Der Penis-Komplex. Gerhard Staguhn

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Der Penis-Komplex - Gerhard Staguhn


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Als starke, eigensinnige und eigenständige ›Urfrau und Urmutter‹ entstammte sie den altorientalischen Matriarchaten und fand, als gleichwertige Partnerin Adams, Eingang in die erste Schöpfungsgeschichte. Lilith war zu sehr sie selbst, als dass sie sich Adam unterworfen hätte, wie es die patriarchalische Bibel von der Frau verlangt. Sie legte Wert darauf, Adam auf gleicher Augenhöhe zu begegnen. Schließlich war sie von Gott auf die gleiche Art wie Adam erschaffen worden. »Bist doch nur meinesgleichen, beide sind wir von der Erde genommen«, wird sie Adam im Streit entgegenschleudern. Lilith fordert im Sexuellen – und auch sonst – die Gleichheit ein, jene vollkommene Gleichheit der Geschlechter, wie sie von der weiblich-männlichen Gottheit des Matriarchats repräsentiert wurde.

      Die widerspenstige Lilith wird, wie zur Strafe, von den patriarchalisch geprägten Bibelautoren klammheimlich in die jüdische Sagenwelt verbannt, um in der Bibel, und bei den Lesern derselben, keinen Glaubensschaden anzurichten. Zum bösen weiblichen Dämon umgedeutet, verkörpert sie fortan die dunkle, rätselhafte, dem Mann Angst einflößende Seite der Frau. In der Kabbala, der jüdischen Mystik, genießt Lilith immerhin eine Art von negativer Verehrung als ›Königin des Bösen‹‹, als die sie im jüdischen Volksglauben bis heute ihr düsteres Dasein fristet. Mit Adam hatte Lilith immer nur Streit, bis sie ihn verließ und »davonflog in die Lüfte«. Nur einmal, so erzählt die Sage, kehrte Lilith zu Adam zurück: während jener 130 Jahre nach dem Sündenfall, in denen sich Adam seiner zweiten Frau Eva sexuell verweigert hat. Mit ihrem Unterleib aus »eitel Feuer und Flamme« suchte ihn Lilith eines Nachts heim, legte sich zu ihm »und gebar von ihm Teufel, Geister und Dämonen ohne Zahl. Wen diese befielen, der wurde geplagt und getötet«. (Die Sagen der Juden, S. 86)

      Aus all dem ergibt sich eine bedeutende Diskrepanz zwischen Mann und Frau hinsichtlich unserer biblischen Stammeltern: Der Mann wird allein durch Adam verkörpert, die Frau durch Eva und Lilith zugleich.

       Eva, die Adamsfrau

      Gott zieht also die Lehre aus dem Desaster mit Adams erster Frau und formt die zweite aus Adams Rippe. Aber wieso aus einer Rippe?, so fragt man sich. Vielleicht, weil Adam auf eine Rippe gut verzichten kann, wo er doch zwölf Paar davon hat. Da kommt es auf eine mehr oder weniger nicht an. In den alten jüdischen Sagen finden wir den Hinweis, dass Gott überlegte, welches »Glied« des Adam er nehmen sollte. Wichtig war ihm, die Frau aus einem »keuschen Glied« zu bauen, »aus einem Glied, das auch zur Stunde, da der Mensch nackend dasteht, zugedeckt ist«. Und weiter ist zu lesen: »Und bei jedem Glied, das der Herr dem Weibe formte, sprach er zu ihr: Sei ein frommes Weib, sei ein züchtiges Weib!« (Die Sagen der Juden, S. 68) Was er damit sagen will, und der werdenden Eva buchstäblich einbläut, ist klar: Sei bloß nicht wie Lilith!

      (An dieser Stelle sei gefragt, wieso Gott auf den Gedanken verfällt, der Gefährtin Adams, von der er Zucht und Frömmigkeit erwartet, ein so reizintensives, ausschließlich der weiblichen Lust dienendes Glied wie die Klitoris, dieses Unikum der menschlichen Anatomie, zum Geschenk zu machen. Im Sinne des Patriarchats hätte es ausgereicht, wenn der patriarchalische Gott die Frau mit einer weitgehend gefühllosen Geschlechtsöffnung ausgestattet hätte, mit jenem ›Loch der Löcher‹, von dem so mancher Mann gern ein wenig abschätzig spricht. Die um die Klitoris zentrierte Lust der Frau ist noch heute in 28 Ländern Afrikas, des Nahen Ostens und Südostasiens mit ihren neurotisch-patriarchalischen Gesellschaften ein Grund, den heranwachsenden Mädchen die Klitorisspitze – nicht selten mitsamt den Schamlippen – abzuschneiden, wobei ein Viertel der Mädchen an den unmittelbaren oder langfristigen Folgen des Eingriffs stirbt.)

      Bleibt weiterhin die Frage: Wieso die Rippe?

      In menschlichen Träumen ist es zuweilen so, dass mit dem konkreten Trauminhalt nur vertuscht werden soll, was uns der Traum eigentlich sagen will. Das kann so weit gehen, dass der Traum das genaue Gegenteil von dem erzählt, was er tatsächlich meint; er zensiert sich selber auf Weisung des Über-Ichs. Oft ist es die tabuisierte Sexualität, die in vermeintlich asexuellen Traumszenen verhandelt wird. Wenn die Genesis, wie alle großen Mythen, ein tiefgründiger Menschheitstraum ist, so spricht einiges dafür, dass mit dem »keuschen Glied« Adams (= Rippe), aus dem Eva gebaut wird, das genaue Gegenteil gemeint ist: Adams ›unkeusches Glied‹, soll heißen: sein Penis. Allein schon durch ihre phallische Gestalt eignet sich die Rippe in idealer Weise als Symbol für das männliche Glied. Die Rippe Adams stünde demnach für seinen vom mythischen Über-Ich zensierten Penis.

