Schule aus, Neuseeland ruft. Philip Raillon

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Schule aus, Neuseeland ruft - Philip Raillon


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sollen hier neuseelandweit mit am besten zu sehen sein. Der Grund: Die wenigen Ortschaften und Städte dieser Region können kaum Licht in die Atmosphäre strahlen. Daher sind auch alle Straßenlaternen des Ortes Tekapo nach oben hin abgedunkelt, damit auch die Arbeit des sich auf dem Mount John befindenden Observatoriums nicht beeinträchtigt wird. Strahlender Sonnenschein weckt uns am nächsten Morgen, so dass wir gut gelaunt mit Blick auf den tiefblauen See frühstücken. Die zweistündige und steile Wanderung auf den Mount John sparen wir uns – stattdessen fahren wir lieber hinauf. Die Straße geht allerdings nicht weniger bergauf und ist für unseren Wagen eine harte Prüfung. Vorher fahren wir aber noch zu der kleinen Kapelle, der „Church of the Good Shepherd“, direkt am See: Eines der bekanntesten Postkartenmotive Neuseelands ist tatsächlich so malerisch schön, wie oft abgedruckt. Das kleine Häuschen liegt am Ufer, dahinter erstrecken sich der See und die alpinen Berge. Betritt man die Kapelle, schaut man über den Altar mit einem kleinen Kreuz darauf auf den See. Einen solchen Ort mal für eine halbe Stunde ohne all die Touristen zu erleben, wäre ein unglaublicher Moment, der uns aber, wie erwartet, verwehrt bleibt.

      Mit nur 14 km/​h bringt uns der Van schließlich den Mount John hinauf. Oben überprüfen wir sicherheitshalber nochmals das Kühlwasser, denn das verlieren wir überraschend schnell. Vom Gipfel des Berges aus bietet sich zwischen den wissenschaftlichen Gebäuden der Canterbury Universität ein toller Blick über den Lake Tekapo. Die blaue Farbe ist absolut faszinierend – wenn nun das Gras noch saftig grün wäre und etwas weniger Touristen hier wären. Aber es soll ja jeder etwas von diesem Naturschauspiel mit Blick auf die schneebedeckten Gipfel der Southern Alps haben.

      Die „Church of the Good Shepherd“ liegt direkt am Ufer des Lake Tekapo

      Keine Wasserfarbe, keine Fotomontage – einfach Gletscherwasser

      Der nächste Halt ist der nächste See: Der Lake Pukaki ist größer, türkiser und irgendwie noch beeindruckender. Spätestens hier ist die Farbe so unnatürlich, dass ich mir sicher bin, irgendwer hat einen großen Eimer Wasserfarbe dazu gekippt. Hat zwar niemand, ganz natürlich sind die Seen trotzdem nicht: Manche wurden komplett aufgestaut, andere sind nur als bestehende Seen für die Energiegewinnung mit Staumauern vergrößert worden. Am großen Parkplatz, direkt am Lake Pukaki, kann man teuren Lachs kaufen oder campen – geht wohl beides. Wir machen allerdings nur Pause und fahren dann weiter entlang des Sees zum Mount Cook Village. Der Aoraki/​Mount Cook selbst, der höchste Berg Neuseelands, zeigt sich uns zunächst nicht, weil er in Wolken eingehüllt ist. Eigentlich war die Idee gewesen, eine zweistündige Wanderung zu einem Aussichtspunkt zu machen, die unser Reiseführer beschreibt. Als wir dann den Wagen parken, fällt uns auf, dass wir schon einen Großteil der Wanderung gefahren sind. Also bleibt ein zwanzigminütiger Gang zum Kea Point. Am Ende des Weges geht es senkrecht hinunter mit Blick in die Moräne des Mueller Glacier. Man sieht nicht nur eine riesige Geröllwand auf der anderen Seite, sondern auch Wasseransammlungen, die wie kleine Teiche in unterschiedlichen Blautönen wirken – all das ist Schmelzwasser des weitestgehend verschwundenen Gletschers. Dafür ragen oberhalb die Eismassen des Huddleston Glacier heraus. Erst als wir zurück am Wagen sind, lassen die Wolken den Gipfel des Aoraki/​Mount Cook doch noch frei, und wir haben den gesamten Abend einen Blick auf den majestätischen Berg. Der Aoraki/​Mount Cook National Park ist ein echter Touristenmagnet. In dem über 700 Quadratkilometer großen Nationalpark stehen neben dem namensgebenden Gipfel noch 21 weitere Dreitausender. Der Aoraki/​Mount Cook ist mit 3724 Metern der höchste Berg des Nationalparks und des gesamten Landes. Allerdings schrumpfte er während unseres Aufenthalts um dreißig Meter: Eine Expedition der University of Otago hatte im November 2013 den Berg neu und erstmalig in jüngerer Zeit vom Boden aus vermessen. Anstatt 3754 Meter ist der Aoraki/​Mount Cook nur 3724 Meter hoch. Der Auslöser für die Überraschung: Im Dezember 1991 brachen von der Spitze des Riesen zwanzig Meter Eis und Gestein ab, etwa 13 Millionen Kubikmeter Schutt ergossen sich damals in das daneben liegende Tal und über den Tasman Glacier. Seitdem, so die Forscher, sei die Spitze vermutlich noch weiter erodiert.

