Schule aus, Neuseeland ruft. Philip Raillon

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Schule aus, Neuseeland ruft - Philip Raillon


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      Noch am ersten Abend suchen wir über die Internetseiten gumtree.co.nz, eine kostenlose Kleinanzeigenplattform, und trademe.co.nz, eine Versteigerungsseite, nach einem passenden Wagen. Direkt nehmen wir Kontakt mit den ersten Backpackern auf und verabreden uns für den nächsten Tag. Fiona bringt uns zum ersten Treffen: Zwei US-Amerikaner sind kurz vor Ende ihrer Reise und wollen uns ihren alten Mazda mit Vierradantrieb verkaufen. Die von meinem Vater erstellte Liste mit zu überprüfenden Punkten versuche ich durchzugehen. Der babyblaue Wagen ist aber nicht nur dreckig und unaufgeräumt, sondern fällt auch ansonsten durch zusammengebastelte Technik und rostiges Gehäuse auf. Nach einer Probefahrt – zum ersten Mal im städtischen Linksverkehr und fast mit einem Unfall – will ich unsere Verhandlungstaktik anwenden. Aber anstatt so zu tun, als wäre Maria der Preis viel zu hoch, unterhält sie sich lieber mit der Freundin des Verkäufers. So wird das nix. Dennoch halten wir uns das Angebot offen.

      Weiter geht es: Der Herbergsvater eines Hostels in Christchurch soll auch Wagen verkaufen. Als wir ihm von unserem Budget erzählen, zerstört er unsere Illusionen. „Unter 3500 Dollar bekommt ihr nichts, was einigermaßen vernünftig ist“, sagt er. Unsere Grenze liegt bei 3000 Dollar. Schließlich entscheiden wir uns gegen eine seiner ohnehin nur rustikal ausgebauten Karren und suchen weiter, schauen uns einen Toyota Townace in der Innenstadt an, machen eine Testfahrt mit einem weiteren, diesmal allradbetriebenen Toyota Townace und besichtigen den kleinen Geländewagen einer Australierin, die ihre Schrottlaube für 1500 Dollar irgendwie loswerden will. All diese Angebote verwirren uns zwar kräftig, helfen uns letztlich nicht weiter – mit Ausnahme der zuletzt genannten Australierin. Vor lauter Frustration, dass sie noch immer keinen Kunden hat, und das zwei Tage bevor sie abreist (um ehrlich zu sein, der Albtraum eines jeden Backpackers), drückt sie uns einen Flyer in die Hand. „Der Automarkt dort hat zig Autos. Aber alle teuer“, sagt sie und schiebt noch hinterher: „Müsst euch halt entscheiden, wie viel ihr anlegen wollt.“ Ein Hoffnungsschimmer. Denn all die bisherigen Wagen haben uns nicht komplett zugesagt – so langsam wollen wir aber Fortschritte sehen, denn es sind mittlerweile schon vier Tage seit unserer Ankunft vergangen. Am nächsten Morgen steigen wir in den Linienbus und fahren in die Innenstadt. Am zentralen Busbahnhof ausgestiegen, laufen wir nach Süden und versuchen uns im Straßensystem der Christchurcher Innenstadt zurechtzufinden, was keine leichte Aufgabe ist. Schließlich finden wir aber den Car Market in der Battersea Street.

      … aber das ist jetzt unser: Eddie!

      Gemeinsam mit Richard, dem Verkäufer dort, laufen wir durch die Halle mit Vans, die ehemalige Backpacker für Miete dort haben stehen lassen. Richard, der also nur Vermittler ist, zeigt uns einige Wagen: Manche sind zu klein, andere zu alt oder zu teuer. Gute Wagen sind schon reserviert oder ich traue den Vierrädern noch nicht mal mehr fünf Kilometer zu, so alt sehen sie aus. Enttäuschung macht sich bei Maria und mir breit. Schon wieder kein geeigneter Wagen? Richard grinst und macht nebenbei die Seitentür auf: Weitere vierzig Backpacker-Karren stehen dort und warten auf den zukünftigen Besitzer. Und unter dieser großen Auswahl findet sich tatsächlich auch ein Wagen, der unsere Aufmerksamkeit erregt. Ein Toyota Hiace von 1988, mit 256.000 Kilometern auf den Achsen – doch ansonsten klasse. Hoffnungsvoll nehmen wir den Wagen auf eine Probefahrt mit. Schon bald steht fest: Der soll es sein! Glücklich halten wir zum Mittagessen an und inspizieren den Wagen von innen. Ein großes Bett zum Aufklappen, dazu noch Platz, um sich drinnen hinzusetzen; viele Ausrüstungsgegenstände und eine gute Musikanlage bietet der Wagen auch. Also lassen wir ihn vom Mechaniker des Car Market überprüfen. Er – als dazugehöriger Mechaniker natürlich – gibt grünes Licht. Über die nächsten Tage hinweg verhandeln wir mit den Verkäufern via E-Mail: Da noch einiges am Wagen repariert werden muss, wollen wir nicht einfach den geforderten Preis bezahlen, sondern müssen uns erst mit den Vorbesitzern, die seit vier Monaten schon wieder zu Hause in Frankreich sind, einigen. Für die entscheidenden Mails stehe ich nachts um halb drei neuseeländischer Zeit auf und wir erhandeln einen guten Preis: 4000 Dollar, inklusive der nötigen Reparaturen. Auch für die Erneuerung des neuseeländischen TÜVs, dem WOF (Warrant of Fitness), müssen noch einige Dinge getan werden. Denn der Wagen hat zwar noch zwei Monate die Zulassung, doch jetzt kommen die Vorbesitzer noch für die Auffrischung auf – so die Regeln des Car Market. Es dauert dann noch weitere fünf Tage, bis die Frontscheibe gewechselt, der Rost entfernt und die Abblendlichter ausgewechselt sind.

