Der Penis-Komplex. Gerhard Staguhn

Читать онлайн книгу.

Der Penis-Komplex - Gerhard Staguhn


Скачать книгу
Zensieren. Das heißt, man muss erst mal herausfinden, wo die eigene Schamgrenze, dieses zensierende Geistgebilde aus Selbstschutz und Verklemmtheit, verläuft – und wo die mutmaßlichen Schamgrenzen der mutmaßlichen Leserinnen und Leser verlaufen könnten, wohlwissend, dass jeder Mensch seine ganz persönliche, mehr oder weniger flexible Schamgrenze hat, entsprechend seiner einmaligen Sexualität.

      So richtig offenbart sich dieses Problem aber erst in dem Moment, da man als Autor meint, beim Thema ›Penis‹ sich selbst – inklusive Geschlechtsteil – ins Spiel bringen zu müssen. Das weckt verständlicherweise den Verdacht einer exhibitionistischen Neigung des Autors. Mit diesem Verdacht lässt es sich freilich in einer Gesellschaft, die ausgiebig dem Exhibitionismus (und Voyeurismus) frönt, sehr gut leben.

      Mich und meinen Penis aus dem Spiel zu lassen, hätte in mir das ungute Gefühl erzeugt, mich schreibend aus dem Staub zu machen, mehr noch: mich schreibend zu kastrieren. Denn eine trockene akademische Studie zu verfassen, etwa unter dem Titel »Penis und Patriarchat unter besonderer Berücksichtigung von diesem und jenem« erschien mir alles andere als verlockend. Ich hätte mich beim Schreiben gelangweilt; und das ist wohl die schlechteste Voraussetzung für ein Buch, das kurzweilig sein will.

      Zugegeben, der Penis des Autors ist so interessant nun auch wieder nicht. Er ist nur dann von Interesse, wenn die literarische Beschäftigung mit ihm das eine oder andere zum allgemeinen Erkenntnisgewinn beiträgt. Das ist nur dann der Fall, wenn sehr persönliche sexuelle Erfahrungen auf eine analytisch erzählende, bei Gelegenheit auch ironische oder komische Weise vermittelt werden. Das eröffnet dem Leser die Möglichkeit, sich im Erzählten wiederzuerkennen, ohne über sich selbst (und den Autor) bestürzt zu sein. Leser und Autor werden so zu Verbündeten.

      An diesem Punkt meldete sich, bei allem Autorenmut, dennoch meine innere Schamgrenzen-Stimme und forderte eindringlich eine angemessene zeitliche Distanz zum literarisch entblößten Autoren-Penis. Angemessen, so ließ die Stimme verlauten, seien fünfzig Jahre. Das ist fürwahr eine lange Zeit. Und so erwies sich mein fortgeschrittenes Alter ein weiteres Mal als ein Vorteil: Ich würde mich und meinen Penis, der eigenen Schamgrenze zuliebe, nur im Hinblick auf Kindheit und Pubertät dem gnadenlosen Licht der Öffentlichkeit preisgeben. Die geschilderten intimen Erlebnisse würden in gewisser Weise verjährt sein. Sie hätten nur noch ganz entfernt mit mir, dem alten Mann von heute, zu tun. Ihre obszönen Peinlichkeiten wären über die Distanz eines halben Jahrhunderts hinweg nicht mehr in der Lage, mich in meinem jetzigen Dasein zu desavouieren; sie wären mit einer schützenden Patina aus Komik und Ironie literarisch derart veredelt, dass sie auch für andere genießbar sein sollten als aufrichtige Beispiele des Menschlich-Allzumenschlichen auf dem Feld der kindlichen und pubertären Sexualität. Das ist zumindest meine (vielleicht naive) Hoffnung.

      Ziemlich überrascht war ich allerdings über das den Buchmarkt betreffende Faktum, dass es bis dato (außer einigen gut gemeinten und auch recht gut gemachten Aufklärungsbüchern für die pubertierende Jugend, dem einen oder anderen urologischen Ratgeber, und gleich mehreren Werken, die sich mit dem unverwüstlichen, wahrscheinlich seit dem Neolithikum die Männerseele bedrängenden Thema ›Penisverlängerung‹ befassen) kein einziges Werk gibt, das den Penis nicht nur als männliches Geschlechtsteil, sondern vor allem als ambivalentes Symbol der patriarchalischen Ordnung aus möglichst vielen Perspektiven zu beleuchten und zu verstehen versucht. Wenn man so will, dann ist die vorliegende Arbeit – bei aller gebotenen Bescheidenheit! – der erste Versuch einer umfassenden Monografie über das angeblich beste Stück des Mannes. So liefert dieses Buch endlich den Beweis, dass der Penis nicht nur aus biologischer oder medizinisch-hygienischer, sondern viel mehr noch aus kulturgeschichtlicher, soziologischer, psychologischer und nicht zuletzt persönlicher Sicht von einigem theoretischen Interesse ist, ganz abgesehen von seinem allseits bekannten praktischen Nutzen.

