Weltgeschichte als Stiftungsgeschichte. Michael Borgolte

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Weltgeschichte als Stiftungsgeschichte - Michael Borgolte


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Übel entsprach nach der Lehre ‚Zarathustras‘ die Wahl, die jeder Mensch in seinem Leben für sich selbst treffen müsse. Ahura Mazdā aber könne in seinem Kampf mit dem „Feindlichen Geist“ den „Heiligen Geist“ (Spenta Mainyu) und durch diesen sechs kleinere Gottheiten zu Hilfe holen; am Ende werde er den Kampf siegreich beenden, das Übel zerstören und das Universum für alle Zeiten gut machen.147

      Der Mensch musste also in der von Ahura Mazdā erschaffenen Welt seine eigene Rolle im Kampf zwischen Gut und Böse spielen. ‚Zarathustra‘ wird die Erkenntnis zugeschrieben, dass der „Eigenwert des Individuums (…) nicht in der Zugehörigkeit zur Gesellschaft aufgeht.“148 Jeder Mensch müsse neben seiner eigenen physischen und geistigen Existenz auch diejenige seiner Mitmenschen fördern, da diese wie er Geschöpfe Gottes seien. Der ‚Prophet‘ habe von seinen Anhängern verlangt, nach den Maximen guter Gedanken, Worte und Taten zu leben, was der dreifachen Forderung an den iranischen Priester entsprach, den Gottesdienst mit guter Gesinnung, richtigen Worten und korrekten Ritualen zu vollziehen.149 Beim Tod werde jedermann danach gerichtet, was er im Leben für die Güte getan hat. Im Unterschied zur überkommenen Lehre sollten Frauen ebenso wie Männer, Sklaven wie Herren auf das Paradies hoffen können. An der „Brücke des Sammlers“ würde jeder Mensch gerichtet, nicht nach dem Aufwand seiner Opfer in dem zurückliegenden Leben, sondern gemäß seinen ethischen Verdiensten.150 Nach einem individuellen Gericht verdiene sich der Rechtschaffende das Paradies, der Böse werde zur Hölle verurteilt. Wenige Seelen, bei denen gute und böse Taten im Gleichgewicht stünden, gingen in einen „Ort der Gemischten Wesen“ ein, wo sie eine graue Existenz ohne Freude oder Trauer führten.

      Nach Mary Boyce erlangten aber auch die Guten noch keine vollkommene paradiesische Freude, sondern mussten noch den Tag der Auferstehung am Ende der Zeiten abwarten. So sei ‚Zarathustra‘ der erste religiöse Denker gewesen, der „ein individuelles Gericht, Himmel und Hölle, die künftige Auferstehung des Leibes, ein letztes Allgemeines Gericht und das ewige Leben der mit ihrem Körper wiedervereinigten Seele“ verkündete, allesamt Lehren, die bei den mediterranen monotheistischen Religionen wiederkehren sollten.151 Anders als Boyce hält aber Peter Clark die Differenzierung zwischen beiden Gerichtstagen nicht für eine Idee ‚Zarathustras‘ selbst, sondern für eine Weiterentwicklung der von ihm begründeten Lehren.152

      Gemäß der skizzierten Lehre gab es also in der iranischen Religion einen sehr alten Kult für die Seele (von Mensch und Tier), der über den Tod hinausreichte und die Seele (bestimmter Menschen) beim Eingang ins Paradies unterstützen sollte. Der gedankliche Durchbruch ‚Zarathustras‘ habe darin gelegen, dass er allen Menschen jeden Geschlechts und Standes diese Perspektive eröffnete und ethische Leistungen des Verstorbenen im Diesseits als Verdienst verlangte, die im postmortalen Gericht überprüft würden. Eine Stiftung für die Seele würde demnach den alten Vorstellungen des Seelenkults entsprechen und sich u.a. in ritueller Nahrung und Kleidung des Verstorbenen manifestieren; Stiftungen für das Seelenheil bewirkten ebenfalls Opfer und Gebet für den Verstorbenen, wären aber vor allem darauf angelegt, die Wohltaten des Stifters (oder zugunsten des Verstorbenen) aus dem diesseitigen Leben ‚ewig‘ zu verstetigen. Stellvertretend für ihn hätten die nachlebenden Verwalter der Stiftung, die sogenannten Stiftungsorgane, die guten Taten zu vollziehen, was ihnen durch die materiellen Gaben der Stiftung ermöglicht würde. Einen besonderen Aktionsraum gewann eine Stiftung, wie man aus Beobachtungen zum vormodernen Stiftungswesen überhaupt weiß, wenn sich das Schicksal der Seele nicht schon im individuellen Gericht unmittelbar nach dem Tod, sondern in einem allgemeinen Gericht am Ende aller Zeiten entschied.153 Dann konnten die guten Werke des Stifters noch durch den postmortalen Vollzug seiner Stiftung seine Verdienste vermehren und die Waagschale seiner guten Taten bereichern.

