Schule aus, Neuseeland ruft. Philip Raillon

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Schule aus, Neuseeland ruft - Philip Raillon


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und Flop: Wwoofing in Little River und Waimate

      Wir verlassen Christchurch in Richtung Banks Peninsula. Voller Vorfreude, dass es endlich richtig losgeht, nehmen wir die Port Hills in Angriff. Bald wird uns klar: Schnell geht es mit unserem Van keine Berge hinauf. Die recht steilen Straßen kämpft sich unser „Super Custom Limited“ mit knapp über 30 km/​h hoch. Wenn die Steigung dann noch zunimmt, sind die 30 km/​h die absolute Höchstgeschwindigkeit. Doch wir haben ja Zeit … Langsam bricht die Dämmerung herein und der ohnehin schon starke Wind entwickelt sich zu einem Sturm. Ich kämpfe gegen die Böen, die uns und den Wagen von der linken Spur immer wieder auf die rechte drücken. Doch da will ich gar nicht hin! Ich versuche mich ja momentan an den Linksverkehr zu gewöhnen. Mit fortschreitender Zeit nimmt der Sturm zu, die Böen nehmen zu, die Kurven werden enger und die anderen Autos werden weniger. Vielleicht hätten wir uns doch besser für den stärker befahrenen, aber längeren State Highway 75 entscheiden sollen. Dafür ist es jetzt zu spät. Wir hatten schließlich bewusst die kürzere und landschaftlich schönere Strecke gewählt – dafür ist der Weg offenbar ungemütlicher und zeitlich länger. Und auch als wir die Port Hills endlich hinter uns lassen und auf den State Highway abbiegen, windet es noch stark. Die fortgeschrittene Dämmerung und der starke Wind zwingen mich dazu, auf der Mittellinie zu fahren. Von den beiden großen Seen, dem Lake Ellesmere und dem Lake Forsyth, bekomme ich kaum etwas mit. Mein Augenmerk gilt den Bäumen, die sich am Straßenrand bedrohlich im Wind biegen. Der Lake Ellesmere ist mit 180 Quadratkilometern der größte See Canterburys. Er hat mit unter drei Metern eine geringe Wassertiefe und keinen ständigen Abfluss – daher wird das Wasser, falls der Wasserspiegel zu sehr steigt, durch künstliche Kanäle abgelassen. Diese werden bei Bedarf von den Landwirten der Region durch das sehr schmale Stück Land zwischen See und Pazifik gebaut. Jetzt peitscht der Wind das Wasser in hohen Wellen über die Oberfläche. Einfach nur weiterfahren. Ein großer Ast fliegt über die Straße. Weit kann es doch nicht mehr sein, oder? Irgendwann wird es so dunkel, dass ich die Baumspitzen nur noch erahnen kann – zu spät, um nach umstürzenden Bäumen Ausschau zu halten.

      Little River, ein Campingplatz mit Idylle

      Erst am zweiten Tag treffen wir unseren Wwoofing-Host Marcus

      Als wir endlich in Little River, dem ersten kleinen Örtchen auf der Banks Peninsula, ankommen, biegen wir rechts ab und fahren durch ein Tal mit düsteren, großen Tannen zum Campingplatz. Diesen verschluckt gerade die Dunkelheit, während über uns der Wind in den Wipfeln tost. Im Lichtkegel der Scheinwerfer folgen wir der Aufforderung eines Schildes und läuten die kleine Schiffsglocke an der Anmeldung – nichts tut sich. Um uns herum herrscht absolute Dunkelheit. Kein Licht und außer dem Rauschen der schwarzen Tannen kein Geräusch. Noch mal läuten – immer noch nichts. Auch auf meinen Anruf hin melden sich sowohl im Festnetz als auch auf dem Handy des Campingplatz-Besitzers nur die Anrufbeantworter. Das fängt ja klasse an: Kein Wwoofing-Gastgeber, eine geschlossene Anmeldung, kein Licht, und wo sind eigentlich die anderen Camper? Niemand hier. Waren wir zu voreilig, jemand Fremdem unsere Zusage zu geben? Mit Taschenlampen machen wir uns auf den Weg über den verlassenen Platz, vorbei an den leeren cabins, in denen wir uns eigentlich schon mit Licht, Heizung und etwas Leckerem zu essen gesehen hatten. Kalt ist es nämlich Anfang September auch noch. Schließlich finden wir eine Hütte, in der Licht brennt, und klopfen an. Es öffnet ein überraschter Herr mit einem blauen „Autobahn“-T-Shirt. Immerhin jemand, der unsere Sprache spricht. Falsch gedacht, stellt sich schnell heraus – er ist nur Fan der gleichnamigen Band. Der Besitzer des Campingplatzes ist er leider nicht, dieser sei samt Frau in Christchurch beim Einkaufen. Er selbst ist nur ein Freund der Familie und lebt in dieser Hütte. Aha. Und wir? Von uns hatte er zuvor nichts gehört. Also gehen wir auf die Suche nach einem Schlafplatz: Die einzige nicht verschlossene Kabine ist ein Gartenhäuschen mit Bett, zwei Gemälden, einem Kühlschrank und Laub. Denn die Tür war vom Wind aufgeweht worden. Naja, aber wir sind froh: Immerhin haben wir eine Unterkunft mit Strom und sogar einer wärmenden Elektroheizung. Wir geben uns zufrieden. Kochen müssen wir allerdings in der offenen „Küche“ des Campingplatzes – zwei Kochstellen samt Regenwasserversorgung unter einem Holzdach. Der Lampion schwingt im Wind. Dann geht es in unser Nachtdomizil. Das Elektrogebläse taut uns und die Hütte langsam auf. Allerdings hauen die Äste der umstehenden Bäume auf das kleine Wellplastikdach. Eine Stunde später hat der Sturm auch im Tal des Campingplatzes richtig losgelegt. In Abständen von wenigen Sekunden kündigen sich die Böen an, bis sie dann die Bäume um unser Häuschen herum erreichen und die Äste unheilvoll auf das Plastikdach einschlagen. Die Deckenlampe flackert, durch die Holzwände zieht der Wind herein und die Eingangstür wird zunächst mehrfach aufgeweht. Ich weiß nicht, bei wie vielen Böen ich in dieser Nacht dachte, dass nun einer der Bäume umknickt. Von Stürmen in der Heimat wusste ich, wie schnell das gehen kann. An Schlaf denke ich daher lange nicht. Während Maria neben mir unruhig einschläft, warte ich immer die nächste Böe ab und noch eine und noch eine. Gegen halb drei am Morgen lässt der Sturm endlich nach und keine kleineren Äste fliegen mehr gegen die Holzwände oder das Dach.

