Bin kaum da, muss schon fort. Sabine Herold
Читать онлайн книгу.aber noch mehr Angst machte, denn ich fürchtete nun nicht nur, ein Kind zu verlieren, sondern gleich zwei. Ich betete, dass die Kinder bei mir bleiben und ich sie austragen konnte. Doch die Blutungen wurden immer stärker. Ich sollte nur liegen. Das hatte der Arzt schriftlich verordnet.
In der 14. Schwangerschaftswoche verlor ich dann aber das erste Kind. Es kam durch eine Sturzgeburt heraus. Es war mitten in der Nacht, als ich auf die Toilette ging und das Kind auf einmal herausfiel. Ich war schockiert und rief meinen Mann. Das kleine Wesen zappelte in der Toilette. Ich konnte erkennen, dass es ein Mädchen war, was ich mir gewünscht hatte. Wir holten das Kind heraus und hielten es in den Händen. Es zappelte, hätte aber in diesem Alter keine Chance gehabt. Ich rief die Hebamme an und schilderte ihr, was passiert war. Sie sagte, dass man nichts machen könnte. Es würde zu lange dauern, bis der Krankenwagen käme. Das Kind sei zu klein, um zu überleben. Ihm fehlte zu viel. Es war noch nicht ganz ausgebildet. So starb unsere Tochter in unseren Händen. Wir packten sie ein und »entsorgten« sie. Wir wollten sie erst beerdigen, doch mein Mann meinte, dass es nicht so gut sei, weil die Tiere sie in der Nacht vielleicht wieder ausgraben könnten. Die Vorstellung war für ihn unerträglich. Er wollte das Kind als ganzes Wesen in Erinnerung behalten. Wir sind uns in diesem Punkt nie einig geworden. Schließlich akzeptierte ich, das Kind nicht zu beerdigen, obwohl ich es gerne getan hätte, damit ich auch immer wusste: Da ist es jetzt, bzw. da war es.
Nachdem ich das eine Kind verloren hatte, hörten die Wehen auf. Die Gynäkologin stellte fest, dass sich der Muttermund wieder geschlossen hatte. Bis dahin hatte ich gar nicht gewusst, dass es das gibt. Ich hoffte nun weiterhin, dass wenigstens das andere Kind noch bei mir bleiben würde, aber zwei Wochen später verlor ich auch dieses. Es starb im Mutterleib und wurde durch eine Ausschabung geholt.
Alles war so gefühllos und ging ohne Wärme vor sich. Von den Ärzten kam nur: »Das kann jedem passieren.« Erledigt. Ich hatte keine Schwester oder Hebamme, die zum Beispiel gesagt hätte, dass ich mir jemanden suchen sollte, um den Verlust zu verarbeiten.
Zwei Kinder auf einmal zu verlieren war für mich recht schwierig, nachdem ich vorher eines verloren hatte, das ich verlieren wollte.
Ich suchte Hilfe, raste von Ort zu Ort. Ich fand niemanden, mit dem ich über das reden konnte, was mich so plagte. Ich suchte eine andere Frau, die das Gleiche erlebt hatte. Doch ich musste erfahren, dass sich alle in Schweigen hüllten. Ich stieß eher auf Distanziertheit. Niemand wollte darüber sprechen. Das Thema schien tabu zu sein.
Endlich fand ich eine Frau, die mir erzählte, dass sie zum gleichen Zeitpunkt eine Fehlgeburt gehabt hatte. Bei ihr war das Kind von Anfang an zu klein geblieben und nicht richtig gewachsen. Wir konnten uns in unserem Erleben und in unseren Gefühlen gut verstehen, und wenn eine von uns niedergedrückt und depressiv war, versuchte die andere, sie wieder zu ermutigen.
Bei der ersten Fehlgeburt habe ich die Trauer nicht so rausgelassen, weil ich mir innerlich immer bewusst war, dass ich das ja so wollte. Bei den Zwillingen trauerte ich intensiver.
Da meine Mutter zu dieser Zeit im Krankenhaus lag und ein jämmerliches Bild abgab, wie sie so hilflos dalag, war mir erst recht zum Weinen zumute. Ihr Zustand war der fehlende Tropfen, der mein Tränenfass zum Überlaufen brachte und das Ventil öffnete, damit ich wirklich weinen konnte. Mein Mann glaubte, ich würde wegen meiner Mutter weinen, aber letztendlich war es die Trauer um meine Kinder, der ich Ausdruck gab.
Mein Mann verstand mich nicht und konnte auch nicht nachvollziehen, warum ich so traurig war. Es ging bei ihm nicht so tief. Für ihn war der Verlust der Kinder ein Zeichen, dass es einfach nicht sein sollte. »Denk an den Aufwand, wenn es Zwillinge sind. Da ist es besser, dass sie jetzt abgehen.« Ich erwiderte: »Das hätten wir geschafft, wenn wir sie schon bekommen!«
Meine beiden größeren Kinder halfen mir während der Zeit der Trauer, da ich wusste: Hier ist meine Aufgabe!
Nach dem Verlust der Zwillinge konnte ich am Anfang nicht mehr beten. Ich hatte innerlich immer das Gefühl: Gott hat mir die beiden auch genommen, weil ich ihn ja darum gebeten hatte, dass er mir das Kind davor nimmt. Ich zweifelte daran, dass Gott gerecht ist und dass er richtig macht, was er macht.