      Neben der von mir unterstellten schriftstellerischen Berührungsangst gegenüber dem Thema ›Penis‹ gibt es vielleicht noch einen weiteren Grund für die bisherige Zurückhaltung von Autoren und Verlegern ihm gegenüber: Man traut dem Penis nicht zu, gleich ein ganzes, womöglich sogar kurzweiliges Buch zu füllen. Oder mit den Worten meiner 83-jährigen Schwiegermutter beim Anblick des fertigen Manuskripts: »Wie kann man nur so viel schreiben« – Pause – »über so ein winziges Ding!«

      Mal davon abgesehen, dass dieses ›Ding‹, zumal im erigierten Zustand, so winzig nun auch wieder nicht ist – als Thema ist es alles andere als winzig. An ihm lässt sich buchstäblich die ganze, bei Adam und Eva beginnende Geschichte des Patriarchats aufhängen, einschließlich seines schleichenden Niedergangs, der notgedrungen auch ein Niedergang des Penis ist – mitsamt dem Mann, der dranhängt.

      Und mit der Nennung von Adam und Eva sind wir auch schon im ersten Kapitel.

      Erstes Kapitel

      Die biblische Penis-Genese

      Mit der Genesis, dem Ersten Buch Mose, wird die Bibel eröffnet. Sie beginnt mit der Erschaffung der Welt durch Gott, für die er sechs Tage benötigt. Danach ist der Schöpfer erschöpft und gönnt sich am siebten Tag Ruhe. Die meiste Kraft, so scheint es, raubt ihm die Erschaffung des Menschen; sie will nicht so recht gelingen. Das Problem liegt wohl darin, dass Gott meint, den Menschen nach seinem Bilde gestalten zu müssen. Zumindest äußerlich soll der Mensch ein Ebenbild der göttlichen Vollkommenheit sein. Er soll aussehen wie Gott. Aber er darf nicht sein wie Gott – ein paradoxes Unterfangen, das selbst Gott zu überfordern scheint.

      Diese Paradoxie der Ebenbildlichkeit von Gott und Mensch ist freilich keine biblische Erfindung, sondern bereits in der archaischen und später der klassischen Kunst der Griechen vorgegeben. Das menschliche Abbild verkörpert auch dort das göttliche Urbild: Der Mensch ist nach göttlichem Maß gebildet. Die Gottheit ist im Menschenbild gegenwärtig.

      Bis zur Erschaffung des Menschen hätte Gottes Weltschöpfung nicht besser funktionieren können; das geht wie am Schnürchen. Was sein soll, muss von Gott nur benannt werden, und schon ist es da. Im doppelten Sinne des Wortes drückt Gott die Welt aus: sprachlich und materiell. Er drückt die Welt buchstäblich aus sich heraus, Er gebiert sie durch die Hebammenkraft seines sprechenden Geists, durch das Wort. Dass das Göttliche sich im Wort offenbart, ist das ursprüngliche Ereignis des biblischen Schöpfungsmythos. Aus Geist wird Materie.

      Der sprechende Geist Gottes wird im Hebräischen ruach genannt: ein lautmalerisches feminines Substantiv. Der Geist Gottes ist weiblich. Gott gebiert die Welt wie eine Göttin. Er ist eigentlich eine Sie.

      Allein bei der Erschaffung des Menschen verlässt sich Gott nicht auf die Allmacht seines weiblichen Schöpfergeists. Er gebraucht dazu die Hände. Ganz profan und sehr männlich, in der Art eines Bildhauers, formt Gott den Menschen aus einem Erdenkloß, nicht anders als Prometheus im griechischen Mythos. Hier zeigt sich Gott nicht mehr weiblich gebärend, sondern männlich fabrizierend. Das gibt zu denken. Fast möchte man meinen, der Mensch sei es nicht wert, vom weiblichen ›Geist Gottes‹, allein durch das schöpferische Wort, in die Welt ›ausgedrückt‹ zu werden. Selbst den Tieren wurde diese Ehre zuteil. Wie zum Hohn wird der Mensch dagegen aus dem wertlosen Staub auf dem Acker gemacht. Acker/Staub heißt im Hebräischen Adama. Und so ist Adam ursprünglich kein Eigenname, sondern das von Adama sich ableitende Wort für Mensch. Adam ist der von Gottes Hand aus Adama Gemachte: der Acker- und Staub-Mensch.

      Wenn’s denn so einfach wäre! Tatsächlich wird die Erschaffung des Menschen in der Bibel gleich zweimal erzählt, und zwar auf vollkommen unterschiedliche Weise. Das macht die Sache kompliziert. Im ersten Kapitel der Genesis, Vers 26, heißt es: »Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei […]« Wohlgemerkt: gleich und nicht nur ähnlich! Demnach schuf Gott kraft seines weiblichen Geists auch den Menschen zuerst durch das Wort, wenngleich er, anders als bei den vorangegangenen Schöpfungsakten, hier nicht explizit die Schöpfungsformel »Es werde …« ausspricht.

      Nicht ein einzelner Mensch soll gemacht werden, sondern derer zwei: ein Mann und eine Frau, wie weiter zu lesen ist: »Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn: und schuf sie, einen Mann und ein Weib. Und Gott segnete


Скачать книгу