Weltgeschichte als Stiftungsgeschichte. Michael Borgolte

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Weltgeschichte als Stiftungsgeschichte - Michael Borgolte


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prüfenden und zu reinigenden Seelen derer sind, die zögerten, die Verbrechen, die sie begingen, zu bekennen und wiedergutzumachen, schließlich in der Bedrängnis des Todes zur Reue Zuflucht nahmen und so den Körper verließen; sie kommen dennoch alle am Jüngsten Tage in das Reich des Himmels, weil sie noch im Tode Bekenntnis und Reue übten. Aber die Gebete und Almosen und Fasten und vor allem die Messfeiern der Lebenden helfen vielen, auch vor dem Jüngsten Tage befreit zu werden. Jener flammende und widerliche Schlund aber, den du gesehen hast, das ist der Eingang zur Hölle, wer einmal hineingeht, wird niemals mehr daraus befreit werden. Dieser blühende Ort aber, an dem du jene Jugend sich vergnügen und strahlen siehst, das ist derjenige, in den die Seelen derer aufgenommen werden, die eben in guten Werken den Körper verlassen; sie sind aber noch nicht von solcher Vollendung, dass sie verdienen, sofort in das Reich des Himmels geführt zu werden; sie werden aber am Jüngsten Tag alle zum Anblick Christi und zu den Freuden des himmlischen Reiches eingehen. Diejenigen aber, die in jedem Wort und Werk und Denken vollkommen sind, kommen gleich nach dem Verlassen des Körpers in das himmlische Reich; zu dessen Nachbarschaft gehört jene Gegend, in der du den Klang lieblichen Gesanges, begleitet von süßem Duft und strahlendem Licht, gehört hast. Du aber, da du jetzt in den Körper zurückkehren und wieder unter den Menschen leben musst, sollst, wenn du dich bemühst, deine Handlungen sorgfältiger zu prüfen und dein Benehmen und deine Worte in Rechtschaffenheit und Einfachheit zu bewahren, nach dem Tode auch eine Bleibe unter jenen fröhlichen Scharen der seligen Geister erhalten, die du siehst (…).“

      Schon in der Frühzeit ihrer Geschichte gelang es der Kirche, sich selbst zum Adressaten frommer Gaben für das Seelenheil zu machen. Dazu kam, dass sich die Gemeinden der Christen von jeher zur Caritas verpflichtet fühlten und eine geordnete Liebestätigkeit entwickelten, die der Alten Welt in dieser Weise unbekannt gewesen war.219 Dabei sollte jedem Notleidenden ohne Ansehen der Person Barmherzigkeit erwiesen werden. In der Gemeindearmenpflege, die sich mit der privaten Armensorge durchdrang, waren ursprünglich keine eigenen Institutionen nötig gewesen. Die Übungen der Barmherzigkeit lagen in den Händen der Priester, dann der Bischöfe, denen Diakone zur Seite standen.220 Die vorhandenen Mittel wurden für die Linderung aktueller Not aufgewandt, also noch nicht für künftige Zeiten gesammelt.221 Die Gläubigen gaben monatlich freiwillig einen Betrag in die Gemeindekasse, der sich nach ihrem Vermögen richten sollte.222 Nach Tertullian legte jeder monatlich freiwillig einen mäßigen Betrag ein: „Das ist gleichsam ein Depositum der Frömmigkeit. Denn verwendet wird es nicht zu Gastmählern und Saufgelagen, sondern um Arme zu ernähren und zu begraben, Knaben und Mädchen, die kein Vermögen und keine Eltern haben, zu erziehen, für alte Leute, für Schiffbrüchige und solche, die in den Bergwerken, in der Verbannung oder im Gefängnis sind.“223 Ganz ähnlich äußerte sich Justin der Märtyrer (gest. ca. 165).224

      Wichtiger als die monatlichen und bald sogar wöchentlichen Abgaben für die Gemeindekasse zum Zweck der Caritas wurden die mit der Feier der Eucharistie verbundenen Naturalabgaben, die sogenannten Oblationen.225 Mit ihnen trat der Charakter der Gabe als Opfer hervor. Die Naturalien, die die Gläubigen in der Abendmahlsfeier der Messe zum Altar brachten, wurden zunächst für das Messopfer selbst verwendet, während das Übriggebliebene der Gemeindearmenpflege zugeführt wurde. Im Dankgebet wurde zugleich derer gedacht, die die Oblationen dargebracht hatten. Bald wurden dann auch die Verstorbenen in das Messopfer eingeschlossen.226 Der Kirchenvater Cyprian von Karthago (3. Jh.) hatte bereits formuliert: „Wir gedenken einer des anderen und auch in Rücksicht auf die Heimgegangenen währt unsere Liebe in dem Herrn fort.“227 Mit dem Einschluss der Toten änderte sich die Auffassung der Oblationen; waren diese vorher Dankopfer der Gemeindemitglieder gewesen, so wurden sie nun zu Bittopfern, und zwar für die Lebenden, besonders aber für die Toten. Schon bei Tertullian hieß es, der Mann opfere für seine verstorbene Frau an dem Jahrtag ihres Heimgangs, um ihr die ewige Erquickung zuzuwenden und zur Teilnahme an der ersten Auferstehung zu verhelfen.228