      Hätte Gott dem Adam anstelle der Rippe sein bestes Stück entfernt, um daraus die Eva zu bauen, dann bräuchte der penislose Adam logischerweise keine Eva mehr. Dieser Widerspruch ließe sich auf die triviale Weise lösen: Adam hatte ursprünglich zwei Penisse. So abwegig wäre das nicht, wie wir im nächsten Kapitel am Beispiel der Spinnenmännchen sehen werden, bei denen einige Arten tatsächlich zwei Penisse besitzen. Aus einem der beiden Penisse Adams hätte Gott die Eva gebaut. Doch diese Konstruktion wäre weder elegant, noch überzeugend, eben weil wir Männer keine Spinnenmännchen sind.

      Wie lösen wir das Problem? Nun, wir lösen es auf elegante und überzeugende Weise: Gott nahm von Adam nicht die Rippe, er nahm auch nicht den Penis, und schon gar nicht einen von ursprünglich zweien, sondern er nahm vom Penis nur den Knochen. Und mit einem Schlag ist die zweite biblische Geschichte von der Menschenerschaffung in sich logisch: Uns Männern fehlt keine Rippe, uns fehlt der Penisknochen!

      Diese aufs Erste ziemlich gewagt anmutende These wird von der biologischen Evolution eindrucksvoll bestätigt: Alle Primaten, ausgenommen Homo sapiens, besitzen einen Penisknochen. Man findet ihn auch bei Hunden, Katzen, Bären, und anderen Säugetierarten. Unsere Hypothese ist auf einmal nicht mehr gewagt, sondern geradezu nahe liegend. Mit ihr bringen wir die archaische Genesis in Übereinstimmung mit der modernen Evolutionsbiologie. Letztere teilt uns mit, dass der so genannte Schwellkörper im menschlichen Penis nichts anderes ist als der weiche Überrest des einstigen Penisknochens. Oder umgekehrt: Der Penisknochen war die ursprüngliche knöchrige Form des heutigen Penis-Schwellkörpers.

      Was die bedauernswerte Eva betrifft, so stellt ihre Erschaffung aus Adams Penisknochen von allen Varianten patriarchalischer Frauenerschaffungs-Mythen zweifellos die patriarchalischste dar. Den Bibelautoren wäre sie gewiss die liebste Variante gewesen. Doch in einem heiligen Buch spricht man nicht offen vom Penis, diesem ›unkeuschen Glied‹, schon gar nicht im Zusammenhang mit Gott. Und so behalf man sich mit der »keuschen«, aber immerhin phallisch geformten Rippe, um die Abstammung der Frau vom Mann mythologisch zu begründen.

      Dass Adam, als er aus der Narkose erwacht, in die ihn Gott zum Zweck der Penisknochenentnahme versetzt hat, von seiner zweiten Frau begeistert ist, versteht sich, nach dem Debakel mit Lilith, von selbst. Freudig ruft er aus: »Das ist doch Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch; man wird sie Männin [hebräisch Ischa] heißen, darum dass sie vom Manne [hebräisch Isch] genommen ist.« (Genesis, Kap. 2, Vers 23) Hier kommt ein unterschwelliges Inzest-Motiv zum Tragen: Adam wird mit seinem eigenen »Bein und Fleisch« Sex haben.

      Die »Männin«, die bezeichnenderweise erst nach dem Sündenfall den Namen Eva (›Leben Schenkende‹) verliehen bekommt – und zwar von Adam, nicht von Gott! –, hat mit dem Penisknochen, aus dem sie gemacht ist, das Patriarchat, das in vielem ein ›Penisarchat‹ ist, buchstäblich verinnerlicht. »In einer männerrechtlichen Gesellschaft«, so schreibt der Sexualforscher Ernest Borneman (1915 – 1995), »orientiert sich die Frau an dem Mann und lernt seine sexuellen Attribute auch im eigenen Geschlecht zu schätzen.« Deshalb müssen wir uns die »Männin« als eine sehr männliche (phallische) Frau vorstellen.

      Nun kann nichts mehr schiefgehen, denkt Adam. An die Stelle Liliths, einer selbstbewussten Frau, tritt eine »Männin«, eine Halbfrau: Adams weiblicher Abklatsch. Die vertuschende Art, mit der später der Sündenfall erzählt wird, legt den Verdacht nahe, dass auch hier eine latente Homosexualität im Spiel ist, wie wir sie im Verhältnis zwischen Gott und Adam zu spüren meinten. Was, von Satan eingefädelt, unter dem Baum der Erkenntnis geschieht, ist eh klar: Adam »erkennt« seine »Männin«, er »geht in sie ein«, soll heißen, er hat Sex mit ihr. Wenn ein Mann mit einer »Männin«, also einem Mann mit weiblichen Attributen, sexuell verkehrt, dann kann eigentlich nur ein Akt gemeint sein, bei dem die Vagina keine Rolle spielt.


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