Katzmann und die Dämonen des Krieges. Uwe Schimunek

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Katzmann und die Dämonen des Krieges - Uwe Schimunek


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nicht unbedingt herausfordern. Den Umweg über den Hof nahm sie, weil die Arbeiter für gewöhnlich nicht mit frivolen Worten sparten, wenn sie durch die Lagerhalle ging. Das gefiel ihr nicht, schon gar nicht an diesem Freitag.

      Heute passierten ohnehin seltsame Dinge. Erst schickte der Chef sie zur Mittagzeit zum Einkauf: Kaffee, Zucker und Milch sollte sie besorgen. Das kam sonst nie vor. Herr Preßburg legte immer sehr viel Wert darauf, dass sie mit ihm, dem Prokuristen und den Abteilungsleitern zu Tisch ging. Überhaupt war Herr Preßburg heute sonderbar gewesen, als ob er an diesem Freitag, dem Dreizehnten, ein Unglück erwartete.

      Nun gut, Liesbeth Weymann musste zugeben, dass ihr der Aberglaube an sich nicht fremd war, aber selbstverständlich konnte sie solchen Zauber nicht ernst nehmen. Und ihr Chef vermutlich erst recht nicht.

      Das war aber längst nicht alles: Wieso hatte niemand im Pförtnerhäuschen gesessen, als sie eben auf das Betriebsgelände gekommen war? Wo trieb sich Herr Cramer mit seinem schiefen Gesicht herum? So konnte doch jeder Strolch vollkommen unbemerkt auf das Gelände gelangen.

      Liesbeth Weymann erreichte die Tür des Treppenhauses und ging hinein. Sie bemerkte erst jetzt, wie mild die Luft auf dem Hof gewesen war, so als wäre der Frühling bereits im Anmarsch. Im Haus wurde die Atemluft plötzlich trocken wie der graue Mörtel an den Wänden.

      Von der Treppe klangen Schritte herunter, schwer wie Schläge auf einen Amboss. Sie erreichte die Stufen, und Herr Cramer kam ihr entgegen, schritt herab, als wolle er mit seinen Armeestiefeln überprüfen, ob der Granit ihn auf seinem Weg nach unten hielt. Liesbeth Weymann nickte zum Gruß. Sicher war der Schiefe nur auf der Toilette im ersten Stock gewesen. Der Mann verzog den linken, intakten Mundwinkel. Das Grinsen sah aus wie in Stein gehauen, aber das konnte auch an der schlimmen Kriegsverletzung in Herrn Cramers Gesicht liegen.

      Als sie sich allein fühlte, nahm sie den Beutel mit den Einkäufen in die linke Hand, so konnte sie sich mit der rechten am Geländer festhalten - auch hier drinnen war schließlich Freitag, der Dreizehnte …

      Liesbeth Weymann erreichte den Gang. Die Türen zu den meisten Bureaus standen offen oder waren nur angelehnt. So konnte sie zwar keinen Menschen sehen, dafür aber hören, dass Leben in der Firma herrschte. Die Verkäufer riefen pausenlos Angebote in ihre Fernsprecher: «Ja, von den Handtüchern haben wir einen großen Posten vorrätig …» - «Natürlich machen wir Ihnen einen guten Preis, Sie gehören schließlich zu unseren besten Kunden …» - «Ich komme gerne am Montag vorbei, passt es Ihnen um elf Uhr?»

      Noch vor ein paar Monaten hatte es an einem Freitagnachmittag kaum etwas zu tun gegeben, waren die Verkäufer nach dem Mittagessen mangels Kundschaft nach Hause geschlichen. In diesem noch recht jungen Jahr schien es Hoffnung zu geben. Viele Fabriken begannen, wieder Produkte für das alltägliche Leben herzustellen, nachdem es mit Waffen und anderem Kriegsgerät nichts mehr zu verdienen gab. In der Stadt eröffneten nach und nach neue Läden. Der milde Winter tat sicher sein Übriges. Da ging auch bei Liesbeth Weymanns Familie nicht das ganze Geld für Kohlen drauf.

      Im Zimmer des Verkaufsleiters rumorte eine Schreibmaschine - es klang, als würden die Hufe von den Zugpferden eines Mehrspänners über Kopfsteinpflaster klappern. Der Galopp lief nicht recht synchron. Frau Lindner hat einfach keinen Rhythmus beim Tippen, dachte Liesbeth Weymann.

      Natürlich musste Frau Lindner mit der alten Mignon schreiben und konnte nicht mit dem neuesten Modell arbeiten wie sie selbst, aber Liesbeth Weymann war sich auch ihrer Fingerfertigkeit bewusst. Nicht zuletzt deswegen hatte sie sofort die Stelle im Chefbuero bekommen. Manchmal bemerkte sie, wie neidisch Frau Lindner war, weil sie auch gerne den Schreibtisch hinter der Tür gehabt hätte, deren Klinke Liesbeth Weymann jetzt drückte.