Inzwischen habe ich die Fehlgeburten verarbeitet, aber ich denke noch immer an die Kinder, auch an den Moment, als sie starben. Es ist so ein furchtbares Gefühl, wenn ich mich daran erinnere, wie mein Kind ins WC fiel und wie ich das kleine Wesen von ein paar Zentimetern sah und wusste, dass ich nicht helfen konnte. Ich stand ohnmächtig daneben.
Inzwischen ist Zeit verstrichen, und wenn ich das Erlebte heute betrachte, kann ich sagen: In unserer jetzigen Situation würde ich es mit drei Kindern mehr oder mit Zwillingen menschlich gesehen nicht schaffen. Die Aufgabe wäre zu groß.
Es stimmt schon, dass die Zeit Wunden heilt und dass ich mittlerweile auch besser darüber reden kann.
Ich bin allerdings inzwischen sehr vorsichtig geworden, wem ich von meinen Fehlgeburten erzähle. Ich frage zuerst, wie es der anderen geht, wie sie es erlebt hat und ob sie darüber reden will, statt dass ich alles von mir erzähle und dann kommt nichts zurück. Ich merke, dass das Thema bei vielen ein Tabu ist, da man sehr verletzlich ist oder auch schnell verletzen kann.
Anonym
Für immer in meinem Herzen!
Im Oktober 2003 entschlossen wir uns, uns noch einmal auf das Abenteuer Schwangerschaft, Geburt und ein drittes Kind einzulassen. Bis dahin hatten wir bereits zwei gesunde, muntere und liebe Buben. Wir hatten uns nie Gedanken darüber gemacht, wie viele Kinder wir einmal wollten, hatten uns aber stets mehrere Kinder vorgestellt. Der Zeitpunkt im Oktober 2003 schien uns günstig. Die Jungs waren jetzt zwei und fünf, und einen zu großen Abstand zwischen dem zweiten und dritten Kind wollten wir nicht unbedingt. Nun waren wir sehr gespannt, das heißt vor allem ich. Die Erinnerung an die zweite Schwangerschaft war mir nämlich noch ziemlich präsent. Damals war ich ein ganzes Jahr lang nicht schwanger geworden. Deshalb schwang bei unserem Entschluss, noch einmal ein Kind zu bekommen, auch ein bisschen Angst mit. Vielleicht musste ich mich ja noch einmal auf eine längere Wartezeit gefasst machen. Vielleicht würden wir auch gar kein Kind mehr bekommen. Wer wusste das schon. Ich war also so ziemlich auf alles gefasst. Nur nicht auf Folgendes:
Ich wurde nämlich prompt schwanger! Kein Warten, Bangen und Hoffen! So schnell war ich noch nie schwanger geworden! Für mich war das eine absolute Überraschung, eine überaus positive Erfahrung, und ich war total glücklich und selig! Wie dankbar war ich auch Gott gegenüber! Er meinte es so gut mit mir! Er beschenkte mich und unsere Familie auf ganz wunderbare Weise. Von da an war jeder Tag viel leichter und beschwingter. Ich erlebte Gott sehr intensiv und fühlte mich ihm so nahe wie schon lange nicht mehr. Jeden Tag musste ich an unser Kind unter meinem Herzen denken, schmiedete Pläne und stellte mir vor, wie es dann im nächsten Sommer sein würde. Ich überlegte mir, wie und wann wir unsere Buben über den Familienzuwachs informieren wollten, dachte mir schon Namen und Paten aus. Es ging sehr viel in meinem Kopf und Herzen vor.
Umso schmerzlicher war dann der Tag, an dem ich dieses Kind wieder hergeben musste. Ich kann mich sehr gut an diesen Tag erinnern. So etwas brennt sich ein in Herz und Seele. Am Tag vor dem ersten Advent hatte ich mehr Ausfluss als gewöhnlich. Das beunruhigte mich schon ein bisschen. Am Abend entdeckte ich dann plötzlich Blut. Für mich brach eine Welt zusammen. Ich wusste sofort, was dies zu bedeuten hatte. Typischerweise war auch noch Wochenende. Meinen Arzt konnte ich unmöglich erreichen. So rief ich meine Schwägerin an, die Gynäkologin ist. Sie erklärte mir ziemlich kühl und sachlich, dass ich dieses Kind mit größter Wahrscheinlichkeit verlieren würde. Ich machte mir selbst auch nichts vor. Ich spürte innerlich, dass es so kommen würde. Trotzdem hätte ich mir von meiner Schwägerin ein bisschen Hoffnung gewünscht – irgendeinen Strohhalm, an den ich mich hätte klammern können. Noch war ja nichts Schlimmes passiert. Bloß ein bisschen Blut, wenn ich aufs WC musste.
Die nächsten 24 Stunden verbrachte ich ausschließlich zu Hause im Bett. Am Sonntagmorgen rief ich dann in meiner Verzweiflung eine Hebamme an. Diese Frau war sehr mitfühlend und warmherzig. Ihre Anweisung war Bettruhe. Es könne in einer Schwangerschaft mal bluten, das habe noch nichts zu bedeuten. Im Verlauf des Sonntags