Coaching. Sonja Becker
Читать онлайн книгу.schier unmöglich zu bewältigende Heldentaten vollbrachte. Dass dem deutschen Coach der griechischen Nationalmannschaft diese Ehre zuteil wird, darauf hätte drei Monate vorher kein Mensch einen Pfifferling gesetzt. Inzwischen aber ist Rehhagel Ehrenbürger Athens, Held Griechenlands, und seine griechische Gurkentruppe der amtierende Fußball-Europameister. Eigentlich war die Mannschaft bestimmt, schon in der Vorrunde auszuscheiden. Doch arbeiteten sie sich von Spiel zu Spiel weiter. Der krasse Außenseiter schlägt Weltklasse-Mannschaften wie Frankreich aus dem Rennen – Portugal gleich zwei Mal. Schon beim Einzug ins Viertelfinale war Rehhagel der König Griechenlands. Beim Halbfinale gelang der Mannschaft ohne auffällige Spieler dann die unglaubliche Überraschung: Griechenland im Finale! Dann die noch größere Sensation: Der zweite Sieg gegen den klaren Favoriten Portugal (na gut, mit dem „Silver Goal“ nach dem Eckstoß) – Griechenland... Europameister! Mit seinem klassischen Konzept des Arbeitsfußballs (Libero, Viererkette, Manndeckung) hat der deutsche Trainer dem modernen, glamourösen Weltfußball mit seinen Stars das Fürchten gelehrt. Die Lösung: Homogenität und Ruhe. Kein Medienstress, denn wo kein Star ist, spielen alle gleich. Wenn auch gleich schlecht. Also haben sie nichts zu verlieren. Und haben am Schluss alles gewonnen. Rehhagel: „Wer gewinnt, ist modern!“
It’s not about the bike
IT’S NOT ABOUT THE BIKE
Ein Triathlet aus Austin/Texas namens Lance Armstrong hat Mitte der Neunziger Jahre den größten Sieg seines Lebens davon getragen – den Sieg über den Krebs. Seine „Coache“ Chris Carmichael und Eddy Mercks waren diejenigen, die ihm seinen Sieg bei der Tour de France prophezeihten. Bei seiner ersten Tour schied er nach zwei Tagen aus. 1995 gewann Armstrong eine Etappe und scheiterte hoffnungslos in den Bergen. Armstrong musste eine Primärtugend lernen: Geduld. „Heute glaube ich, dass Geduld das ist, was einen Jungen von einem Mann unterscheidet“, sagt er in seinen Memoiren. Nach der Überwindung seines unheilbar scheinenden Krebsleidens gewinnt er 1999 zum ersten Mal die Tour de France und stellt 2004 einen neuen Rekord auf: Der erste Mensch, der bei der Tour de France sechs Mal hintereinander siegt. Warum nimmt man solche Strapazen auf sich? Nur wegen des Sports? Armstrong: „It’s not about the bike. It’s a metaphor for life, not only the longest race in the world but also the most exalting and heartbreaking and potentially tragic. It poses every conceivable element to the rider, and more: cold, heat, mountains, plains, ruts, flat tires, high winds, unspeakably bad luck, unthinkable beauty, yawning senselessness, and above a all great, deep self-questioning. During our lives we’re faced with so many different elements as well, we experience so many setbacks, and fight such a hand-on battle with failure, head down in the rain, just trying to stay upright and to have a little hope. The Tour is not just a bike race, not at all. It is a test. It tests you physically, it tests you mentally, and it even tests you morally.“ (70f.) Armstrong macht deutlich, dass der Sport Muster liefert, die andere Lebensbereiche beeinflussen. Ein weiteres Muster ist die Energie des Teams. Was ihm zu seiner Siegesserie verhalf, war die Einführung des Teamsports in der Tour de France. Wo sich früher mehr oder weniger die Einzelgänger abrackerten, hatte der legendäre Miguel Indurain eine Strategie entwickelt, in der alle Teammitglieder für ihn fahren und gleichzeitig die Gegner taktisch ausschalten: „You don’t win a road race all on your own. You need your team mates – and you need the good will and cooperation of your competitors, too. People had to want to ride for you, and with you“ (55). Durch seine Coache hat er gelernt, worauf es noch ankommt: Seine Ungeduld zu zügeln. Niemals zu früh zu attackieren. Sich im Peloton gut zu benehmen und sich Freunde zu machen: „Give an inch, have a friend“. Es geht also weniger ums Fahrradfahren, sondern darum, dass alles nach Regeln funktioniert, die auf andere Bereiche übertragbar sind. Die Erfahrungen Lance Armstrongs gehen über den Sport hinaus – sie beschäftigen sich mit dem Leben. Es geht im Sport wie im Business oder im Leben um Werte, Verhalten, humane Energien. Sport ist ein Bereich, in dem wir die Dinge des Lebens simulieren: Unsere Ziele, unsere Pläne, unser Verhalten, unsere Einstellung gegenüber Unwägbarkeiten wie den Krebs. Coaching zieht die Essenzen daraus: Coache sind Personen, die die Regeln des Sports auf Business übertragen.
