungsweise Tote die ersten Adressaten von Stiftungen. Wenn Stiftungen den Götterkult und besonders die Ahnenverehrung förderten, könnte dies deshalb auf eine Vernachlässigung beider in der täglichen Praxis schließen lassen oder auch der Ausgestaltung und Aufwertung der Kulte gedient haben. So hat man einerseits gemeint, die Sorglosigkeit nachlebender Familienangehöriger beim Totenkult habe die „Institution der Stiftung“ ins Leben gerufen,3 während andere argumentieren, das Aufkommen der Stiftungen spiegele einen Mentalitätswechsel wider, bei dem „das Gefallen am Luxus sowie die Sensibilität für andere“ von Bedeutung gewesen seien.4 Tatsächlich gab es zweifellos eine dilatorische Praxis des Kultes für Tote oder Götter, ohne dass dies schon gleich eine Abwendung vom Kosmosdenken bedeutet hätte.5
Die ersten Stiftungen hat die Wissenschaft in Mesopotamien und in Ägypten nachgewiesen.6 Die Überlieferung zum Götterkult in Babylonien ist hier besonders wichtig, weil sie das Motiv der Dauer, das für Stiftungen konstitutiv war, verständlich macht. Seit den sumerischen Stadtstaaten des frühen 3. Jahrtausends wird den Fürsten beziehungsweise Königen das Epitheton „Versorger der Gottheit N.“ oder „Versorger des Tempels N.“ beigelegt. Die regelmäßige Zuwendung von Speisen und Getränken an die Götter dekretieren „für alle Zeit“ königliche Verfügungen auf steinernen Inschriften.7 Seit dem Reichsgründer Hammurapi (1793–1750 v. u. Z.) war Marduk vom Stadtgott zum obersten Gott des Landes aufgestiegen und sein Tempel zur Ablieferungsstelle für Speisen und andere Lebensmittel aus dem ganzen Land geworden.8 Zweimal täglich hatten ihn Priester und andere Tempelangehörige zu verköstigen. Diese Pflicht beruhte auf der Anschauung, dass das Menschengeschlecht die Götter speisen müsse, um die Welt zu erhalten.9 Was alle altorientalischen Mythen in dieser oder jener Weise erzählen, bezieht das Weltschöpfungsepos ‚Enuma elisch‘ aus dem ausgehenden 2. Jahrtausend eben auf Marduk. Bevor Himmel und Erde existierten, habe es so viele miteinander konkurrierende Götter gegeben, dass sich die jüngeren gegen die älteren erhoben und in dem Kampf auch unbesiegbar erscheinende Ungeheuer erschaffen wurden. Der junge Marduk habe angeboten, für die Götter zu kämpfen, sich aber ausbedungen, im Falle seines Sieges oberster der Götter und auf Dauer deren König werden zu können. Dies habe Zustimmung gefunden. Nach seinem Sieg sei Marduk der Schöpfergott der Welt geworden und habe den Menschen geschaffen, der „von nun an durch seiner Hände Arbeit für den Unterhalt der Götter“ zu sorgen hatte.10 Die Erschaffung des Menschen habe also die Götter von den Sorgen um ihre Subsistenz befreit.
In der Forschung ist gezeigt worden, dass die Tiere, die ein König dem Gott seiner Stadt, seines Landes oder des Reiches opferte, nicht nur aus allen Gegenden seiner Herrschaft stammen sollten, sondern den drei kosmischen Bereichen des orientalischen Weltbildes entsprachen: „Schafe und Stiere stehen für die Erde, die Vögel für den Himmel und die Fische für den Ozean, der die Erde umgibt und über den sich die Erde wölbt. Mit der Darbringung dieser Tiere wird der höchste Gott ernährt und ‚besänftigt‘, indem er getragen wird von der Lebenskraft des gesamten Kosmos in seiner vertikalen Ordnung: Himmel, Erde, Ozean.“11 Nach den Verwaltungsurkunden, die schon aus dem 21. Jahrhundert v. u. Z. stammen und bis ins späte 7. Jahrhundert reichen, hatten Amtleute, Militärs und Städte aus dem ganzen Reich den König für die Götterspeisung zu beliefern; dabei kam das Schlachtvieh keineswegs nur aus den umfangreichen Herdenbeständen des Staates und der Tempel. Es handelte sich also offenkundig um eine Abgabe oder Steuer aller Reichsbewohner.
