Coaching. Sonja Becker
Читать онлайн книгу.nerven ließ, kann ohne weiteres als erster Coach der Menschheitsgeschichte durchgehen (Ach herrje! Der erste Coach gleich ein Homosexueller!). Sokrates hatte eine furchtbare Angewohnheit: Reden und Fragen, im Prinzip also der nach außen gekehrte „schweigende Dialog mit sich selbst“. Dann behauptete er auch noch, dass er eigentlich nichts wisse, so dass er sich alles Mögliche von anderen erklären ließ – vor allen Leuten. Das war peinlich. Vor allem, weil seine Gesprächspartner dann oft Dinge sagten, die sie gar nicht sagen wollten – aber die mit der Zeit einfach aus ihnen herauskamen. Sokrates nannte diese Methode „Mäeutik“ – Hebammenkunst. Er brachte die Gedanken und Ideen über alle möglichen Erscheinungen im Kosmos einfach aus den anderen heraus – durch Reden, Reden, Reden. Seitdem ist die Philosophie ein Angebot zum Gespräch, eine Art Geburtshilfe, die das eigene Denken hervorbringt, eine Möglichkeit, das Leben besser zu verstehen: Coaching. Platon selbst war übrigens ein brillanter Schreiber, aber ein mieser Coach. Seine Kriegsbegeisterung übertrug er dummerweise auf den Machthaber Athens in seiner Funktion als dessen Berater. Dann kam er auf den originellen Gedanken, dass eigentlich nur Philosophen als Könige in Frage kämen, und dachte da mit Sicherheit an sich selbst. Als erstes hätte er dann die Künstler aus der Stadt getrieben, weil sie nach seiner Ansicht dort gar nichts zu suchen hätten. Aber dazu ist es glücklicherweise gar nicht gekommen. Sokrates wurde allerdings auf Dauer so nervig, dass man ihm den Schierlingsbecher überreichte, was eine besondere Ehre war. Ein ehrenhafter Grieche sah so aus, dass er nicht umgebracht wurde, sondern selbst die Gelegenheit bekam, sich zu vergiften, um damit seine Schuld einzugestehen. Das ist großes Coaching: Jemanden zu stimulieren, an sich selbst zu arbeiten. In der Weltgeschichte des Abendlandes gab es statt Coaching meistens Krieg. Das Modell von Herrschern und Heldentaten ist jedoch wenig geeignet für Coache. Es birgt den gleichen Trugschluss wie im Modell „Vision und Motivation“: Ist das Leitbild einmal geschaffen, müssen alle hinterher rennen. Und, tut uns leid, da wären wir eigentlich auch schon wieder bei Immanuel Kant. Schließlich können frei urteilende und selbst denkende Menschen nicht auf so etwas hereinfallen. Und genau, wie er schon als junger Mann seine Weltentstehungslehre in der „Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels“ (1755) frech behauptet, die Welt wäre auch ohne das Wirken Gottes entstanden – wenn auch nicht ohne seine Weisheit – stellt er dann auch noch klar, dass eigentlich alles um einen herum nur „Ding an sich“ ist und gar nicht interessant, solange es keine denkenden Wesen gibt, um die sich diese Dinge kreisen und die sie erkennen. Das klingt ein wenig anders als all die mechanistischen Weltbilder, die seit Descartes’ Leib-Seele-Trennung herumschwirren. Seit den Fortschrittstheorien von Francis Bacon und Condorcet ist das Denken nämlich in den Dienst der Wissenschaften gerückt, und hat selbst sozusagen nichts mehr zu sagen. Kant dagegen, ganz forsch, zermalmt diese ganzen Weltbilder mit einem allmächtigen Coaching-Tool: der Vernunft. Den Rationalismus und alle auf Erfahrung basierenden Erkenntnisse macht er mit einem Schlag fertig, als er zeigt, dass schon die menschliche sinnliche Anschauung eine eigene, ursprüngliche Erkenntnisquelle darstellt. Das ist praktisch. Durch das eigene Denken muss man nicht jeden Morgen erneut beweisen, dass die Sonne aufgeht – sondern durch die spontane, verknüpfende Leistung des Verstandes ist es möglich, dahinter eine gewisse Kausalität zu erkennen, die solche Dinge in Raum und Zeit anordnen. Das ist eine „Revolution“ des Denkens! Nicht die Natur schreibt uns die Gesetze vor, sondern umgekehrt – wir beschreiben sie! Damit sind wir der Mittelpunkt, und das Licht der Aufklärung erstrahlt. Kant coachte uns alle.