      Mitten in der City: Earthquake-Ruinen

      All die Vorbereitungen und die Reparaturen haben deutlich mehr Zeit in Anspruch genommen, als ursprünglich erwartet, aber wir haben die zwölf Tage in Christchurch genutzt: Wir eröffneten ein Bankkonto, beantragten die Steuernummer (IRD-Nummer) und unternahmen auch einiges. Die Metropole der Südinsel wirkt im Jahr 2013 auf uns so, wie ich mir eine deutsche Großstadt 1948 vorstelle. Wo in den Straßen keine Löcher sind, da ist der Asphalt wellig. In der Innenstadt stehen nur noch wenige Gebäude der ehemaligen Vorzeigestadt. Wo die Ruinen des Erdbebens schon abgeräumt sind, befinden sich nun (teure) Parkplätze. Es wäre aber gelogen zu behaupten, dass schon alle eingestürzten Häuser beseitigt wären. Nur an wenigen Stellen sitzt noch ein Stein auf dem anderen, da, wo Christchurch einmal blühte und lebte. Städtebaulich bietet die Stadt nun großes Potenzial – doch soweit ist es noch nicht. Das zweite, das große Erdbeben, liegt jetzt zwei Jahre zurück, aber noch immer sind ganze Straßenzüge gesperrt. In ehemaligen Cafés sehe ich die unangetastete Möblierung, die Kaffeetassen stehen noch auf den Tischen. Daneben ein Bekleidungsgeschäft mit angezogenen Ausstellungspuppen im Schaufenster. Spätestens beim Anblick der ehemaligen Kathedrale, mit eingestürztem Turm und nur durch einen Bauzaun gesichert, versteht man, dass das Beben in den Köpfen der Bewohner noch allgegenwärtig sein muss. Viele der Innenstadtstraßen sind noch gesperrt, und das neue Einkaufszentrum befindet sich in bunten Schiffscontainern – „Restart Mall“ (Neustart Einkaufszentrum) hat man den verzweifelten, aber auf seine Art gelungenen Versuch getauft. Bei einem späteren Aufenthalt in Christchurch besuchen wir in dieser Restart Mall auch das Museum Quake City. In den Räumlichkeiten wird alles rund um Neuseelands Erdbebenanfälligkeit und die möglichen Folgen erklärt. Besonders deutlich werden die beiden starken Erschütterungen in Christchurch am 4. September 2010 und am 22. Februar 2011 dargestellt. Ich empfehle jedem den Besuch, der einen Einblick in diesen Einschnitt in der Stadtgeschichte und im Leben vieler Neuseeländer bekommen möchte. Leid vermischt sich im Museum mit Hoffnung, Interessantem und Glücklichem – die Trauer spielt aber eine entscheidende Rolle. Eine kuriose Geschichte in der Cashel Street 99 ist hingegen die des Bieres. Auch in der lokalen Brauerei fiel der Strom aus, als der Boden zitterte. Der Brauvorgang wurde unterbrochen, das Bier dadurch deutlich stärker als üblich. Was also tun mit dem „flüssigen Gold“? Man war erfinderisch und verkaufte die Charge als Erdbebenbier. Der Alkoholanteil stimmte am Ende mit dem Wert auf der Richterskala über ein – 6,3.

      Die schöne Kathedrale: eingestürzt und abgezäunt

      Sonne, Sand, Sumner. Der Stadtteil grenzt an das Meer und die Port Hills.

      Direkt am ersten Tag bringt uns Fiona in die Port Hills. Die kleine Hügellandschaft trennt Christchurch von der Banks Peninsula ab. Einige Tage später fahren wir noch mal mit Paul, dem Gastschüler, in das Luxus-Naherholungsgebiet. Es ist unser erster Gang durch die saftig grünen Wiesen Neuseelands. Der Weg schlängelt sich entlang des Meeres und führt neben zwei ehemaligen Geschützposten des neuseeländischen Militärs an unzähligen Schafen mit ihren Lämmern vorbei. Auch sonst lernen wir Paul zu schätzen – er wird über die zehn Tage, die wir zu Beginn bei den Prests verbringen, zu unserem ersten Freund, den wir hier finden. Paul und ich verbringen viele Abende damit, uns die Bälle auf der Tischtennisplatte in unserem Zimmer gegenseitig zuzuschlagen, oder Maria und ich treffen uns mit ihm in der Stadt.

      Ein


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