Chef, wir müssen reden. Der Traum vom Ausstieg auf Zeit. Alexander Reeh

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Chef, wir müssen reden. Der Traum vom Ausstieg auf Zeit - Alexander Reeh


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Hussein, einem weiteren Begleiter und zwei Jungen auf den zweithöchsten Berg des Sinai, den Abas Basha, 2.386m hoch. Drei Stunden brauchen wir für den Aufstieg mit großem Gepäck, wir verbringen die Nacht dort. Oben befinden sich die Reste eines Palastes, und ich staune über das einzigartige Panorama. Bergkette reiht sich an Bergkette, ein Blick bis zum Golf von Aqaba, das Ganze im Licht von Sonne und Mond, die sich noch in gleicher Höhe gegenüberstehen, als würde sie ihre Kräfte messen. Dann geht die Sonne unter, warm und weich, und überlässt es dem Mond, unsere Suche nach einem guten Schlafplatz zu begleiten.

      Die Nacht hier oben ist kalt, und ich bin froh, einen guten Schlafsack zu haben, dessen Kapuze ich zuziehe und nur einen Spalt für die Nase offen lasse. Die Beduinen verschwinden unter einem Wust von Decken – man kann nicht sehen, wo Kopf oder Fuß ist.

      Aber um 4 Uhr hält mich nichts mehr im Schlafsack, die Bergwelt beginnt schon sich zu verändern, und ich will dabei sein, mit allen Sinnen. Ich sehe gegenüber den Mosesberg, der ein wenig niedriger ist als unserer, und ich sehe sich bewegende Lichter. Erst denke ich an Sternschnuppen, aber schnell fällt mir ein, dass Hunderte von Touristen im Morgengrauen diesen Berg besteigen, um den Sonnenaufgang zu bestaunen: Ich sehe die Blitzlichter ihrer Kameras!

      Ich freue mich über meinen Luxusplatz, und zwei Stunden später hat die Sonne alles wieder in die Wirklichkeit geholt. Ein eindrucksvolles Erlebnis in der Stille der Bergwelt. Ganz viel Dankbarkeit erfüllt mich.

      Seit Samstag der ersten Woche bin ich allein in meinem Garten. Morgens kommt der kleine Hussein, bringt frisches Brot und fragt, ob ich mittags oder abends etwas essen möchte, ob wir zusammen essen wollen, Ursula und ich? Alles ist möglich und es bleibt auch Zeit für alles.

      Ich fühle mich wohl allein im Garten. Jetzt kommt kein Besucher mehr. Als Mohamed noch da war, konnte es vorkommen, dass nachts noch jemand im Garten übernachtet hat, der auf dem Weg in die Berge nicht mehr weiter konnte, sich dann eben einfach bei uns ein Schlafplätzchen suchte. Jetzt passiert das auch nicht mehr. Mein Wunsch nach Alleinsein wird respektiert.

      In einer der ersten Nächte allein bekomme ich allerdings richtig Angst. Ich höre Schritte in der Nähe meines Schlafplatzes! Ich gerate ein wenig in Panik, bekomme Herzklopfen und … schlafe wieder ein. Die Geräusche wiederholen sich in der folgenden Nacht, und als ich mich traue, richtig hin zu hören, merke ich, dass es ein wilder Esel ist, der den Platz hinter der Mauer regelmäßig aufsucht. Er hätte sicher auch Herzklopfen bekommen, wenn ich plötzlich ein Geräusch gemacht hätte.