      Seltsam, das Schloss war nicht eingerastet. Sie drückte die Tür auf und ging nach links, an der Wand entlang, zu ihrem Schreibtisch. Sie setzte sich und schaute zur Tür des Preßburg’schen Bureaus. Die stand offen! Sehr verwunderlich. Aber noch seltsamer war das, was sie aus dem Augenwinkel auf dem Fußboden wahrnahm. Das sah aus wie ein Torso. Als würde da eine Wachsfigur liegen. Auf einer Art dunklem Filz, der sich auf dem Holz der Dielen gebildet hatte. Blass wie …

      Es war keine Wachsfigur. Sondern Preßburg. Tot!

      Liesbeth Weymann lief ein Schauer über den Rücken, als würde ihr jemand mit einem Grashalm über die Bluse streichen, vom Hals bis zum Gürtel - mit einem eisigen Grashalm.

      Was sollte sie tun? Hingehen? Um Hilfe rufen?

      Liesbeth Weymann drehte sich auf dem Bureaustuhl nach links, stand auf, ging vorsichtig auf den Leichnam zu. Ohne zu atmen. Einen Schritt, noch einen Schritt.

      Der tote Chef sah aus der Nähe und von oben nicht mehr wie eine Figur aus - das Grau des Gesichts wirkte nicht wächsern, eher aschfahl. Nun sah sie auch die Einschussstelle. Den Blutfleck auf dem Boden. Der hatte etwa die Form des halben Kontinents Afrika auf einer Landkarte, die andere Hälfte schien unter dem Schreibtisch zu verlaufen. Liesbeth Weymann wunderte sich über die Farbe: mattschwarz, als würden Kohleablagerungen aus den Dielen quellen.

      Sie stand starr vor der Leiche. Ihre Lungen verlangten nach Luft, sie öffnete den Mund, hörte sich schreien.

      «Kann ich noch einen Schluck haben?» Helmut Cramer hielt seinem Bruder den Bierbembel hin.

      Bertold goss etwas aus dem Krug, den er aus der Wirtschaft an der Ecke geholt hatte, in das Gefäß. Dann füllte er auch seinen eigenen Bembel auf und sagte: «Prost!»

      Die beiden Steingutkrüge stießen aneinander, mit einem Geräusch, das klang, als würde jemand mit einem Hammer auf einen Ziegelstein schlagen. Helmut Cramer war übermütig vor guter Laune. Die rührte von dem Koffer her, der direkt neben ihnen lag - genauer gesagt von dessen Inhalt.

      Helmut Cramer schaute noch einmal hinüber. Der Koffer blitzte. Fast eine halbe Stunde lang hatten sie geschrubbt, bis das Blut auf dem Leder nicht mehr zu sehen war. Dann hatten sie sich getraut, den Verschluss zu öffnen. Und da lag die ganze Pracht.

      Die Geldscheine waren immer noch da, sahen aus, als müssten sie mit Gewalt von den Banderolen in den Bündeln gehalten werden. Rechts gammelten Markscheine aus den Packen, in der Mitte lagen englische Pfund Sterling, und an der Seite des Koffers leuchteten die Dollar-Noten, glatt wie gebügelt, was die Bündel fast wie Briketts aussehen ließ. Die meisten Dollar-Päckchen waren grün wie Gras im Herbst, Ein-Dollar-Scheine. Sein Bruder Bertold hatte gesagt, dass eine solche Note einen enormen Wert habe. Ganz in der Ecke stapelten sich gar Zwanziger der US-Währung - jedes Bund ein Vermögen.

      Helmut Cramer spürte, wie sich sein Glied in der Hose versteifte. Dabei brauchte er nicht mal daran zu denken, wie er mit diesem Reichtum Mädchen beeindrucken könnte - das Geld allein stimulierte genug. Von wegen Geld macht nicht glücklich! Vielleicht nicht für ewig, aber für den Moment fühlte Helmut Cramer sich wie berauscht von dem Anblick.

      Er trank einen Schluck Bier, so hastig, dass er regelrecht danach schnappen musste und trotzdem ein paar Tropfen über den Rand des Bembels auf seinen Kragen spritzten.

      «Na, schon vorm Trinken besoffen?» Bertold lachte. Dabei sah sein Gesicht noch schiefer aus als im Ruhezustand. Es erinnerte an eine grimmige Mondsichel in einem Kinderbuch. Bertold trank auch einen Schluck, dann stellte er den Bembel vor sich auf den Tisch und widmete sich den Leipziger Neuesten Nachrichten, blätterte, versenkte seinen Blick in der Seite.

      «An der Börse steht der Dollar bei über hundert Mark.» Bertold murmelte die Worte ins Zeitungspapier.

      «Du meinst, für einen Dollar können wir hundert Mark bekommen?» Helmut Cramer schaute zu seinem Bruder, zum Koffer und wieder zu seinem Bruder.

      «Ein Dollar: 101,15 Mark. Gestern. Leicht gestiegen. Ja, über einhundert Mark.»

      «Dann sind das hier in der Ecke nicht zweihunderttausend Dollar, sondern eigentlich zwanzig Millionen Mark … «

      «Oder die hunderttausend Mark sind in Wirklichkeit nur tausend Dollar. Ganz wie Du willst.» Bertold kratzte sich mit der Hand an der Narbe, die an der Stelle leuchtete, an der einmal sein rechter Kiefer gewesen war.

      «Und


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