      Für die Verbreitung des Zoroastrismus waren die persischen Reichsbildungen entscheidend; allerdings ist die persönliche religiöse Haltung der ersten Herrscher der Achaimeniden in der Forschung umstritten.154 Eine Schlüsselrolle kommt Kyros dem Großen (559–530 v. u. Z.) zu; er gründete das erste persische Imperium durch Eroberungen von Susa, der Stammeskonföderation der Meder, des Reichs von Lydien und des Ostens von Iran. Im Westen schob er die Grenze bis zur Küste Kleinasiens und nach Ägypten vor und unterwarf bei Gefangennahme seines Königs Nabonid 539 auch das Neubabylonische Reich.155 Anscheinend haben Kyros und seine Nachfolger Ahura Mazdā nicht exklusiv verehrt, sondern einer Vermischung des Zoroastrismus mit altiranischen Traditionen der Magier Vorschub geleistet;156 außerhalb Irans schützten und förderten sie die fremden Religionen und nahmen als Nachfolger entthronter Herrscher an den entsprechenden Kultübungen teil.157 Die durch die jüdische Überlieferung Kyros dem Großen zugeschriebene Rolle bei der Rückführung des Volkes aus dem babylonischen Exil und der Wiederaufrichtung des Tempels in Jerusalem wird heute differenziert beurteilt. Es soll sich bei den Berichten und Lobpreisungen der Propheten eher um eine theologische „Rückspiegelung erst später genehmigter oder begonnener Maßnahmen auf den lange erwarteten Befreier“ handeln; Entscheidendes sei auf syrisch-palästinischen Gebieten jedenfalls erst unter den Nachfolgern des Reichsgründers geschehen.158

      Kyros fiel im Kampf mit Steppenvölkern; der Leichnam wurde in die Persis zurückgeführt und in der neu gegründeten Residenz Pasargadai beigesetzt. Das monumentale Grabmal auf zweimal drei Stufen wurde unter Mitwirkung von ionischen Steinmetzen errichtet und steht noch heute unter freiem Himmel.159 Als Alexander der Große nach Kleinasien übersetzte und Persien eroberte (334/330 v. u. Z.), suchte er, wie der Grieche Arrian berichtet, die Ruhestätte selbst auf: Das „Kyrosgrab befand sich (…) in Pasargadai im königlichen Park, umgeben von einem Hain verschiedener Bäume, den eine Quelle berieselte und dessen Rasenflächen aus dichtem Gras bestanden. Das Grab selbst war in seinem Unterbau aus Quadern und quadratisch angelegt. Auf ihm erhob sich ein überdachtes Häuschen aus Stein mit enger Eingangstür, so dass höchstens ein kleiner Mensch, und auch dieser nicht, ohne vielfach anzustoßen, durch diese eintreten konnte.“160 Betrübt musste der Makedone feststellen, dass das Grabmal ausgeraubt war; von der prächtigen Innenausstattung mit einer Decke aus babylonischem Stoff, medischen Kleidern, Schmuck, Waffen, einem Tisch mit Bank usw. war nur der goldene Sarkophag erhalten, den die Übeltäter nicht durch die schmale Türöffnung hatten zwängen können. „Unmittelbar neben der Treppe zur Grabkammer aber gab es ein Häuschen für die Magier, die bereits seit Kambyses, Kyros’ Sohn, das Kyrosgrab bewachten, wobei jeweils der Sohn vom Vater dieses Amt übernahm. Ihnen waren vom Großkönig täglich ein Schaf, eine festgesetzte Menge Mehl und Wein sowie monatlich ein Pferd zum Opfer für Kyros zugewiesen. Das Grab selbst hatte folgende persische Inschrift: ‚Mensch, ich bin Kyros, Sohn des Kambyses, den Persern Gründer des Reiches und Asiens König. Du aber neide mir dieses Grabmal nicht!‘“161 Alexander habe den Aristobul beauftragt, das Grabmal zu restaurieren und die noch erhaltenen leiblichen Überreste des Persers in seinem Sarkophag erneut beizusetzen. Die Magier ließ er gefangen nehmen und wollte sie unter Folter zwingen, die Namen der Grabschänder preiszugeben, doch umsonst; da ihnen eine Mitwisserschaft nicht nachgewiesen werden konnte, ließ Alexander sie wieder frei.

      Die Magier, Hüter des Grabes, waren schon im von Kyros unterworfenen Reich der Meder als Priester tätig gewesen. Nach Arrians Überlieferung sollen sie täglich und monatlich vom König Naturalien zur Bestreitung des Kultes erhalten und ihre Funktion in ihren Familien erblich weitergegeben haben. Tatsächlich wäre dies, von Kyros’ Tod bis zum Alexanderzug gerechnet, rund zwei Jahrhunderte der Fall gewesen. Das alles spricht eher für die Errichtung einer Stiftung durch Kambyses, bei der der jeweils amtierende König als ‚Stiftungsorgan‘ tätig war, als für eine Finanzierung des Grabkults aus dem Staatshaushalt.162 Mary Boyce hat zusätzlich darauf hingewiesen, dass über dem Zugang zur Grabkammer die Sonne als Symbol der Unsterblichkeit im lichterfüllten Paradies angebracht worden sei, und spricht von einer Seelenstiftung auf Ewigkeit;163 zoroastrische Vorstellungen hätten sich demnach mit Kulttraditionen der Meder verbunden.164 Allerdings ist in der griechischen Quelle von einer Sorge für die Seele des Königs Kyros nicht die Rede und erst recht fehlen Anklänge an diesseitige Wohltaten des Verstorbenen und ein jenseitiges Gericht über ihn; es könnte sich um einen Totenkult beziehungsweise Seelenkult gehandelt haben, der – abgesehen von der Pflege des Herrschergedenkens unter den Lebenden – das jenseitige Weiterleben des Verstorbenen ermöglichen sollte. Der Hinweis auf die Bank, die ursprünglich mit Teppichen und Kleidern bedeckt gewesen sein soll, deutet auf die Praxis des Totenmahls


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