Das Schönste von der Welt
DAS SCHÖNSTE VON DER WELT
Kants „Vernunft“ lotet die verborgenen Prinzipien unseres Denkens und Handelns aus – und das in sehr schweren, dicken Büchern. Sie denkt alles, reguliert alles, und gelangt zu den fundamentalsten Prinzipien unseres Tuns und Treibens. Er hat so eine Menge Prinzipien geborgen, die die Grundlage alles Lebens bilden: Etwa der Kategorische Imperativ, das Gesetz der Gesetze („Handle so, das die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne“): Die Leitlinie von Vorhaben und Handlungen soll so allgemein gelten können, dass sie von jeder Person als ein vernünftiges Gesetz akzeptiert werden kann. Diese Gesetze gibt sich „der Mensch“ also auch noch selber, und das ist die Definition von Freiheit: genial. Freiheit ist also die Pflicht, der wir uns nicht entziehen können. Viele haben das bis heute nicht kapiert. Zum Beispiel Diktatoren und Ideologen, die anderen Menschen ihren Willen aufzwingen wollen.
Wir müssen uns aber auf Kants Coaching-Prinzip beschränken. In seiner schon erwähnten Ästhetik geht es um das Urteilen, die menschliche Fähigkeit, selbst zu reflektieren und zu entscheiden. Wie es so seine Art ist, sucht er auch hier nach den Prinzipien – wenn er sie nicht schon gefunden hat. Man findet sie im §40 dieser „Kritik der Urteilskraft“:
1. „Selbstdenken;
2. an der Stelle jedes anderen denken;
3. jederzeit mit sich selbst einstimmig denken“ (AA V:294)
Mit anderen Worten: Sich in die Situation anderer versetzen, und dadurch herausfinden, wie es um die Wahrheit bestellt ist. Ein fundamentales Coaching-Prinzip. Wahrheiten verkünden bedeutet nichts anderes, als Ideologien zu verkaufen. Aber in die Herzen anderer zu schauen und mit sich einstimmig zu machen, ist für Experten „das Schönste auf der Welt“ (Ernst Vollrath), und für Coache elementar. Allerdings ist dies auch eine hohe Kunst. Durch das Sich-In-Die-Situation-Anderer-Versetzen weiß man, wie sich alle anderen fühlen, wie ihre Meinung zu einer Sache ist, und wie die allgemeine Stimmung ist. Durch diese „allgemeine Stimme“ findet man zu einem Grundkonsens, auf dem man aufbauen kann – zum Beispiel ein Team. Diese „wechselseitige subjektive Übereinstimmung“ führt nicht zu einer höheren Wahrheit, aber zu einer einstimmigen, wie wir heute sagen würden „Gruppendynamik“. So entstehen Regeln, denn „ästhetische Urteilskraft ist also ein besonderes Vermögen, Dinge nach einer Regel, aber nicht nach Begriffen zu beurteilen“, wie Kant sagt – und dadurch, dass das Gefühl entscheidet (AA V:194). Denn „nur da, wo die Einbildungskraft in ihrer Freiheit den Verstand erweckt, und dieser ohne Begriffe (d.h. ohne vorgegebene Schemata, d.A.) die Einbildungskraft in ein regelmäßiges Spiel versetzt; da teilt sich die Vorstellung nicht als Gedanke, sondern als inneres Gefühl (...) mit.“ (AA 296) Um es in „coaching terms“ auszudrücken: In die Herzen schauen. Die gemeinsamen Nenner in Form der „Stimmung“ suchen. Spiele und Ziele definieren. Und die Regeln aufstellen. Das ist es, worum sich Coaching dreht: Die Erfahrung, die Methode und das Regelwerk.
Kants „Urteilen“ funktioniert also nach dem gleichen Prinzip wie Coaching: Es geht nicht darum, der Weisheit letzten Schluss zu finden, sondern eine grundsätzliche Regelung, die von allen gemeinsam vom „inneren Gefühl“ (Kant) getragen wird: Ein Ziel. Dieses Ziel ist also nichts anderes als der Ausdruck des kleinsten gemeinsamen Nenners im Team mit der größten Dynamik, ein Spiel mit einem Ziel. Ein Spiel ist das (freiwillige) Zusammentreffen verschiedener Menschen unter bestimmten Regeln. Die Regeln werden gemeinsam festgelegt, um dann für alle zu gelten. Der wichtigste Unterschied dabei liegt darin, dass diese Regeln nicht vorgegeben werden können. Es ergibt sich nur aus dem jeweiligen Team, wie sie miteinander spielen. Deswegen ist jedes Team anders aufgestellt. Um diese Methoden zu erlernen, öffnen wir nun unsere Büchse der Pandora und geben Ihnen die Werkzeuge an die Hand.
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