Weltgeschichte als Stiftungsgeschichte. Michael Borgolte

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Weltgeschichte als Stiftungsgeschichte - Michael Borgolte


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wollte, dass es mir gut ergehe bei den Menschen. Ich habe zwei Prozessgegner so beschieden, dass beide zufrieden waren, ich habe den Elenden errettet vor dem, der mächtiger war als er, soweit dies in meiner Macht stand, ich habe den Hungrigen Brot gegeben und Kleider dem Nackten, eine Überfahrt dem Schiffbrüchigen, einen Sarg dem, der keinen Sohn hatte, und ein Schiff dem Schifflosen. Ich habe meinen Vater geehrt und wurde von meiner Mutter geliebt, ich habe ihre Kinder aufgezogen.“97 Für Wohltaten erwartete man irdische Güter, langes Leben, Gesundheit und die Gunst des Pharaos.98 Meist handelte es sich allerdings um obrigkeitliche Hilfe, zu der die Beamten im Namen des Königs verpflichtet waren; deshalb beschränkten sie sich auch auf ihre Stadt oder den von ihnen verwalteten Bezirk.99 Aus den ‚Weisheitslehren‘ geht freilich auch hervor, dass jeder Einzelne zu Hilfen für Mitmenschen in Not aufgerufen war.100 Karitative Leistungen für notleidende Mitmenschen standen neben den Opfern für die Götter und die seligen Toten.101

      Die Ethisierung des menschlichen Handelns ging mit einer Spiritualisierung einher; von größerem Nutzen als tausende Geschenke, so wurde gelehrt, sei der gute Charakter eines Menschen, Rechtschaffenheit müsse zur Tat hinzutreten.102 In der 1. Zwischenzeit entstanden auch Texte über das Totengericht, in dem sich jeder Mensch für seine Taten im Diesseits rechtfertigen müsse. Das Totengericht, das zu den fundamentalen Ideen der Menschheitsgeschichte gehöre, ist nach Assmann die einzige religiöse Idee von zentraler Bedeutung, die Ägypten mit den großen Weltreligionen verbinde.103 Im Totengericht werden die guten Taten des Menschen gewogen und über seinen Aufstieg in den Himmel entschieden. Das Gericht ist also an die Idee der Unsterblichkeit gebunden; nach Herodot waren die „Ägypter die Ersten, welche behauptet haben, dass die Seele des Menschen unsterblich sei“.104 Unter den verschiedenen Erscheinungsweisen der Seele wurde der Ba, der im Alten Reich noch dem König vorbehalten gewesen war, nun jedem Menschen zugeschrieben; mit seinem Ba konnte jeder, der das göttliche Gericht erfolgreich bestand, in die Unsterblichkeit eingehen.105 Für alle galt also jetzt, was vorher dem König Merikarê, Angehörigen eines bevorzugten Standes, exklusiv ans Herz gelegt worden war: „Wenn der Mensch nach dem Tode übrigbleibt, dann werden seine Taten auf einen Haufen neben ihn gelegt. Das Dortsein währt ewig! Wer tut, was sie [die Götter] verwerfen, ist ein Tor, wer aber zu ihnen kommt, ohne Unrecht getan zu haben, der wird drüben sein wie ein Gott, frei schreitend wie die Herren der Ewigkeit.“106 In den letzten Jahren des 4. oder zu Beginn des 3. vorchristlichen Jahrhunderts artikuliert dementsprechend der Hohepriester Petosiris die Heilsgewissheit in seiner Grabinschrift: „Wenn ich hier in der Stadt der Ewigkeit angekommen bin, so deshalb, weil ich das Gute auf Erden getan habe (…). Ich habe die Gerechtigkeit geübt und das Unrecht gehasst. Ich habe nicht verkehrt mit denen, die den Geist Gottes nicht kannten (…). Ich habe alles getan in dem Gedanken, dass ich zu Gott gelangen werde nach meinem Tode.“107

      Werkheiligkeit und Lohngedanke waren schon den Alten Ägyptern vertraut; allerdings war ihnen die Idee fremd, auch durch postmortale Werke der Wohltätigkeit für die Seele des Verstorbenen sorgen zu können. Solange der Leichnam, etwa durch Einbalsamierung, für die Bestattung vorbereitet wurde, konnten die Hinterbliebenen den Weg des Verstorbenen begleiten, ohne ihm im Totengericht beistehen zu können.108 Die Lebenden hatten keine Interventionsmöglichkeit für das jenseitige Heil, das sich der Tote nur durch seine Werke zu Lebzeiten hatte verdienen müssen. Stiftungen mussten sich also auf den Kult beschränken, und zwar auf die Bewahrung der Erinnerung an den Verstorbenen und auf die Sorge um sein Grab.