      Auch für Bergsteiger ist der Aoraki/​Mount Cook eine gerne gewählte Herausforderung. Die Erstbesteigung fand 1884 durch drei Einheimische statt. Sir Edmund Hillary übte schließlich 1948 zusammen mit seinem Kollegen Tenzing Norgay am Mount Cook für seine Everest-Expedition. Bekanntermaßen erfolgreich: Hillary und Norgay waren 1953 die nachweislich ersten Menschen auf dem Everest.

      Wer nicht der große Bergsteiger ist, dafür aber das nötige Kleingeld hat, kann mit einem der zahlreichen Unternehmen einen „Scenic Flight“ buchen. Die nicht ganz billigen Panoramaflüge starten im Flugzeug oder im Helikopter von allen möglichen Orten. Uns fehlen allerdings sowohl die bergsteigerischen Ambitionen und Fähigkeiten als auch besagtes Kleingeld, so dass wir lediglich an den vielen Werbetafeln für das teure Panorama vorbeifahren. Im Mount Cook Village wollen wir das „Sir Edmund Hillary Alpine Centre“ besuchen. Das Museum – so erfahren wir vor Ort – ist allerdings nicht ganz billig. Daher entscheiden wir uns dazu, das Geld zu sparen und stromern stattdessen nur durch den Souvenir-Shop. Vielleicht die falsche Entscheidung, denn so sitzen wir später wieder im Wagen und sind von unserem eigenen Tagesprogramm enttäuscht. Wir waren weder wandern noch im Museum. Immerhin entscheiden wir uns spontan, dem Wegweiser zum Tasman Glacier zu folgen. Über eine kurvige Schotterpiste – zu diesem Zeitpunkt noch ein Novum und eine Besonderheit für uns – fahren wir zum Parkplatz und laufen den 15-minütigen Weg bergauf. Oben bietet sich uns nicht nur ein toller Blick auf die Rückseite des Mount Cook, sondern auch ein See mit Eisbergen. Eisberge? Also fast: Der Tasman Glacier verlief einst durch das gesamte große Tal bis zum Lake Pukaki. Heute, im Jahr 2013, ist das Eis schon weit zurückgeschmolzen. Dort, wo der Gletscher noch vor wenigen Jahren war, lag er allerdings waagerecht in seinem Becken. Durch die Erderwärmung taute er daher nicht wie andere Gletscher, von unten nach oben, sondern von oben nach unten. Dadurch wirkt es heute so, als würden die letzten Eisreste wie Eisberge aus dem Gletschersee des bereits geschmolzenen Eises herausragen. Außerdem brechen immer wieder größere Eisbrocken vom Ende des Gletschers ab und schwimmen dann im Lake Tasman, dem beschriebenen See, bis sie wegschmelzen. Ein Naturschauspiel, das so äußerst selten ist und wohl in wenigen Jahren gänzlich verschwunden sein wird. Drumherum liegt viel Geröll, das durch das schmelzende Eis freigelegt wurde. Dieses Geröll bedeckt aber nicht nur Erde, sondern vor allem Tonnen von Eis, das es gleichzeitig gegen die Sonneneinstrahlung schützt. Man geht davon aus, so lernen wir, dass der Gletscher an manchen Stellen noch etwa 600 Meter dick ist. Wir verlassen den Tasman Glacier und fahren weiter. Anstatt am DOC-Campingplatz „White Horse Hill“ zu nächtigen, fahren wir wieder entlang des Lake Pukaki in Richtung State Highway nach Cromwell, wo unsere nächste Wwoofing-Stelle liegt.

      Manche Aussichten in Neuseeland müssen einfach nicht kommentiert werden!

      Nach einigem Überlegen ringen wir uns dazu durch, zum ersten Mal wild zu campen. Wir parken den Van auf einem kleinen Schotterplatz, etwa doppelt so groß wie der Wagen. Auf der einen Seite die Straße, von der man uns erst im zweiten Moment sehen kann, auf der anderen Seite ein toller Blick auf den unter uns liegenden Lake Pukaki. Uns ist etwas mulmig zumute. Dürfen wir nun hier campen oder riskieren wir 200 Dollar Strafe? Sehr vorsichtig kochen wir mit zugezogenen Vorhängen und machen unsere Campinglaterne bei jedem sich nahenden Auto aus. Wir wollen schließlich nicht erwischt werden, und ein wenig unheimlich ist dieses Campen im Nirgendwo auch. Letztlich kommen insgesamt vielleicht drei oder vier Autos vorbei. Allerdings rauscht der Wind immer wieder über die umliegenden Hügel, so dass wir alle paar Minuten aus Angst vor einem Auto oder Bus das Licht ausknipsen. Zum Essen setzen wir uns in die offene Seitentür. Über dem Wagen leuchten Millionen von Sternen, die Milchstraße erstreckt sich über weite Teile des Himmels. Wären wir vom Sternenhimmel im australischen Outback nicht derartig verwöhnt, würde ich wohl aus dem Staunen nicht mehr herauskommen.

      Unter diesem Himmel ist das Wildcampen unfassbar berauschend. Allein im schwarzen Nichts der neuseeländischen Nacht. Die nächsten Menschen sind mindestens zehn Kilometer


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