Schule aus, Neuseeland ruft. Philip Raillon

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Schule aus, Neuseeland ruft - Philip Raillon


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Kahle Felswände, herabstürzendes Wasser und immer wieder Zonen mit absolutem Halteverbot wegen Steinschlaggefahr. So stellt sich die Straße auf den letzten dreißig Kilometern dar. Der Höhepunkt dieser Strecke ist ein steiler und langer Tunnel – sowohl geografisch als auch vom Erlebnisgehalt. Der Homer Tunnel hat nur eine Fahrspur. Fünfzehn Minuten muss man daher warten, bis die Ampel auf grün springt. Direkt nach dem Tunnel fängt es nicht nur wieder an zu regnen, sondern es geht auch weiter bergab. Kurve um Kurve schlängelt sich die Straße den Berg hinunter. Die Felswände rechts und links sind überzogen von dünnen, weißen Fäden: alles kleine Wasserfälle. Teils war die Straße erst vor Kurzem verschüttet gewesen – erkennbar an den noch am Rand liegenden großen Felsbrocken. Endlich erreichen wir Milford Sound. Doch wer hier wie wir ein kleines, nettes Dörfchen erwartet, wird enttäuscht: Außer ein Paar Ferienhäusern, zwei Lodges, einem Souvenirshop und dem Hafen bietet der Ort nur Parkplätze und eben diese atemberaubende Szenerie.

      Wunderschön! Wäre da nur nicht der Massentourismus …

      Zufällig steigt Paul, der Austauschschüler aus Christchurch, aus dem letzten Reisebus des Tages. Was für eine Überraschung! Er macht als Schulausflug eine Tour über Nacht und freut sich ebenfalls, uns zu sehen. Wir schauen noch dem Boot hinterher, das im Fjord im Regen verschwindet und der Dunkelheit entgegen schwimmt. Dass es in Milford regnet, ist bei über durchschnittlich 182 Regentagen im Jahr keine Besonderheit. Dennoch hoffen wir auf gutes Wetter am kommenden Tag, als wir zu einer der beiden Lodges fahren und uns dort eine Parkbucht für die Nacht mieten. Draußen schüttet es wie aus Kübeln. Wir sind froh, im warmen und gemütlichen Aufenthaltsbereich der Lodge zu sitzen. Neben zwei deutschen Mädchen (eines ist Hanna, die wir später noch wiedertreffen werden) lernen wir noch einen Franzosen kennen, der auch einen Toyota Hiace von 1988 hat. Seiner hat zwar nicht all die technischen Spielereien, die unser Eddie hat (Einparkhilfe, elektrische Spiegel, elektrische Schiebedächer, digitaler Tacho, …), dafür aber dieselben Fehler: Bei beiden Wagen kann man während der Fahrt den Schlüssel problemlos abziehen, die Schiebetür hakt immer wieder, und außerdem müsse er seine Scheibe immer mit der Hand hochschieben, erzählt er lachend. Nach einem lustigen Abend und einer heißen Dusche rennen wir alle in unsere Vans. „Warum ist es hier nass?“, kommt es mir nachts um drei im Traum. Irgendwas tropft mir auf die Stirn, ich wache auf. Mein gesamtes Kopfkissen ist feucht – irgendwie war Wasser in den Wagen gekommen. Der Vorhang war in der Heckklappe eingeklemmt worden und hatte so Wasser hinein gelassen. Ich muss also in den Regen und die Tür auf- und zumachen. Nach einer Minute sitze ich wieder im Wagen. Pitschepatsche nass. Der Regen hämmert auf das Blechdach. Und morgen soll die Sonne scheinen? Na, das kann ja was werden!

      Regenbögen im Wasserfall

      Blauer Himmel und Sonne machen den Milford Sound noch beeindruckender und wir dürfen auch noch mit dem Boot hinaus auf den Fjord. (Also „dürfen“ ist gut, wir haben vorher auch viel Geld bezahlen „dürfen“.) Wir haben Glück und einen der wenigen reinen Sonnentage im Jahr erwischt. Zu unserer Linken ragt der 1692 Meter hohe Mitre Peak in den Himmel. Er entwächst direkt dem Wasser. Die vielen kleinen Wasserfälle sind schon fast langweilig im Vergleich zu den wenigen gigantischen, wo ständig unzählige Liter Wasser hinunter stürzen. Der Fjord selbst besteht aus dunklem Salzwasser und birgt vermutlich in seinen 400 Metern Tiefe viele Lebewesen. Das Gestrüpp oder die Bäume an den steilen Felswänden sind eigentlich schon in die Wellen gefallen, halten sich nur noch mit kräftigen Wurzeln so gerade eben an der Wand fest. Die gesamte Szenerie ist beeindruckend und dank der Erklärungen des Bordpersonals fühlt man sich der Natur noch näher. Wir schippern durch Meereswasser vorbei an den Süßwasserfällen. Oberhalb hängen die Gletscher. Die Sonne erobert gerade den Fjord – sie braucht doch recht lange, bis sie hoch genug steht, um über die steilen Berge in den schmalen Meeresarm hineinzuscheinen. In den ersten Sonnenstrahlen des Morgens sonnen sich einige Robben auf einem Felsen. Klick, klick, klick. Die Touristen lassen ihre Fotoapparate arbeiten. Einen Felsvorsprung weiter bricht sich die Sonne in den Wasserfällen – es entstehen farbenfrohe Regenbögen. Dann fährt der Kapitän den Bug unter einen der Wasserfälle. Wer möchte, kann sich eine der roten Regenjacken überziehen und sich unter das Wasser stellen. Der Druck ist enorm, dazu kommen Winde vom stürzenden Wasser. Ein Erlebnis, nach dem es erst einmal etwas zu trinken gibt: Die Crew hatte Wassergläser aufgestellt, die nun mit frischem Bergwasser gefüllt sind.