      Der Übergang von der „einfältigen Liebe“ der ersten Christen, der Barmherzigkeit um der Armen willen, zur Almosenspende, um die eigene Sündenschuld zu tilgen, wird in der wissenschaftlichen Literatur unterschiedlich beurteilt; dabei schlagen religiöse Vorstellungen der Autoren durch. Für Gerhard Uhlhorn (1826–1901), der protestantischer Abt in Loccum war (seit 1878), setzte bei Cyprian und seiner Schrift ‚Über die guten Werke und Almosen‘ die Verkümmerung der Gemeindearmenpflege ein, eine Entwicklung, die erst die Reformation revidiert habe. Zwar erkennt Uhlhorn an, dass es auch nach Cyprian noch Liebestätigkeit bei den Christen gegeben habe, aber er hält sie im Mittelalter für unlauter.229 Demgegenüber wies der Kirchenrechtler Eberhard F. Bruck (1956) darauf hin, dass der Gedanke der sühnenden Kraft des Almosens in den Evangelien und in den Worten Jesu selbst zum Ausdruck gebracht wurde.230

      Für das Stiftungswesen von besonderem Belang war das Erbrecht. Bei griechischen Kirchenvätern findet sich die Lehre vom ‚Seelteil‘ (psychikon), die später von den lateinischen Vätern Augustinus und Hieronymus übernommen wurde.231 Mitte des 4. Jahrhunderts wies der kappadozische Mönchsvater Basilius der Große das Argument reicher Eltern, die Bewahrung ihres Besitzes sei ihrer Kinder wegen notwendig, mit der Frage zurück: „Ist dir deine Seele nicht näher als jedes deiner Kinder? Ist sie dir nicht näher als alles?“232 Basilius und die anderen Väter, Gregor von Nazianz und Gregor von Nyssa sowie Johannes Chrysostomus, empfahlen einen Anteil des Erbgutes als „Quote für die Seele“, „Quote für Christus“ oder eine „Quote für die Armen“,233 die unterschiedlich bemessen waren. Gregor, Bischof von Nyssa (seit ca. 371), forderte in erster Linie die Teilung der Erbschaft zu gleichen Teilen, da alle, auch die Armen, Brüder einer Familie seien. Von seiner Predigt ‚De pauperum amore‘ (nach 368) sind die Worte überliefert: „Nicht alles ist für euch, sondern ein Teil auch für die Armen, die Lieblinge Gottes. Denn alles gehört Gott, dem gemeinsamen Vater. Wir aber sind Brüder einer Familie. Für Brüder aber ist es am besten und das Gerechteste, sich zu gleichen Teilen in die Erbschaft zu teilen. In zweiter Linie sollen, wenn einer oder der andere (Bruder) sich den größeren Teil zugeeignet hat, die Übrigen (d.h. die Armen) wenigstens den (restlichen) Teil bekommen. Will ein (Bruder) aber geradezu des Ganzen sich bemächtigen und selbst vom dritten oder fünften Teil seine Brüder (d.h. die Armen) verdrängen, so ist ein solcher (…) ein unersättliches Tier, das gierig allein den Fraß verschlingt, oder vielmehr wilder als die wilden Tiere; denn ein Wolf lässt den anderen am Fraß teilnehmen.“234

      Bei Gregor klingt schon die Idee einer Sohnesquote für die Seele oder die Armen an. Diesen Gedanken griff der heilige Hieronymus auf. Im Jahr 406 oder 407 beantwortete er aus Bethlehem die Anfrage einer Aristokratin namens Hedibia, wie eine kinderlose Witwe christlich vollkommen leben könne. Er empfahl, allen Besitz der Kirche zu geben, räumte allerdings einer Witwe mit Kindern Versorgungspflichten gegenüber den Nachkommen ein: „Wenn aber eine Witwe Kinder hat, und besonders, wenn sie aus vornehmer Familie ist, möge sie ihre Söhne nicht in Dürftigkeit zurücklassen, sondern gleichmäßig möge sie sie lieben, und sie möge hierbei zuerst ihre eigene Seele bedenken, und sie möge diese selbst (ihre Seele) als einen ihrer Söhne ansehen, und sie möchte lieber mit ihren Kindern teilen, als alles ihren Söhnen zu hinterlassen; vielmehr möge sie Christus zum Miterben ihrer Kinder machen.“235 Von Hieronymus scheint Augustin die Idee der Sohnesquote übernommen zu haben. In Sermo 86 mahnte er: „Schaffe einen Platz für Christus mit deinen Söhnen; zu deiner Familie soll dein Herr hinzutreten, dein Schöpfer soll zu deiner Nachkommenschaft hinzutreten; es soll hinzutreten zur Zahl deiner Söhne dein Bruder (…) und da er der einzige Sohn des [himmlischen] Vaters ist, hat er gewollt, sie [deine Söhne] zu Miterben zu haben (…). Du hast zwei Söhne, rechne ihn als dritten hinzu: Du hast drei Söhne, er soll als vierter hinzugerechnet werden: Du hast einen fünften Sohn, er werde als der sechste genannt: du hast zehn Söhne, er sei der elfte. Ich will nicht mehr sagen: erhalte den Platz eines deiner Söhne deinem Herrn (…). Du wirst aber einen Anteil geben, den du als den eines Sohnes bestimmt hast, halte dafür, dass du einen mehr gezeugt hast.“236

      Neben dem Sohneskopfteil im Sinne Augustins kommt im westlichen Frühmittelalter auch eine feste Vermögensquote vor, die beispielsweise ein Drittel oder ein Fünftel des Hausgutes als Freiteil für den Hausvater vorsieht. Diese Regelung benachteiligte die Erben im Allgemeinen stärker als die Lösung Augustins. Noch extremer war die aus Kreisen des Mönchtums erhobene Forderung, allen Besitz der Kirche zur Erlangung des Seelenheils


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