      Der Durchbruch der Individualisierung, den Assmann mit der Ethisierung in Verbindung bringt und überzeugend als Symptom der ägyptischen Achsenzeit deutet, erscheint in wirtschaftshistorischer Hinsicht geradezu als Ursache für den politischen Kollaps des Alten Reiches. Wolfgang Helck hat gezeigt, dass die in der Domänenwirtschaft für den Kult jeweils eines toten Königs bestimmten Personen Freiheit gegenüber dem herrschenden Pharao erlangten, da sie der Staatswirtschaft entzogen waren.109 Je mehr solcher Sonderwirtschaften entstanden, desto mehr wurde auch die politische Ordnung in Frage gestellt, die auf dem zentral gelenkten System von Bewässerungskanälen beruhte und darauf angewiesen war.110 Insbesondere Handwerker, die für den Totenkult freigestellt waren, aber wegen ihrer begrenzten Arbeitspflichten weitgehende Freizeiten genossen, inspirierten eine allgemeine Freiheitsbewegung, die zu großflächigen Aufständen auch in den Provinzen führten.111 Einerseits rühmten sich die Einzelnen der ‚Zwischenzeit‘, aus eigener Kraft Besitz erworben zu haben,112 andererseits brachte der Zusammenbruch der Staatswirtschaft furchtbare Hungersnöte mit sich, auf die wiederum lokale Machthaber und Beamte mit einer neuartigen Sorge für den Nächsten reagierten. So sagte ein Gaufürst von Assiut von sich: „Ich habe einen Kanal von 10 Ellen Breite ausgestattet, den ich auf dem ḫśb-Feld von Assiut ausgraben ließ, und habe seine Schleuse wieder in Ordnung gebracht. Ich baute sie aus Ziegeln des Bedarfs in einer einzigen Bauperiode, ohne ein Gut trocken sein zu lassen.“113 Ein anderer Fürst derselben Provinz bezahlte die Steuern seiner Stadt aus eigener Tasche, „so dass es in ihr keinen Fronvogt aus Unterägypten, keinen Steuereinzieher aus Oberägypten gab“.114 Mit der 12. Dynastie (ca. 2000 bis 1800 v. u. Z.) wird die Wirtschaft gewaltsam wieder in den Zustand des Alten Reiches zurückgeführt, Privatbesitz aufgehoben und die Bevölkerung zum Arbeitsdienst und zum Dienst in den Domänen verpflichtet. „Diese Rückführung der Bevölkerung in den Zustand der Staatshörigen“ im Mittleren Reich habe allerdings der vorangegangenen Entwicklung nur unzureichend Rechnung getragen. Denn die „innere Einstellung des Volkes“ sei „durch die Erlebnisse der dazwischenliegenden Zeit verändert worden. Das Erlebnis des Erwerbs ‚aus eigener Kraft‘ lebt weiter in der Erinnerung; daneben fehlt jene innere Überzeugung der Menschen der 4. Dynastie, dass die Arbeit an der Pyramide ihres Herrschers letztlich ihnen selbst zugutekommen soll. Dies dürfte der entscheidende Unterschied gewesen sein, der den Versuch der 12. Dynastie, die Gleichheit der Menschen in ihrer Tätigkeit für den Staat zu begründen (…), scheitern lassen musste.“115

      Im Neuen Reich (ca. 1500 bis ca. 1000 v. u. Z.) lassen sich wieder zwei Arten von ‚Privatbesitz‘ unterscheiden: Neben Feldern, die der König allem Anschein nach ins volle Eigentum seiner Leute überführte, gab es ‚Lehnsfelder‘; das waren agrarische Güter, die einzelnen Familien, besonders Soldaten, zugewiesen wurden, die aber einer Institution oder einem Tempel gehörten, denen der Bebauende Abgaben zahlte. Diese Felder konnten zwar zu Stiftungen verwendet werden, doch bedurfte dies der Zustimmung des Eigentümers oder sonstigen Herrn (Stadtfürsten, Königs).116 Ein besonderes, aber an alte Praktiken anknüpfendes System von Kult- und Totenstiftungen kam zunächst den Göttern, aber auch den Pharaonen (die selbst vergöttlicht wurden) und gewöhnlichen Laien zugute, um am Ende eine pure Existenzsicherung der stiftenden Beamten zu bewirken (‚Opferumlauf‘):117 Die Könige stellten dabei Statuen von sich in Tempeln auf, die sie vollgültig im Opfer für die Götter vertreten und diese auf ihren Ausfahrten begleiten konnten. Nach den Worten Ramses’ II. (13. Jh.) „füllten“ die Könige die Tempel mit solchen Statuen, „die hockend oder kniend opfern“.118 Von den Opfern, die zunächst für die Götter bestimmt waren, wurden in einem Umlaufverfahren dann auch die königlichen Statuen selbst versorgt.119 Seit der Ramessidenzeit (ca. 1300 bis ca. 1000) wurde es Sitte, dass Beamte von sich aus Königsstatuen stiften und ihnen Opfer überweisen. Der König übergibt dann diese Statue wieder dem Stifter zur Betreuung, dem so deren Einkünfte zufließen. Es handelt sich um eine materielle Sicherung für den Beamten, dessen Einkünfte und Liegenschaften, die er für seine Amtsführung erhielt, bei deren Ende wieder an den König zurückfallen.120 Seit der 18. Dynastie war es wohl auch üblich geworden, Königsstatuen an Privatpersonen zu vergeben, die somit ihre Priester wurden, von den Einkünften der Statuen leben konnten und diese von Sohn auf Sohn vererben sollten.121 Auch hier ging es um eine Art (Alters-)Versicherung, da die gestifteten Felder dem Zugriff des Königs beziehungsweise des Staates entzogen waren, da sie nun der Statue gehörten.122

      Aus der sogenannten 3. Zwischenzeit (ca. 1000 bis ca. 600 v. u. Z.) datiert eine private Tempelstiftung, die noch einmal verdeutlicht, dass der König als Eigentümer des ganzen Landes angesehen wurde und deshalb den Göttern die Opfer anderer darbringen musste.123 Pharao Osorkon II. (881/880 bis 852/851 v. u. Z.) handelte in diesem Sinne in Gegenwart des Stifters, eines Schreibers, und des Hohenpriesters; alle drei verehrten nach dem Basrelief der Stele die memphitische Göttertrias Ptah, Sakhmis und Nefertem. „‚Mein guter Herr“, so das Gebet des Pharaos, „willst du diese Felderstiftung,


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