      Mit dem kleinen Hussein machen Ursula und ich zwei gemeinsame Wanderungen, die sehr schön sind. Sie führen uns durch Gebiete, die wir alleine nicht hätten erforschen können. Einmal besuchen wir einen kleinen Garten, bei dem es einen Swimmingpool gibt – unglaublich – aber unter zwei Palmen ist ein kleines Becken, und wir können schwimmen. Das Wasser ist herrlich, und wir bekommen sogar einen Tee an den Beckenrand serviert! In einer Felsnische sitzt ein Beduine, der auf das Becken aufpasst. Hussein unterhält sich mit ihm, solange wir schwimmen. Später sehen wir, dass der Besitzer des Pools ein Handy hat: Man muss auf eine wackelige Öltonne steigen und dann höher auf einen alten Kanister und da hängt im Baum fixiert mit Schnüren ein Handy, welches nur an dieser Stelle Empfang hat. Mein iPhone hat dort keinen Empfang, aber der Beduine würde mit mir tauschen – mein iPhone gegen seinen Garten! Ich hatte ihm die Funktionen vorher erklärt.

      Beim zweiten Ausflug zeigt uns Hussein, wo er geboren ist. Wieder ein Stück die Berge hoch, und dann sind Ruinen von Häusern erkennbar. In seinem Haus gibt es noch einen Raum, der bewohnbar ist, und hier kocht er uns Tee, wie es hier üblich ist: in einer alten Konservendose, die findet man am Wegesrand. Wir verschlafen die Mittagshitze im Schatten des Raumes, genießen die grandiose Aussicht und haben einen wunderschönen Abstieg. Ich fühle mich sehr reich beschenkt von diesen Menschen und ihrer Großzügigkeit, uns die schönsten Plätze mit größter Selbstverständlichkeit zu zeigen.

      In meinem Garten gibt es einen Platz, der ab 16.30 Uhr im Schatten liegt und der Aussicht über das ganze Tal bietet – mit Blick auf den höchsten Berg: Gabel St. Katrin mit 2.600m. Hier sitze ich oft und gern. Manchmal reitet jemand auf einem Kamel vorbei – das Kamel in der Farbe des Granits, das Gepäck bunt und vielfältig. Einen Reiter kenne ich schon, er kommt jeden Tag vorbei, er ist jung und hat einen Radiorekorder am Kamel hängen, aus dem laute arabische Musik tönt. Hier ist alles möglich!

      Am vorletzten Tag steigen wir wieder hinunter ins Dorf, und ich mache mit Ursula noch einen »Stadtbummel«. In einer kleinen Bar, in der natürlich nur Männer sitzen, bestellen wir einen Kaffee und erhalten den besten der Welt: Er ist mit Kardamom gewürzt, stark und süß! Die Frage nach Zucker – »Sukaran?« – können wir schon auf Arabisch mit »schweija« (wenig) beantworten. Einfach herrlich!

      Am anderen Morgen habe ich noch Zeit, alleine das Katharinenkloster zu besichtigen, und als ich dort im Schatten sitze und sehe, wie die Busse Reisegruppen aus Russland ausspucken, denke ich intensiv über ein Verschleierungs-Gebot für Touristen nach!

      Es war eine wunderbare Reise, diese meine Reise, ich hatte Zeit, den Granitfelsen zuzuschauen und zuzuhören, sie erzählen Geschichten – erstaunlich oft solche mit biblischen Inhalten. Ich habe die leckersten Maulbeeren gegessen, die aromatischten Aprikosen. Alleinsein in Stille ist etwas, das süchtig machen kann – aber auch der offene Austausch mit Menschen, die mir begegneten, war großartig. Kulturen müssen sich bereichern – wir sollten uns nicht erzählen lassen, dass sie sich bekämpfen müssen.

      Eine Szene in meinem Schlafsack mit Moskitonetz: Die Mücken schwirren um mich herum, keine 10 cm von mir entfernt – sie surren laut und wollen mein Blut, aber es berührt mich nicht. Ich bin in völliger Sicherheit, ich ruhe in mir selbst. Das will ich mitnehmen in meinen Alltag, dieses Gefühl, diese Ruhe den Stürmen des Lebens gegenüber – Raha fil bal – Ruhe im Gemüt.

       Antonie Dauben-Frings

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