      Achtung, nass!

      Fast hätten wir vor lauter Wasser das Pinguin-Trio verpasst, das neben dem Boot herschwimmt: Es sind Tiere der seltenen Art Gelbaugenpinguine. Weil wir eine der ersten Bootsfahrten dieses Tages gebucht hatten, strömen erst bei unserer Rückkehr die Touristen in den Hafenterminal. Dazu fliegen alle paar Minuten kleine Propellermaschinen oder Helikopter den Mini-Flughafen Milford Sound an. Es kommt Leben in diese eigentlich so wilde Natur, die Touristen belästigen und belasten Flora und Fauna, bis es am Abend wieder still werden wird. Bis es am nächsten Morgen wieder weitergeht. Irgendwie müssen ja die etwa 500.000 Besucher pro Jahr herkommen …

      Ein furchtloser Kea

      Auf dem Weg zum Wagen läuft ein Kiwi über den Parkplatz. Total überrascht, denn die Nationaltiere sollen nur noch äußerst selten zu sehen sein, schieße ich einige Fotos. Wir fahren weiter und wundern uns über das eigene Glück. Später erfahren wir: Nicht alles, was ein bisschen wie ein Kiwi aussieht, ist auch gleich einer. Wir hatten nur einen der deutlich häufigeren, frecheren und nervigeren Wekas gesehen. Diese Vögel können ebenfalls nicht fliegen, sind aber alles andere als menschenscheu, was wir im Verlauf unserer Reise noch erfahren werden. Dafür sehen wir aber einige Kea – und diesmal auch echte und nicht nur ähnliche Tiere. Die Exemplare der letzten Bergpapageienart rennen auf dem Parkplatz einiger Wasserfälle herum, springen auf die Autos und sind eine große Attraktion. Während die Vögel in diesem Fall nur im Kreis laufen, sind sie normalerweise ein echtes Problem: Sie picken die Gummidichtungen der Autos heraus oder zerstören die Rucksäcke und Zelte der Wanderer. Ich rege mich in diesem Moment aber nur über eine asiatische Familie auf, die ihren teuren Geländewagen auf dem Parkplatz abstellt, damit sich drei der vier den verwunschenen Farnwald und die Wasserfälle anschauen können. Währenddessen lassen sie den Wagen für mindestens zehn Minuten laufen. Warum das Fahrzeug weiter Abgase in die Luft pusten muss – und das inmitten eines wundervollen Nationalparks – leuchtet mir nicht ein, weswegen ich den Fahrer zur Rede stellen will. Ich lasse es dann aber doch bei meinem Groll und wir steigen lieber wieder in Eddie ein.

      Gut, dass man viel Zeit hat … im Urlaub

      Zurück Richtung Te Anau müssen wir natürlich auch wieder durch den Homer Tunnel. Diesmal geht es für uns nur bergauf. Eddie, so erwähnte ich bereits, ist bergauf nicht der schnellste. Wir warten über zehn Minuten an der roten Ampel. Um uns herum fließt das Wasser die steilen Felswände hinunter. Die Ampel springt um: Grün, los geht’s. Von den Autos vor uns sind schon nur noch die Rücklichter erkennbar. Wasser tropft von überall auf den Wagen und am Rand liegen Gesteinsbrocken. Denn der 1954 eröffnete Tunnel hat nur den mehr oder weniger harten Fels als Wand. Mehrere Jahrzehnte dauerte einst der Bau des über 1200 Meter langen Durchgangs, der um 1930 herum zunächst eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme darstellte. Die Ampelanlage ist übrigens nur zur Hochsaison im Sommer geschaltet – wartende Autos wären im Winter einer zu großen Gefahr von Lawinen ausgesetzt. Da ein gegenseitiges Passieren zweier Autos platzmäßig knapp möglich ist, lässt sich die Ampel in den kalten Monaten ausschalten. Als wir endlich vom grellen Licht geblendet das Ende erreichen, zeigt die Ampel für die Gegenseite noch eine Minute an – wir haben also 14 Minuten für den Tunnel gebraucht. Aber wir haben es geschafft und fahren die lange und kurvige Straße wieder zurück bis Te Anau. Das grüne Moos bedeckt stellenweise den gesamten Asphalt. Wir haben wirklich Glück gehabt mit


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