Smells like team spirit
SMELLS LIKE TEAM SPIRIT
Gewinnen, Verlieren, Team, Coach, „goals“... nicht zufällig hantiert die Wirtschaftssprache mit den gleichen Vokabeln. Leute, die ihre Ziele mit Teams erreichen wollen, brauchen „team spirit“. Jede Mannschaft, ob im Sport oder im Business, hat einen speziellen Teamgeist. Er ist der Indikator für die Energie. Die höchste humane Energieform ist die Liebe. Wir wollen nicht gleich übertreiben, obwohl es zum Beispiel viele Leute gibt, die die Tour de France auch die „Tour de L’amour“ nennen. Aber Leidenschaft ist ein guter gemeinsamer Nenner für die zweithöchste Energieform in einer Mannschaft – weil sich dann alle gemeinsam für eine Sache einsetzen. Das allerhöchste ist das, was beim Fußball vielleicht alle zehn Jahre mal passiert: Dass die Spieler alle so im „flow“ miteinander sind, dass sie auch mit verbundenen Augen spielen könnten wie Otto Rehhagels griechische Nationalmannschaft. Nennen wir es Magie... einer für alle, alle für einen. Ganz unten folgen jede Menge negativer Energieformen: Verwirrung, Frustration, Verweigerung, Neid, Schuldzuweisung, Intrigen – alles eine Frage, wie ein Team aufgestellt ist. Wann immer zwei Mannschaften auflaufen, treten zwei verschiedene Mentalitäten gegeneinander an. Wer die Stadien analysiert, in dem sich ein Team befindet (nein, nicht die Fußballstadien!), wer das Mienenspiel, die Reden, Gesten und das Verhalten der Spieler untereinander verfolgt, befindet sich in einem spannenden Spiel. Gewinnen wird in der Regel immer jene Mannschaft, die sich besser aufgestellt hat, optimaler nach innen funktioniert. Beim Fußball zum Beispiel kann man in jeder Saison alle Schattierungen des Teams und seiner Trainer beobachten. Sport sympathisiert: Man sieht Menschen siegen und scheitern, man sieht Hoffnung, Verzweiflung, Siegeswillen, jede menschliche Emotion in den Gesichtern der Athleten. Man befindet sich in einem Theater des Lebens (vielleicht nicht umsonst ist Otto Rehhagel ein alter Freund des Theaterintendanten Jürgen Flimm) – und das Beste daran: Man kann auch noch selber spielen, wenn auch im begrenzten Rahmen. Wir hängen nicht nur wegen der Leistungen, der Siege und der Punkte an sportlichen Ereignissen, sondern auch, weil wir dort jede mentale Verfassung und Veränderung vorfinden und verfolgen können. Wie die Mannschaft spielt, und warum sie so gut, mittelmäßig oder schlecht spielt, ist der Grund, warum sich Millionen von Menschen das ganze Jahr über und auch außerhalb der 34 Spieltage einer Bundesligasaison mit einer Sportart beschäftigen, von der nur Ignoranten sagen, es „laufen doch nur 22 Menschen einem Ball hinterher“. Im Fußball, im Sport, im Business gibt es jede Art von Team: Mannschaften, die sich verabreden, solange schlecht zu spielen, bis ihr Coach gefeuert wird, bis zu Mannschaften, die ihr Letztes geben, um ihrem Coach die Ehre zu erweisen.
•Ein schlechtes Team beschließt, gegen seinen Trainer zu spielen.
•Ein mittelmäßiges Team sagt sich: „Heute zeigen wir dem Trainer, was wir drauf haben!“
•Ein Siegerteam verspricht sich gegenseitig: „Wir wollen unseren Coach nicht enttäuschen!“
Der Erfolg liegt nicht an der Mannschaft und nicht am Trainer – sondern dazwischen: im „team spirit“. Die Aufgabe des Coaches kann man auf eine Formel bringen, die wiederum für Sport und Business passt: „helping people reach their goals“.
Das moderne Spiel: Business-Coaching
DAS MODERNE SPIEL: BUSINESS-COACHING
Coaching heißt, Menschen zu helfen, ihre Ziele zu erreichen. Die Menschen erreichen ihre Ziele durch Teams. Ein Team besteht nicht nur aus einer Handvoll Leuten, sondern auch ihrem Teamgeist. Ziele zu erreichen, bedeutet, den Fokus dieser Ziele ins Team zu legen und den Output dieser Aktivität zu messen. Im Business-Coaching hat dieser Output ein spezielles, nämlich Maß – Geld. Aber Geld ist nur sekundär im Vergleich zum „team spirit“. Auch der Teamgeist lässt sich messen: In Popularität. Warum gibt es Stadien mit 60.000 Zuschauern und Übertragungen für Abermillionen Zuschauer, obwohl nur die allerwenigsten Menschen so schnell, geschickt, erfolgreich werden können wie die da unten auf dem Platz? Weil viel Geschehnisse auf dem Platz nach gleichen Regeln und Mustern verlaufen wie im Alltag