      Unser „Lohn“: Bett und Küche in dieser Hütte

      „Heute Nacht wäre ich gerne in meinem warmen Bett in Witten und nicht hier, irgendwo im Nirgendwo auf der Banks Peninsula“, schreibe ich an diesem Abend in mein kleines Tagebuch. Völlig übertrieben? Naja, uns ist zwar nichts passiert. Doch als wir am nächsten Morgen die Handys einschalten, haben wir mehrere SMS und verpasste Anrufe von der Familie in Christchurch auf dem Display. Der Sturm hatte in Christchurch und der gesamten Region Canterbury mächtig zugeschlagen: eingedrückte Fenster, abgedeckte Dächer oder umgekippte Bäume in Christchurch. Und als wir später auf dem Campingplatz endlich den Besitzer, Marcus, treffen, berichtet er, dass viele Bäume auf der Straße gelegen hätten, als er am vorherigen Abend gegen 22 Uhr aus Christchurch gekommen sei. Dieselbe Route, die wir nur zwei Stunden eher gefahren waren. Außerdem erfahren wir in den nächsten Tagen, dass zahlreiche Menschen im Westen der Südinsel für Tage ohne Strom waren und am Haast Pass, der die Westküste im Süden mit dem Rest des Landes verbindet, zwei Kanadier in dieser Nacht von einer Schlammlawine mitgenommen wurden – wir hatten also richtig Glück.

      Direkt am Zeltplatz fließt ein Bach entlang

      Wir treffen also endlich den Besitzer. Marcus, ein junger und etwas wuseliger Mann, hat sich mit dem Kauf des Campingplatzes vor etwa zehn Jahren einen Lebenstraum erfüllt. Er erklärt uns alles und zeigt uns unsere neue, richtige Unterkunft. Eine der einfachen Hütten, die aber eine eigene, kleine Küchenzeile und neben einem Schlaf- auch einen Wohnbereich haben. Ganz wichtig: Wir bekommen auch den Zugang zum Wlan-Netzwerk, was für den Kontakt mit zu Hause nicht zu unterschätzen ist. Außerdem stellt Marcus – der generell immer nur über den Campingplatz rennt, anstatt zu gehen – uns Noemie und Fabien vor. Das Backpacker-Paar ist ebenfalls als Wwoofer auf dem Little River Campingplatz. Nach abgeschlossenem „Umzug“ aus der winddurchlässigen Gruselbude der ersten Nacht in unsere neue Hütte geht es an die Arbeit: Während Maria und Noemie eine der besagten Hütten (oder cabins) anstreichen müssen, ziehen Fabien und ich los, um einen der kleinen Bäche zu säubern, Unkraut zu jäten und ein Beet umzugraben. Dann will Marcus mit uns gemeinsam große Holzscheiben als Sitzgelegenheiten zu einer Feuerstelle transportieren.

      Maria setzt den Wanderweg instand

      Zu dritt hieven wir die schweren Stücke in einen alten Van und laden sie an der richtigen Stelle ab. Nach der zweiten Fuhre rutscht der Van vom Pfad ab und landet mit dem rechten Hinterrad in dem kleinen Bach. Nach halbstündigem Rätseln und Ausprobieren steht fest: Das war‘s erst mal mit dem Van. Wir müssen mit der vorherigen Arbeit weitermachen und Marcus versucht einen Bekannten mit einem Geländewagen aufzutreiben – was dann


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