Wie ernst diese Pflicht genommen wurde, zeigen zwei Briefe eines Assur-Priesters an einen neuassyrischen König: „Der heutige 5. Kanunu ist von der Stadt Talmusu zu bestreiten. Nichts wurde geliefert. Ich habe (dennoch) für das Leben des Königs, meines Herrn, das Opfer vor Assur [und den Göttern des] Königs, meines Herrn, dargebracht.“ „[An den König], meinen Herrn: [Dein Diener D]adi. [Heil], dem König, meinem Herrn. Mögen Nabù und Marduk den König, meinen Herrn, segnen! Zwei Rinder und 20 Schafe, Opfergaben des Königs, die die Stadt Diquqina zu erbringen hat, sind nicht geliefert worden. Der König, mein Herr, möge dieser Angelegenheit nachgehen. (…) Es sind nun [x] Jahre, dass sie nicht geliefert haben. Die haben das eingestellt. Der König, mein Herr, sollte seine Soldaten [dort hinschicken].“12
Die Anforderung der Dauer bei der Stiftung dürfte also ursprünglich auf dem Mythos beruht haben, dass die Menschen für den ständigen Unterhalt der unsterblichen Götter zuständig waren.13 Trotz der allgemeinen Abgabenverpflichtung, die (im Neuassyrischen Reich) auch die Königin, den Kronprinzen, hohe Angehörige des Tempels und Palastes sowie einflussreiche Familien im Umkreis des Herrschers einschloss,14 blieb Raum für stifterliche Initiativen. Aus Lagasch, einer der wichtigsten sumerischen Stadtmonarchien, stammt schon die Inschrift eines ‚Tonnagels‘ (‚Clay nail‘) im örtlichen Tempel.15 Sie berichtet davon, dass König Enmetena (um 2400 v. u. Z.) dem Gott Enlil (von Badtibira) eine fromme Landschenkung aus dem Erbe seiner Vorfahren gemacht habe.16 Die Gabe eines solchen Immobilienvermögens berechtigt ohne Zweifel zum Schluss auf eine Stiftung, sei es, dass die Erträge für die Opfer, sei es, dass sie für Priester oder anderes angestelltes Personal aufgewandt wurden. Das Zeugnis ist gewiss eine der ältesten urkundlich überlieferten Stiftungen Mesopotamiens; es beglaubigt nicht nur den Stiftungsakt und tradiert den Stifternamen, sondern es belegt auch ‚privaten‘ Grundbesitz als Quelle der Gabe. In einer anderen ausdrücklich überlieferten Götterstiftung gibt der babylonische König Maruttasch um 1300 „dem Gotte Marduk, seinem Herrn, (…) für immer und alle zukünftigen Tage“ bestimmte Felder gegenüber der Hauptstadt.17
Etwa derselben Periode wie die Götterstiftungen im Zweistromland gehörten auch die Ahnenstiftungen am Nil an.18 Opfergaben für die Ahnen hatten die Funktion, diese im Totenreich oder Grab zu versorgen und den Lebenden gewogen zu stimmen, nicht aber, wie in späteren religiösen Systemen, ihre Lage in einem separierten Jenseits zu verbessern. Die Intensität, mit der sich die Ägypter mit ihren Vorfahren verbunden fühlten, kommt eindrucksvoll in einer Reihe von Briefen an die Toten zum Ausdruck, die schon aus der Zeit des Alten Reiches (ca. 2600–2200) stammt. In einem dieser Schreiben beklagt sich beispielsweise eine Witwe bei ihrem verstorbenen Ehemann, welchen Nutzen eigentlich die von ihr sorgsam verrichteten Totenrituale brächten, wenn ihr die Vorfahren nicht in einem Konflikt um ihre Tochter beistünden?19 Ebenso aus dem Alten Reich sind Ahnen- beziehungsweise Totenstiftungen überliefert, sei es von Königen, sei es von ‚Privatleuten‘. Mentale Grundlage war ein tiefes Vertrauen in die unzerstörbare Weltordnung; das den Kosmos und die Gesellschaft durchziehende Prinzip war nach Jan Assmann die Ma’at, die als ‚Ordnung‘ der Welt im Gegensatz zum ‚Chaos‘ galt.20 Im Mittelpunkt dieser Ordnung stand der König, der sie erschaffen hatte und bewahrte und auch die Beamten des Reiches in diesem Sinne in seinen Dienst nahm. Der König galt zwar als Herr und ‚Eigentümer‘ des ganzen Landes, was aber „die Fähigkeit von Privatpersonen, Eigentum zu erwerben und darüber zu verfügen“, nicht behinderte.21 Manche Stifter schlossen förmliche Verträge mit den Totenpriestern ab, um den Zweck ihrer Gaben an Ländereien, Sklaven und anderen Gütern für ihren Totenkult abzusichern.22 Natürlich waren in Ägypten auch die Götter selbst Adressaten der Totenkultstiftungen.23
Die Entstehung des Stiftungswesens ist in Ägypten aufs Engste mit der Entstehung eines differenzierten Staatswesens verbunden gewesen.24 Die Könige der 1. Dynastie (ca. 3000 bis ca. 2800 v. u. Z.) pflegten noch alle zwei Jahre das Land zu durchziehen, Recht zu sprechen und durch ihr Erscheinen die allgemeine Ordnung zu garantieren; man sprach vom ‚Horusgeleit‘ und bezog sich damit auf die kosmische Gottheit Horus, die in ihrer universalen Zuständigkeit die Institution des Königtums widerspiegelte.25 Neben Horus, der bald Reʿ genannt wurde, bestanden lokale Gottheiten, die ohne professionelle Priesterschaft von den jeweiligen Bewohnern im personellen Wechsel versorgt worden sein dürften.26 Bei seinen Reisen zog der König die Abgaben ein, von denen er mit seinem Hof lebte. Seit der 2. Dynastie (ca. 2800 bis ca. 2700 v. u. Z.)